Kurz und kritisch

Revolution vs. Genügsamkeit

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In seinem engagierten Pamphlet wettert der 90-jährige Arno Gruen gegen Unterordnung und Anpassung. © picture-alliance/ ZB / Karlheinz Schindler
Von Holger Heimann · 06.09.2014
Nicht weniger als einen radikalen Kulturwandel fordert der Schweizer Psychoanalytiker Arno Grün in "Wider den Gehorsam". Barbara Muraca philosophiert in "Gut leben" über die Vorzüge eine Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum.
Schmale Bände mit Titeln, die wie Parolen klingen und zur radikalen Umkehr anstiften wollen, liegen im Trend. "Wider den Gehorsam" ist solch ein Buch, dessen aufrüttelnder Gestus sich kaum überbieten lässt. So beginnen zuweilen Revolutionen. Und kaum weniger, nämlich einen radikalen Kulturwandel, fordert der bekannte Gelehrte Arno Gruen. Der Zürcher Psychoanalytiker greift dabei in seinem engagierten Pamphlet abermals eine zentrale Grundannahme seines Werks auf, dass wir uns nämlich selbst fremd geworden sind.
Buchcover: "Wider den Gehorsam" von Arno Gruen
Buchcover: "Wider den Gehorsam" von Arno Gruen© Klett-Cotta Verlag
Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung lokalisiert er wenig überraschend in der frühesten Kindheit. Da Unterordnung und Anpassung oberste Erziehungsmaximen seien, werde unsere Welt von standardisierten Personen bevölkert, denen jeglicher Widerspruchsgeist fehle.
Da schon den Kleinsten die Übereinstimmung mit ihren Gedanken und Gefühlen ausgetrieben würde, müssten sie ihr eigentliches Selbst abspalten.
Gruens Argumentation lässt sich einiges abgewinnen. Doch zuweilen wird eine vermeintlich allgegenwärtige fehlgeleitete Erziehung auch zu einseitig und grob als Ursache einer einzigen Misere gedeutet.
Der über 90-jährige Autor, der noch immer als Psychoanalytiker arbeitet, zitiert häufig Fälle aus seiner Praxis. Kenntlich wird dabei, dass die Zurichtung zum Gehorsam in vielen Fällen nicht ganz gelingt. Und eben diese Tatsache lässt in den Augen Gruens hoffen.

Arno Gruen: "Wider den Gehorsam"
Klett-Cotta, 98 Seiten, 12 Euro

Die fetten Jahre sind vorbei. Längst schlägt sich Wirtschaftswachstum nicht mehr in immer größerem Wohlstand nieder.
Buchcover: "Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums" von Barbara Muraca
Buchcover: "Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums" von Barbara Muraca© Wagenbach Verlag
In ihrem Buch "Gut leben" stellt die Philosophin Barbara Muraca nun Ideen und Initiativen einer Postwachstumsgesellschaft vor. Propagiert wird etwa eine "Ökonomie der Nähe", die Regionen unabhängiger macht von langen, globalen Produktionsketten. Und aufgerufen wird auch zu einem einfacheren, genügsameren Lebensstil. Dabei weist Muraca zurecht darauf hin, dass manche Beschwörung der Einfachheit auch schlichtweg dazu dienen kann, bestehende Ungerechtigkeiten zu zementieren. Die Slogans einer neuen, visionären Ordnung aber lauten Kooperation statt Wettbewerb und Umverteilung statt Ungleichheit.
Weil solche Entgegensetzungen ganz wie nach einem neuen Anlauf zum Sozialismus klingen, sieht sich Muraca selbst zu der Frage genötigt: Ist das noch Kapitalismus? Ohnehin kennzeichnet das Buch ein ruhiges Gleichmaß. Das ist einerseits wohltuend. Andererseits wünscht man sich doch ein wenig mehr visionären Überschuss. "Gut leben" aber ist eher eine Zusammenschau als eine feurige Anstiftung.

Barbara Muraca: "Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums"
Wagenbach Verlag, 96 Seiten, 9,90 Euro

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