Kurator über Mondlandung und die Kunst

"Ein riesengroßes Happening"

07:45 Minuten
Die unterschiedlichen Phasen einer Mondfinsternis.
Die Phasen der Mondfinsternis haben schon viele Künstler inspiriert. In seinem Buch beschreibt Lukas Feireiss den Einfluss des Mondes auf die Kunst. © Unsplash / Mark Tegethoff
Lukas Feireiss im Gespräch mit Ute Welty · 19.07.2019
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Auf dem Mond war der Autor und Kurator Lukas Feireiss bislang nur in einer Hypnose-Performance. Er spricht von einer fantastischen Erfahrung. Seit Jahren schon widmet er sich der Frage, wie sich Künstler mit dem Himmelskörper beschäftigen.
Die Mondlandung vor 50 Jahren beeindruckte viele Künstler weltweit, die sich diesem historischen Moment in ihren Werken widmeten. Von einem Happening-Charakter spricht der Autor und Kurator Lukas Feireiss und hat sich in einem Buch mit diesem Ereignis der visuellen Kunstgeschichte intensiv beschäftigt. Er hat in der Kunst, Musik, in der Architektur, in der Literatur und im Tanz viele Beispiele dafür gefunden, wie Künstler auf den Traum von der Reise zum Mond reagiert haben. Vor allem vor der Mondladung habe es ein riesiges Happening gegeben, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Der Mond und die Kunst, das ist großes Thema für Lukas Feireiss. In seinem Buch "Der Traum von der Reise zum Mond" zeichnet er eine visuelle Kunstgeschichte der Erforschung des Mondes nach, und zwar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und anlässlich des Jubiläums der Mondlandung hat er in München eine Ausstellung kuratiert namens "Intergalactic". Guten Morgen, Herr Feireiss!
Lukas Feireiss: Guten Morgen!
Welty: Sind Sie mondsüchtig, oder woher kommt Ihr Interesse, Ihr künstlerisches Interesse am Mond?
Feireiss: Ja, das bin ich tatsächlich. Es hat bei mir vor vielen Jahren begonnen im Rahmen der Lehre, als ich ein Seminar unterrichtet habe an der Kunsthochschule. Da ging es um den Einfluss der Mondlandung und der Space Age of Kunst, Design und Kultur, und da begann es für mich.
Welty: Diese erste Mondlandung von vor 50 Jahren, wie ist die denn von Künstlerinnen und Künstlern verarbeitet worden?
Feireiss: Das Spannende ist, wie ist sie nicht nur verarbeitet worden, sondern wie ist sie vorbereitet worden. Und das ist so bisschen auch ein Fokus, den ich in dem Buch setze, wie im Laufe der Menschheitsgeschichte die Kunst auch die Wissenschaft beeinflusst hat und wie künstlerische Positionen Wissenschaftler angeregt haben. Also, jetzt ganz banal Jules Verne genannt, der ja quasi jetzt der Einfluss für alle folgenden Raketenwissenschaftler gilt. Und dann hat die Kunst, in der Musik, in der Architektur, in der Literatur immer wieder auf den Traum von der Reise zum Mond reagiert.

Neues Phänomen der Architektur

Welty: Also die Romane von Jules Verne kennt man natürlich, aber Architektur, Musik, wo gibt es da Beispiele?
Feireiss: Wir haben natürlich in der Phase kurz vor der Mondlandung und um die Mondlandung herum ein neues Phänomen der Architektur wahrgenommen, wo sich Architekten mit der Idee der Schwerelosigkeit auseinandergesetzt haben. Das ist natürlich bahnbrechend in der Architektur, die sehr statisch ist, dass man mit den ersten Bildern der Astronauten im Weltall und auch des Space Suits, also des Raumanzuges, was ja so eine autonome Architektur in gewisser Weise darstellt, man plötzlich über Räume in Schwerelosigkeit, den Zero Gravity nachdenken konnte.
Das hat zu ganz vielen Experimenten geführt – von Coop Himmelb(l)au bis Haus Rucker, Archigram –, die in ihren Architekturmodellen sich eigentlich ganz stark angelehnt haben an diese Lunar Exploration Modules, also an diese Landemodule, die auf dem Mond. Auch der Maßstab, also einfach die Raketen, die waren so groß, dass auch so ganz megalomanische Projekte da entstanden sind. Die schiere Größe war neu.
Welty: Zum Start von Apollo 11 hat die Nasa dann selbst namhafte Künstler eingeladen wie Robert Rauschenberg, den vor allem die medial vermittelten Bilder der Mondlandung interessiert haben. Würden Sie sagen, diese Mondlandung war eine künstlerische Inszenierung, vielleicht sogar so etwas wie ein Happening?
Feireiss: Absolut, würde ich absolut unterstreichen. Da ist auch jetzt viel flöten gegangen, das wird heute jetzt nicht mehr so aufgegriffen. Damals, also vor der Mondlandung, war es ein riesengroßes Happening. Sie hatten Rauschenberg genannt, viele andere, wirklich große zeitgenössische Künstler, die eingeladen wurden, darüber zu reflektieren – Norman Mailer zum Beispiel auch, sollte drüber schreiben, ist auch gerade vor Kurzem noch mal veröffentlicht worden –, aber die waren richtig von der NSA engagiert.
Das findet eigentlich jetzt aktuell nicht statt, und der größte Coup war kurz vorher. Ich weiß, ein Jahrzehnt vorher gab es diese unfassbare, fast unheimliche Verbindung zwischen Wernher von Braun, der so der Mastermind hinter der Mondlandung war und gleichzeitig in einer sehr widersprüchlichen Position, da er auch in Peenemünde für Hitler und die Nazis die V2-Rakete entwickelt hat, die gleiche Rakete, die übrigens auf dem Mond gelandet ist.
Und der ist in den 1950er-Jahren ein Bündnis mit Walt Disney eingegangen, und das war bahnbrechend. Das hat sozusagen diesen Samen gelegt, auch in der Allgemeinbevölkerung, des Traums von der Reise zum Mond. Also die Kombination von Wernher von Braun und Walt Disney in den 50er-Jahren, das war das große Happening.

