Kurz und kritisch
Zwei Neuerscheinungen über den November 1938 sowie der Bericht von Witold Pilecki, der sich 1940 unter falscher Identität ins Konzentrationslager Auschwitz einschleusen ließ.
Das Ende der deutsch-jüdischen Epoche
Der November 1938 war eine Zäsur. Gewaltsam beendeten die Nationalsozialisten eine deutsch-jüdische Epoche. So sieht es nicht erst heute ein Historiker wie Raphael Gross, der die Leo Baeck Institute in London leitet sowie das Jüdische Museum und das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main.
So klar sahen es schon damals die deutschen Juden, was vor allem für jene bitter war, die jahrelang trotz aller Erniedrigungen auf bessere Zeiten gewartet hatten, nun aber endgültig einräumen mussten, dass ihnen nur Auswanderung und Flucht als Alternative blieb – und die war den meisten verwehrt, weil sie kein Geld besaßen, um geschlossene Grenzen irgendwie doch zu überwinden.
Denen, die Vermögen hatten, wurde es nach und nach abgenommen. Raphael Gross schildert alle Etappen dieses Jahres, das noch schlechter ausfiel, als die deprimierenden Vorjahre. Und wie die Juden schließlich nach den Pogromen von SA und SS die Schäden an ihren Geschäften, Wohnungen und Synagogen auf eigene Kosten zu beseitigen hatten, bevor man sie endgültig enteignete.
Den Nationalsozialisten taten lediglich die zerstörten Sachwerte leid. Und deren stumme Anklage war ihnen unangenehm. Sie waren gemein, voller Hass und feige. So bringt es der Historiker auf den Punkt.
Obschon Adolf Hitler die Ausschreitungen auslöste, wollte niemand in der politischen Führung dafür verantwortlich gewesen sein. Die Propaganda verwies auf einen "berechtigten" Zorn des Volkes, den sie selbst geschürt hatte. Herschel Grynszpans wütendes Attentat in der deutschen Botschaft in Paris war da sehr gelegen gekommen. Dessen Zorn uns wiederum heute berechtigt scheint.
So klar sahen es schon damals die deutschen Juden, was vor allem für jene bitter war, die jahrelang trotz aller Erniedrigungen auf bessere Zeiten gewartet hatten, nun aber endgültig einräumen mussten, dass ihnen nur Auswanderung und Flucht als Alternative blieb – und die war den meisten verwehrt, weil sie kein Geld besaßen, um geschlossene Grenzen irgendwie doch zu überwinden.
Denen, die Vermögen hatten, wurde es nach und nach abgenommen. Raphael Gross schildert alle Etappen dieses Jahres, das noch schlechter ausfiel, als die deprimierenden Vorjahre. Und wie die Juden schließlich nach den Pogromen von SA und SS die Schäden an ihren Geschäften, Wohnungen und Synagogen auf eigene Kosten zu beseitigen hatten, bevor man sie endgültig enteignete.
Den Nationalsozialisten taten lediglich die zerstörten Sachwerte leid. Und deren stumme Anklage war ihnen unangenehm. Sie waren gemein, voller Hass und feige. So bringt es der Historiker auf den Punkt.
Obschon Adolf Hitler die Ausschreitungen auslöste, wollte niemand in der politischen Führung dafür verantwortlich gewesen sein. Die Propaganda verwies auf einen "berechtigten" Zorn des Volkes, den sie selbst geschürt hatte. Herschel Grynszpans wütendes Attentat in der deutschen Botschaft in Paris war da sehr gelegen gekommen. Dessen Zorn uns wiederum heute berechtigt scheint.

