Kurz und kritisch
In "Somnia - Tagebuch 1991" erweist sich Walter Kempowski als ein scharfsichtiger Kritiker politischer Heucheleien und eines geschichtslosen Regierungspragmatismus. In "Warum Latein?" nennt Friedrich Maier zehn Gründe, Latein zu lernen. Und im Hörbuch "Die 68er und ihre Theoretiker" sind Originalvorträge von Adorno, Horkheimer, Marcuse und anderen Geistesgrößen der 68er versammelt.
Walter Kempowski: "Somnia – Tagebuch 1991"
Knaus Verlag 2008
Er sammelt anekdotischen "Wiedervereinigungsplankton", registriert lästige "Anlaberungen" auf Lesereisen, sonnt sich ansonsten aber im milden Triumphgefühl eines Siegers: Die Geschichte hat Walter Kempowski Recht gegeben, der Kommunismus ist untergegangen, die jahrzehntelange Außenseiterposition des Bautzener Ex-Häftlings und unbeirrten DDR-Gegners neigt sich sogar im utopieverliebten Kulturbetrieb ihrem Ende zu. 1991, das Jahr des vorliegenden Tagebuchs, ist die Zeit schamvoller westdeutscher Irrtumseingeständnisse und erschreckender ostdeutscher Stasi-Enthüllungen. Der erste Golfkrieg zeigt sein hässliches Gesicht und liefert zugleich Infektionsmaterial für die deutsche Krankheit Larmoyanz. Davor ist auch Kempowski nicht gefeit, dennoch bleiben seine Notate lesenswert. Der im letzten Jahr verstorbene Büchnerpreisträger erweist sich als scharfsichtiger Kritiker politischer Heucheleien und eines geschichtslosen Regierungspragmatismus, an dessen Folgen unser Land bis heute laboriert.
Friedrich Maier: "Warum Latein? Zehn gute Gründe"
Reclam Verlag 2008
Es gibt gute Gründe, Latein zu lernen, zehn an der Zahl, sagt Friedrich Maier. Historische wie die Tatsache, dass Christoph Kolumbus sein Logbuch mit der Entdeckung Amerikas auf Latein verfasste, und zeitgenössische wie das Faktum, dass Lateinschüler grundsätzlich bessere Deutschnoten vorweisen können als Nicht-Lateinschüler; selbst wenn sie aus bildungsfernen Schichten stammen. Das Fach schärft den Geist und bindet den Menschen in die große abendländische Tradition ein. Nur warum ist es so gänzlich humorlos? Das schmale Traktat des Altphilologen macht da keine Ausnahme. Friedrich Maier argumentiert trocken, wo humide Verführungskunst vonnöten wäre. Wenn spätere Unterrichtslektionen dieses pedantische Plädoyer nicht übertreffen – dann gute Nacht, Lateinbegeisterung!
Adorno, Horkheimer, Bloch: "Die 68er und ihre Theoretiker"
8 CD, 426 Minuten, Hörkunst bei Kunstmann, 2008
Über die Achtundsechziger etwas zu lesen, erweist sich zunehmend als Qual. Doch anhören sollte man sie unbedingt, zumindest die Vordenker und geistigen Protagonisten der Bewegung. Acht CDs umfasst eine Sammlung mit Originalvorträgen von Adorno, Horkheimer, Marcuse und anderen, sowie mit dem berühmten 1967er TV-Schlagabtausch zwischen Günter Gaus und Rudi Dutschke. Auf die Frage, wie groß seine aktive Truppe sei, antwortet der damalige Möchtegern-Revolutionär treuherzig: zwanzig Leute. Kein einziger brillanter Satz passiert seine Lippen, ideologische Sprechblasen dafür zuhauf. Der Barrikadenphilosoph Herbert Marcuse verliert sich in mäandrierenden Gedankenschleifen bar jeder Logik, und Ernst Bloch biedert sich bei einem Festvortrag über Karl Marx beifallssüchtig beim Publikum an. Kritische Fragen zum Marxismus wirft er zwar auf, lässt sie dann aber wohlweislich unbeantwortet. Für nachgeborene Generationen ein tragikkomisches wie erschreckendes Erlebnis – die akustische Geisterbahnfahrt zurück in eine Zeit, in der die richtige Position wichtiger war als ein schlüssiger Gedanke. Die Wirkungsmacht dieser Geistesheroen bleibt rätselhaft.
