Kunstturn-Kunst

Wenn aus geretteten Turner-Utensilien eine Skulptur wird

05:21 Minuten
Holger BEHRENDT, (Olympiasieger Turnen RINGE 1988 Olympische Sommerspiele SEOUL) in seiner alten Trainigshalle Potsdam Luftschiffhafen.
Holger Behrendt in seiner alten Trainingshalle Potsdam Luftschiffhafen an den Ringen. Zu Tobias Billerts Sammlerstücken zählt ein Ring, an dem der Olympiasieger von 1988 turnte. © imago images / Camera 4
Von Caroline Kuban · 14.03.2021
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Er schaffte es in seiner Jugend bis in die DDR-Juniorenauswahl, gewann in dieser Mannschaft EM-Silber. Heute ist Tobias Billert Physiotherapeut der deutschen Turn-Nationalmannschaft – und sammelt begeistert Utensilien, die an seinen Sport erinnern.
Die Siegerfanfaren sind längst verklungen, die Sportgeräte abgebaut. Wo die einst so erfolgreichen Potsdamer Turner an Reck und Barren, Pferd und Ringen trainierten und bei Meisterschaften für Begeisterung sorgten, herrscht heute nur noch gähnende Leere. Statt Fanfaren tönt Baulärm durch den Raum.
Ein halbes Jahrhundert lang trainierten hier junge Turner und Studenten von der Potsdamer Universität. Tobias Billert ist einer von ihnen. Als Siebenjähriger kam er an die Kinder- und Jugendsportschule des damaligen ASK Vorwärts Potsdam, dessen Turnerriege jahrzehntelang zu den besten der Welt gehörte.
Die Fassade der alten Turnhalle in Potsdam.
Die alte Turnhalle in Potsdam des ASK Vorwärts war eine Medaillenschmiede.© Caroline Kuban
"Wenn man reingekommen ist in die Turnhalle, war es so, dass wir in der Mitte unseren großen Bodenteppich hatten, der war damals rot. Und dementsprechend um den Boden rum waren die Geräte platziert", erinnert sich Billert.
"Wir haben hier zur linken Hand an der Wand eine Schaumgummigrube, wo Reck und Ringe standen einerseits, und am Kopfende der Turnhalle eine zweite Schaumgummigrube, wo wir Boden- und Sprung trainiert haben… bis man eben auf den Füßen landet, bevor man das auf einer originalen Mattenlage turnt im Wettkampf."

Medaillenschmiede ASK Vorwärts Potsdam

23 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen gewannen die Potsdamer Turner. Zum Beispiel Holger Behrendt, Olympiasieger 1988 in Seoul, oder Bernd Jäger, der für seine Reckübung einen Salto kreierte, der nach ihm benannt wurde und der heute noch zum Standardrepertoire der Turnelite gehört. Sie zählen zu den berühmtesten Namen der Potsdamer Turngeschichte.
"Wir haben hier nicht nur interne Ausscheidungen gemacht, sondern auch DDR-Meisterschaften wurden hier geturnt", erläutert Tobias Billert. Er schaffte es bis in die DDR-Juniorenauswahl, gewann Silber bei den Junioren-Europameisterschaften und beendete dann seine aktive Karriere.
Heute ist er als Physiotherapeut der deutschen Turn-Nationalmannschaft immer noch nah dran am sportlichen Geschehen. Seine Potsdamer Praxis wirkt wie ein Museum. Hier bringt Billert alles unter, was an die glorreichen Zeiten von einst erinnert: Zum Beispiel die Reckleder früherer Weltmeister, die die Hände der Turner schützen, alte Turnbänke, Kästen und Sprossenwände.
Tobias Billert in seiner Praxis. Im Hintergrund die alte Turnhalle als Wandtapete.
Tobias Billert bewahrt in seiner Praxis Erinnerungsstücke an seinen Sport auf.© Caroline Kuban
Sein jüngster Fang ist ein Ringe-Gerüst, und zwar jenes, an dem Holger Behrendt seinen Olympiasieg in Seoul vorbereitete. "Dieses Ringe-Gerüst, das wurde abgebaut vor 20 Jahren und ist in einen kleinen Raum verschafft worden, mit anderen Altgeräten, und wurde vergessen. Teilweise wurden die Ringe auch schon abgeschnitten, diese Holzringe, an denen wir uns festhalten. Leider Gottes ist einer verloren gegangen, einen konnte ich noch finden."

Neue Bedeutung des "Kunst-Turnens"

Billert wollte nicht zusehen, wie das traditionsreiche Sportgerät auf dem Müll landet, und erwarb es vom Märkischen Turnerbund gegen eine Spende. Wohin nun aber mit einem Gerüst von sechs Metern Höhe und 2 Meter 80 Breite?
Billert kam auf die Idee, dem "Kunst-Turnen" eine neue Bedeutung zu geben. Er beauftragte den Berliner Skulpturen- und Faltkünstler Florian Neufeldt, das Sportgerät in ein Kunstobjekt umzuwandeln.
Seither tüftelt der bildende Künstler in seinem Atelier in Moabit mit Papierfaltungen und 3-D-Zeichnungen an unterschiedlichen Ideen für das Gerüst: "Das ist ganz schön, dass es so aufgeladen ist, aufgeladen durch die körperliche Energie, die da reingeflossen ist. Ich habe mir auch die Halle angeguckt und auch von der Geschichte, weiß, wie er da als kleiner Knirps quasi schon dranhing, und viele andere auch, die dann später sehr erfolgreich wurden. Das vernetzt sich, das verspannt sich in so einem gedanklichen und symbolischen Raum."
Die besondere Form und Dimension des Objekts ist für Neufeldt eine Herausforderung: "Das sind 6-mal-6-Vierkantrohre, Rechteckrohre, die werden ineinandergesteckt. Und dann gibt es ja so kleine Features, wie hier ein Haken für das Stahlseil. Es gibt nur noch einen von den Holzringen, das sind dann so Situationen, mit denen man umgehen muss. Dafür muss man dann skulpturale oder künstlerische Lösungen finden."

Standort für das Werk noch unklar

Seine aktuelle Lösung sieht vor, das Gerüst auf den Kopf zu stellen und dadurch aussehen zu lassen wie einen Torso. Aber das sei nur eine von vielen Ideen, sagt Florian Neufeldt, noch nichts Endgültiges. "Ich glaube, mit einem Stück wie mit den Ringen, wenn das umgebaut ist, etwas Leben in die neue Turnhalle reinbringen zu können – und etwas Tradition natürlich auch."
Wo das künstlerisch komprimierte Ringe-Gerüst einmal seinen Platz finden wird, ist noch nicht klar. Tobias Billert sähe es am liebsten in der neuen Turnhalle am Luftschiffhafen.
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