Cover - "November 1938" von Raphael Gross© C.H. Beck Verlag
Raphael Gross: November 1938 - die Katastrophe vor der Katastrophe
C.H. Beck Verlag, München 2013
128 Seiten, 8,95 Euro, auch als e-book erhältlich
C.H. Beck Verlag, München 2013
128 Seiten, 8,95 Euro, auch als e-book erhältlich
Zeitzeugenberichte zur Judenverfolgung
Wer mit wachem Verstand ihre Pläne gelesen habe, der wisse, dass sie mit einem Massenmord enden werden. Das prophezeite der Journalist Konrad Heiden im Pariser Exil nach den Pogromen, aber noch vor Auschwitz.
Er war überzeugt, die Nationalsozialisten brauchten das lang andauernde Elend der Juden, um sich einen Feind für ihren Krieg zu schaffen und zu erhalten, um das aktiv begeisterte wie das passiv skeptische Volk bei der Stange zu halten.
Die Judenverfolgung in Deutschland sei zudem eine "ohrenbetäubende Warnung" an alle Nationen, wie die NSDAP es auch mit allen anderen tun würde, die in ihre Hände fallen.
Deshalb schrieb er zeitnah eine Chronik des Novembers 1938, wertete dafür Zeitungsberichte und Interviews aus, die mit jüdischen Flüchtlingen geführt worden waren. Schon als Student hatte er sich für die junge Weimarer Republik eingesetzt, sah dabei Hitler und die NSDAP politisch aufsteigen.
In den Dreißiger Jahren verfasste er drei Bücher, die ihn bekannt machten, über die Geschichte des Nationalsozialismus, die Geburt des dritten Reiches und die Biografie Hitlers. Nach dem Krieg aber verlor die historische Forschung seine Arbeiten aus dem Blick.
Nun erinnern drei Wissenschaftler von der Arbeitsstelle Holocaust-Literatur der Justus-Liebig-Universität Gießen wieder an ihn, skizzieren sein Leben, aber vor allem gehen sie den Quellen nach, die er anonym zitierte, um niemanden zu gefährden.
Er war überzeugt, die Nationalsozialisten brauchten das lang andauernde Elend der Juden, um sich einen Feind für ihren Krieg zu schaffen und zu erhalten, um das aktiv begeisterte wie das passiv skeptische Volk bei der Stange zu halten.
Die Judenverfolgung in Deutschland sei zudem eine "ohrenbetäubende Warnung" an alle Nationen, wie die NSDAP es auch mit allen anderen tun würde, die in ihre Hände fallen.
Deshalb schrieb er zeitnah eine Chronik des Novembers 1938, wertete dafür Zeitungsberichte und Interviews aus, die mit jüdischen Flüchtlingen geführt worden waren. Schon als Student hatte er sich für die junge Weimarer Republik eingesetzt, sah dabei Hitler und die NSDAP politisch aufsteigen.
In den Dreißiger Jahren verfasste er drei Bücher, die ihn bekannt machten, über die Geschichte des Nationalsozialismus, die Geburt des dritten Reiches und die Biografie Hitlers. Nach dem Krieg aber verlor die historische Forschung seine Arbeiten aus dem Blick.
Nun erinnern drei Wissenschaftler von der Arbeitsstelle Holocaust-Literatur der Justus-Liebig-Universität Gießen wieder an ihn, skizzieren sein Leben, aber vor allem gehen sie den Quellen nach, die er anonym zitierte, um niemanden zu gefährden.

Cover - "Eine Nacht im November 1938"© Wallstein Verlag
Markus Roth, Sascha Feuchert, Christiane Weber (Hg.): Eine Nacht im November 1938 - Ein zeitgenössischer Bericht von Konrad Heiden
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
192 Seiten, 19,90 Euro
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
192 Seiten, 19,90 Euro
Der Mann, der nach Auschwitz wollte
Auch Witold Pilecki wollte berichten. Dazu ließ er sich 1940 in Warschau verhaften, um in das noch neue Konzentrationslager Auschwitz zu gelangen. Der Kavallerieoffizier hatte sich nach der deutschen Besetzung dem polnischen Widerstand und der Untergrundarmee angeschlossen.
In deren Auftrag organisierte er im KZ ein Netzwerk, mit dem sich politische Gefangene gegenseitig unterstützten, den Kontakt nach außen hielten und einen gewaltsamen Aufstand an einem fernen Tag X vorbereiteten. Mental half ihm diese Aufgabe zu überleben, wenngleich Entkräftung und Krankheit ihn mehrfach hart an den Rand des Todes brachten.
Mit intellektuellen Fähigkeiten seien er und seine Kameraden weniger weit gekommen als mit praktischen. Letztlich zählte körperliche Robustheit und ein ständiges "Auf-der-Hut-Sein". Augen und Ohren, so hält er fest, hätten im Lager am meisten gearbeitet.
Nicht die Befreiung des KZs, wohl aber die eigene Flucht gelang ihm nach drei Jahren. Und weitere fünf Jahre später, als eigentlich eine neue Zeit beginnen sollte, wurde er von Polens Kommunisten als "Spion und Verräter" hingerichtet.
In deren Auftrag organisierte er im KZ ein Netzwerk, mit dem sich politische Gefangene gegenseitig unterstützten, den Kontakt nach außen hielten und einen gewaltsamen Aufstand an einem fernen Tag X vorbereiteten. Mental half ihm diese Aufgabe zu überleben, wenngleich Entkräftung und Krankheit ihn mehrfach hart an den Rand des Todes brachten.
Mit intellektuellen Fähigkeiten seien er und seine Kameraden weniger weit gekommen als mit praktischen. Letztlich zählte körperliche Robustheit und ein ständiges "Auf-der-Hut-Sein". Augen und Ohren, so hält er fest, hätten im Lager am meisten gearbeitet.
Nicht die Befreiung des KZs, wohl aber die eigene Flucht gelang ihm nach drei Jahren. Und weitere fünf Jahre später, als eigentlich eine neue Zeit beginnen sollte, wurde er von Polens Kommunisten als "Spion und Verräter" hingerichtet.

Cover - "Freiwillig nach Auschwitz" von Witold Pilecki© Orell Füssli Verlag
Freiwillig nach Auschwitz. Die geheimen Aufzeichnungen des Häftlings Witold Pilecki
Orell-Füssli-Verlag, Zürich 2013
256 Seiten, 19,95 Euro
Orell-Füssli-Verlag, Zürich 2013
256 Seiten, 19,95 Euro