Kurz und kritisch

Ein eigener Geheimdienst für die CDU/CSU und die Springer-Presse - diese absurde Geschichte aus dem Kalten Krieg erzählt Stefanie Waske. Der Altlinke Reinhard Mohr rechnet mit Gesinnungsdruck, Piraten und Tabuzonen ab.
Was für ein Schreck: Die Sozialdemokraten haben die Wahl gewonnen! Es ist Herbst 1969, als das Unfassbare geschieht, und konservative Kreise aus CDU und CSU fürchten sogleich: Die Sozen werden die Bundesrepublik an die Sowjetunion ausliefern. Um das zu verhindern, gründen die Unionsparteien einen eigenen Geheimdienst. Denn dem BND wollen sie nicht mehr recht trauen – den hatte schließlich die neue Regierung übernommen.

Die illustren Namen hinter dem so genannten "Kleinen Dienst": Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg – nicht der spätere Fälscher einer Doktorarbeit, sondern sein Großvater –, Kurt Georg Kiesinger, Franz-Josef Strauß. Die Empfänger der Berichte: Neben konservativen Politikern auch etliche Journalisten der Springer-Presse.

Die Historikerin Stefanie Waske hat tausende Aktenseiten durchgearbeitet, viele davon bislang unter Verschluss. Entstanden ist eine flüssig geschrieben und spannend zu lesende Geschichte des Misstrauens im Kalten Krieg. Und das ist mehr als eine gelegentlich absurde Episode der deutschen Nachkriegszeit: Es ist die stets aktuelle Mahnung, sich selbst und die eigene Partei nicht für wichtiger zu halten als den demokratischen Rechtsstaat.

Cover Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!"
Cover Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten!"© Carl Hanser Verlag
Stefanie Waske: "Nach Lektüre vernichten! Der geheime Nachrichtendienst von CDU und CSU im Kalten Krieg"
Carl Hanser Verlag, ISBN: 978-3-446-24144-2, 303 Seiten, 19,90 Euro


Eigentlich ist sein Lebenslauf über jeden Verdacht erhaben. Reinhard Mohr war Vorsitzender des AStA in Frankfurt, Redakteur der Sponti-Zeitschrift "Pflasterstrand" und der linken "taz". Er wohnte in WGs, ging auf Demos, warf auch mal Steine – ein beinahe idealtypischer Vertreter also der Protest-Generation in den Jahren nach '68.

Wären da nicht diese Selbstzweifel! Denn plötzlich ertappt sich so einer selbst dabei, wie er sich über lärmende Rücksichtslosigkeiten einer nachwachsenden Spaß-Guerilla aufregt, über Piraten, die Parlamente als Bühnen ihrer Ahnungslosigkeit missbrauchen, und über die "geistigen Langschläfer im Öko-Kiez". So hätten sie das damals nicht gemeint. Meint Mohr.

Aber das haben sie daraus gemacht, die eigenen Leute und die Nachfolger, die gerade im Protest ein paar sehr bequeme Nischen entdeckten und besetzten. Mohr braucht eigentlich nur aufzuzählen: den multi-kulti-seligen Gesinnungsdruck, die als Toleranz getarnte Ignoranz gegenüber weltanschaulichen Verwerfungen, die leeren Europa-Floskeln und die sich ausweitenden Tabuzonen im Zusammenhang mit DDR-Vergangenheit, Kopftuchdebatte und griechischer Finanzpolitik.

Ob er reaktionär sei, fragt Mohr eher rhetorisch. Sein Buch ist eine freundlich und humorvoll geschriebene, aber saftige Abrechnung mit denen, die es tatsächlich sind.

Cover Reinhard Mohr: "Bin ich jetzt reaktionär?"
Cover Reinhard Mohr: "Bin ich jetzt reaktionär?"© Gütersloher Verlagshaus
Reinhard Mohr: Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken
Gütersloher Verlagshaus, ISBN: 978-3-579-06638-7
189 Seiten, 17,99 Euro