Kurz und kritisch

Michael Lemke schildert in seinem Buch „Vor der Mauer“ die Verflechtungen zwischen Ost- und Westberlin bis 1961. „Die Mauer“ von Kai Diekmann zeigt eine Fotosammlung. Heike Otto stellt in ihren Aufzeichnungen „Beim Leben meiner Enkel“ die Machtlosigkeit in einem Unrechtsstaat dar.
Michael Lemke: Vor der Mauer. Berlin in der Ost-West-Konkurrenz 1948 bis 1961
Böhlau Verlag

Die Berliner Mauer: Machtdemonstration – oder ein Zeichen der Ohnmacht? Offiziell war sie ein „Antifaschistischer Schutzwall“. Tatsächlich zerschnitt sie nicht nur die Stadt Berlin, sondern auch das kulturelle, wirtschaftliche und soziale Leben der Berliner.

Denn in den Jahren vor dem Mauerbau waren die Sektoren der Stadt noch eng verwoben. Westberliner Anwälte arbeiteten vor Ostberliner Gerichten. Ostberliner Studenten besuchten Vorlesungen im Westen. Einwohner beider Stadtteile kauften im jeweils anderen ein: mal wegen der größeren Auswahl, mal wegen der niedrigeren Preise.

Auf fast 700 Seiten schildert Michael Lemke die Verflechtungen zwischen Ost- und Westberlin, und die wachsende System-Konkurrenz. Diese führte erst zum Mauerbau, so lautet Lemkes These, gemeinsam mit der Republikflucht und den wirtschaftlichen Nöten der DDR.

Ein quellenreicher Band, ein gut geschriebenes Nachschlagewerk.


Kai Diekmann: Die Mauer – Fakten, Bilder, Schicksale
Piper Verlag

Als sie dann stand, war die Mauer rasch das weltbekannte Bild für Unterdrückung. Ein Band der Bundesstiftung Aufarbeitung erzählt die Geschichte der Mauer in kurzen Texten, vor allem aber anhand von Fotos. Kinder, die einander über Stacheldraht die Hände entgegenrecken. Amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charlie. Kennedy als Berliner. Rennende Familien auf der Flucht. Tunnelgräber und sterbende Flüchtlinge.

Aber die Bilder zeigen auch die Macht des Volkes, den Freudentaumel beim Mauerfall, das Ende der DDR, und schließlich: die Mauersegmente heute, in New York, in Brüssel, in Seoul und in Sofia. Die zerlegten Einzelteile sind längst Symbole der Freiheit.

Die Fotosammlung ist gelungen. Weniger geglückt sind die manchmal banalen Texte und die oft eitlen Seiten über die hehren Leistungen des Springer-Konzerns. Ein Zufall? Herausgeber des Bandes ist Kai Diekmann, der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung.

Wer über diese Schwächen hinwegsehen mag, dem bleibt ein eindrucksvolles Bilderbuch.


Heike Otto: Beim Leben meiner Enkel. Wie eine DDR-Flucht zum Familiendrama wurde
Hoffmann und Campe.

Mit aller Macht versuchte die DDR, ihre Bürger an der Flucht zu hindern. Mit einem Zaun, mit Minenfelder und Selbstschussanlagen.

Im März 1984 gelingt drei jungen Männern trotzdem die Flucht in den Westen. Sie wähnen sich in Freiheit. Ihre Frauen werden nach einigen Verhören nachkommen, glauben sie. Dann aber bekommen sie die Kraft der Stasi zu spüren. Mit Drohungen und Intrigen zermürbt die Staatsmacht den Zusammenhalt der Familie.

Auf die Flucht folgt die Rückkehr, auf die Verklärung der Verrat, auf die Einzelhaft der Selbstmordversuch. Am Ende stehen zerbrochene Menschen, die sich bis heute misstrauen.

Heike Otto hat ein bedrückendes Buch über die Machtlosigkeit in einem Unrechtsstaat geschrieben. Die authentische Fluchtgeschichte ist spannend wie ein Krimi. Doch das Elend dieser DDR-Wirklichkeit übertrifft alle Fiktion. Das belegen auch die Protokolle und Aktenauszüge am Ende des Bandes.
Cover: "Michael Lemke: Vor der Mauer"
Cover: „Michael Lemke: Vor der Mauer“© Böhlau Verlag
Cover: "Kai Diekmann: Die Mauer - Fakten, Bilder, Schicksale"
Cover: „Kai Diekmann: Die Mauer – Fakten, Bilder, Schicksale“© Piper Verlag
Cover: "Heike Otto: Beim Leben meiner Enkel"
Cover: „Heike Otto: Beim Leben meiner Enkel“© Hoffmann und Campe