Kurz und kritisch

Heinrich Detering versucht sich an einer Interpretation der letzten Texte Friedrich Nietzsches. Der Libelle Verlag stellt die gesammelten Stücke von Yasmina Reza vor. Und Michael Schröter gibt die lesenswerten Briefe Sigmund Freuds an seine Kinder heraus.
Heinrich Detering: Der Antichrist und der Gekreuzigte. Friedrich Nietzsches letzte Texte
Wallstein Verlag.

Von den großen Denkern Europas ist wohl keiner so qualvoll, so öffentlich hingestorben wie Friedrich Nietzsche. Dieser Tod umgibt den Philosophen mit einer Aura, die seinem Werk eine existentielle, eine tragische Tiefe verleiht. Er hatte offenbar sein Leben als einen täglichen Kampf zwischen Leben und Tod erlebt, als eine Existenz am Abgrund.

Einige werden wissen, dass Nietzsche in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als vermeintlicher Wegbereiter des Nationalsozialismus ausgeblendet werden sollte. Das sagt einiges über den kulturellen Zustand der Deutschen, über Nietzsche nichts. Erst durch Intellektuelle Italiens und Frankreichs wurde er gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland wieder angemessen wahrgenommen.

Einen neuen der inzwischen zahlreichen Versuche, Nietzsche im deutschen Geist zu verankern, unternimmt nun Heinrich Detering. Er widmet sich den allerletzten Schriften Nietzsches, den sogenannten "Wahnsinnszetteln". Das sind jene wirren, verzweifelten, kleinen Notizen, Briefe und Appelle, die der Kranke mit schon schwindendem Verstand in die Welt schrieb. Detering versucht sie als Fortführung, wenn nicht gar als Vollendung seines Denkens zu deuten.

Deterings äußerst anspruchsvolles Akademiker-Deutsch kann sein grundlegendes Mißverständnis nicht kompensieren. Nietzsches Texten - besonders diesen letzten - kann man sich nicht ausschließlich hermeneutisch, also textinterpretatorisch, nähern. Man muss Nietzsche auch existentiell begreifen. Nur dieser doppelte Zugang, hermeneutisch und ethisch, wäre seinem Werk und seiner Intention angemessen.

Yasmina Reza: "Stücke" in zwei Bänden
Libelle Verlag.

"Mein Freund Serge hat ein Bild gekauft. Ein Ölgemälde von etwa ein Meter sechzig auf ein Meter zwanzig, ganz in Weiß. Der Untergrund ist weiß, und wenn man die Augen zusammenkneift, kann man feine weiße Querstreifen erkennen ..."

So beginnt eines der erfolgreichsten Bühnenstücke der Gegenwart: "Kunst" von Yasmina Reza. Sie ist eine Seismografin des Zeitgeistes – das zeigte sie nicht nur mit ihrem Porträt von Nicolas Sarkozy. Ihre Stücke werden weltweit gespielt, zuletzt machte sie Furore mit "Der Gott des Gemetzels".

Yasmina Reza, als Tochter einer Ungarin und eines Iraners 1957 in Paris geboren, begabt und preisgekrönt, ist schon jetzt eine Klassikerin der Dramaturgie. Eine angemessene Buchausgabe wäre also zu wünschen und - voilà: Der Schweizer Verlag Libelle legt zwei liebevoll gestaltete Bände mit Rezas Stücken vor, die sich, sollten sie nicht gerade irgendwo gespielt werden, auch wunderbar lesen lassen.

Einige davon editerte übrigens der hervorragende, inzwischen verstorbene Schriftsteller und Übersetzer Eugen Helmlé. Diese gelungenen Skizzen unserer Gesellschaft gehören unbedingt in den Bücherschrank:


Sigmund Freud. Unterdeß halten wir zusammen. Briefe an die Kinder"
Herausgegeben von Michael Schröter, Aufbau Verlag

Von Vätern und ihren Rechten ist in diesen Tagen viel die Rede. Und dabei tauchen auch Definitionen dessen auf, was ein guter Vater sei, und die sind unterschiedlich. Was könnten Modelle sein? Sigmund Freud war nicht nur Vater der Psychoanalyse, sondern auch von sechs Kindern. Wie ging er, der tief in die Seelen tauchte, mit ihnen um? Wie funktionierte die Familie Freud in der Wiener Berggasse mit einem Vater, der viel arbeitete? Aufschluss geben die jetzt erstmals in diesem Umfang veröffentlichten Briefe, die der Arzt an seine Kinder schrieb; bewegend, weil hier nicht der Analytiker spricht.

Es ist der Vater, der sich sorgt, der seine Söhne und Töchter individuell wahrnimmt und begleitet und der auf den Zusammenhalt der Familie achtet. Man könnte sagen: er fand das rechte Maß, war anwesend auch in Abwesenheit, hoch interessiert, aber nicht herrschsüchtig, liebevoll, aber nicht erdrückend.

Ein äußerst lesenswertes Buch, das uns den Privatmann Freud, die unterschiedlichen Lebenswege seiner Kinder und eine Studie bürgerlichen Lebens vom Anfang des 20. Jahrhunderts bietet. Aber eben auch: Das Psychogramm eines Vaters.