Buchtipp von Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes: Thorsten Becker: Fritz, Rowohlt-Verlag, Reinbek 2006
Knaus Verlag 2008
Er sammelt anekdotischen "Wiedervereinigungsplankton", registriert lästige "Anlaberungen" auf Lesereisen, sonnt sich ansonsten aber im milden Triumphgefühl eines Siegers: Die Geschichte hat Walter Kempowski Recht gegeben, der Kommunismus ist untergegangen, die jahrzehntelange Außenseiterposition des Bautzener Ex-Häftlings und unbeirrten DDR-Gegners neigt sich sogar im utopieverliebten Kulturbetrieb ihrem Ende zu. 1991, das Jahr des vorliegenden Tagebuchs, ist die Zeit schamvoller westdeutscher Irrtumseingeständnisse und erschreckender ostdeutscher Stasi-Enthüllungen. Der erste Golfkrieg zeigt sein hässliches Gesicht und liefert zugleich Infektionsmaterial für die deutsche Krankheit Larmoyanz. Davor ist auch Kempowski nicht gefeit, dennoch bleiben seine Notate lesenswert. Der im letzten Jahr verstorbene Büchnerpreisträger erweist sich als scharfsichtiger Kritiker politischer Heucheleien und eines geschichtslosen Regierungspragmatismus, an dessen Folgen unser Land bis heute laboriert.
Friedrich Maier: "Warum Latein? Zehn gute Gründe"
Reclam Verlag 2008
Es gibt gute Gründe, Latein zu lernen, zehn an der Zahl, sagt Friedrich Maier. Historische wie die Tatsache, dass Christoph Kolumbus sein Logbuch mit der Entdeckung Amerikas auf Latein verfasste, und zeitgenössische wie das Faktum, dass Lateinschüler grundsätzlich bessere Deutschnoten vorweisen können als Nicht-Lateinschüler; selbst wenn sie aus bildungsfernen Schichten stammen. Das Fach schärft den Geist und bindet den Menschen in die große abendländische Tradition ein. Nur warum ist es so gänzlich humorlos? Das schmale Traktat des Altphilologen macht da keine Ausnahme. Friedrich Maier argumentiert trocken, wo humide Verführungskunst vonnöten wäre. Wenn spätere Unterrichtslektionen dieses pedantische Plädoyer nicht übertreffen – dann gute Nacht, Lateinbegeisterung!
Adorno, Horkheimer, Bloch: "Die 68er und ihre Theoretiker"
8 CD, 426 Minuten, Hörkunst bei Kunstmann, 2008
Über die Achtundsechziger etwas zu lesen, erweist sich zunehmend als Qual. Doch anhören sollte man sie unbedingt, zumindest die Vordenker und geistigen Protagonisten der Bewegung. Acht CDs umfasst eine Sammlung mit Originalvorträgen von Adorno, Horkheimer, Marcuse und anderen, sowie mit dem berühmten 1967er TV-Schlagabtausch zwischen Günter Gaus und Rudi Dutschke. Auf die Frage, wie groß seine aktive Truppe sei, antwortet der damalige Möchtegern-Revolutionär treuherzig: zwanzig Leute. Kein einziger brillanter Satz passiert seine Lippen, ideologische Sprechblasen dafür zuhauf. Der Barrikadenphilosoph Herbert Marcuse verliert sich in mäandrierenden Gedankenschleifen bar jeder Logik, und Ernst Bloch biedert sich bei einem Festvortrag über Karl Marx beifallssüchtig beim Publikum an. Kritische Fragen zum Marxismus wirft er zwar auf, lässt sie dann aber wohlweislich unbeantwortet. Für nachgeborene Generationen ein tragikkomisches wie erschreckendes Erlebnis – die akustische Geisterbahnfahrt zurück in eine Zeit, in der die richtige Position wichtiger war als ein schlüssiger Gedanke. Die Wirkungsmacht dieser Geistesheroen bleibt rätselhaft.
Buchtipp von Reiner Hoffmann, stellvertretender Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes: Thorsten Becker: Fritz, Rowohlt-Verlag, Reinbek 2006

Walter Kempowski: Somnia© Knaus Verlag

Friedrich Maier: Warum Latein?© Reclam Verlag

Adorno, Horkheimer, Bloch: Die 68er und ihre Theoretiker© Hörkunst bei Kunstmann

Thorsten Becker: Fritz© Rowohlt-Verlag