Kaninchen im Mond

Welty: Welche Rolle spielt, dass man immer meint, im Mond ein Gesicht zu erkennen?
Feireiss: Ja, das hängt von der Kultur ab. Manche sehen Gesichter, andere sehen Lebewesen, in Asien sind es eher Kaninchen oder Hasen, die man sieht. Ich denke, dass der Mond eine wunderbare Projektionsfläche ist für allerlei Gedanken, dass in gewisser Weise die Weltraumreise zum Mond den Flug der Fantasie par excellence darstellt und in gewisser Weise auch so einen Testflug für Ideen, die Realität werden könnten. Das ist ja das Tolle an der Mondreise, dass wir eigentlich eine fantastische Idee haben, die plötzlich Realität wird, die Rocket-Science wird.
Welty: Videokünstler Nam June Paik geht noch einen Schritt weiter, indem er den Mond als die ältestes Form des Fernsehens beschreibt. Was genau meint er damit?
Feireiss: Ja, Sie beziehen sich da auf eine Arbeit aus den 1960er-Jahren, ich glaube 65 oder 67, das ist so eine kontemplative Medienskulptur, verschiedene Fernseher und Magneten, und das sieht aus wie unterschiedliche Mondphasen. Ich denke, was er damit meint, ist, dass im Grunde sich alle großen Geschichten, alle großen Mythen, alle großen Sagen entspannen sich durch den Blick in den Nachthimmel. Da wird man zurückgeworfen auf ganz existenzielle Fragen des Daseins in einem größeren unbegreiflichen Gefüge.

Erste Afronautin

Welty: Wozu es bislang nicht gekommen ist, das sind die High Heels auf dem Mond, was die französische Künstlerin Sylvie Fleury dringend ändern will. Muss dann die Geschichte des Mondes neu geschrieben werden?
Feireiss: Ja, unbedingt. Man muss auch bedenken, auf dem Mond waren zwölf Menschen, sind alles Männer, sind alle weiß, sind alle Amerikaner. Die ursprüngliche Planung von US-Präsident John F. Kennedy war, ein ganz gemischtes Team auf den Mond zu schicken. Da waren Frauen, Männer, Schwarze, Koreaner, Weiße, also alles Amerikaner, das wurde dann aber gecancelt nach seinem Tode. Ja, es gibt viele Frauen, Künstlerinnen, die sich damit auseinandersetzen, auch schon seit langer Zeit.
Ich zeige gerade in München eine Arbeit von einer Künstlerin aus Ghana, Nuotama Bodomo, das heißt "Afronauts", da wird eine ganz bizarre Geschichte wiedererzählt oder politisch reflektiert. In den 1960er-Jahren gab es in Sambia einen Mann, Edward Nkoloso, der die Russen und die Amerikaner besiegen wollte, also vorher auf dem Mond landen wollte, und dafür eine junge Frau trainierte. Das war die erste Afronautin, und die Arbeit von Bodomo setzt sich mit dieser quasi Idee oder Anekdote auseinander.
Dann haben wir eine ganz tolle filmische Arbeit auch von Ulrike Kubatta, eine deutsche Filmemacherin. Das heißt "She Should Have Gone to the Moon", und das ist so eine Mischung aus Dokumentarfilm und fiktivem Film über Jerry Truhill. Das war eine Pilotin, die – ist auch eine unbekannte Geschichte – in den 1950er-, 1960er-Jahren ausgebildet wurde. Da gab es ein Mercury-13-Programm, wo Frauen als Astronautinnen getestet wurden, und die Frauen haben eigentlich alle besser abgeschnitten als die Männer …
Welty: Wie immer doch eigentlich, oder?
Feireiss: Wie immer doch eigentlich. Trotzdem wurde es dann abgesägt. Und diese Arbeit setzt sich damit auseinander.

Unberührter Mond

Welty: Genau, deswegen wurde es abgesägt.
Feireiss: Ja, genau, das ist auch eine ganz politische Geschichte. Laurie Anderson hat sich damit stark beschäftigt, Aleksandra Mir, eine andere Künstlerin, hat ein Projekt, das heißt "First Woman on the Moon", das ist eine Performance, eine Installation, wo das so nachgestellt wird. Also da gibt es ja ganz viele spannende Positionen, da muss ganz viel getan werden.
Welty: Die erste Frau auf dem Mond können Sie nicht werden, aber würden Sie gerne zum Mond fliegen?
Feireiss: Weiß ich gar nicht, offen gestanden. Das Schöne an dem Mond ist, dass er unberührt in gewisser Weise bleibt und auch für einen selber alles Projektionsfläche bestehen bleibt. Ich war in gewisser Weise auf dem Mond, da war ich im Rahmen einer Ausstellung in München. Da gab’s eine Hypnose-Performance von einem mexikanischen Künstler, Nahum, der mal mit einer Art geleiteten Hypnose oder geleiteten Meditation auf dem Mond war, und das war eine ganz fantastische Erfahrung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Lukas Feireiss: "Der Traum von der Reise zum Mond"
Sector Books, Leipzig 2016, 260 Seiten, 14 Euro.

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