Kunstmuseum Bonn

En passant – musikalisches Flanieren

Gemälde mit einem Mann im Straßengeschehen
Ernst Ludwig Kirchners Blick auf Flaneure © Brücke-Museum Berlin / Ernst Ludwig Kirchner: Straßenszene, 1926
Moderation: Olaf Wilhelmer · 13.11.2018
Lichter der Großstadt, nasser Asphalt und viele Menschen. In Gruppen die einen, vereinzelt die anderen, jeder auf seinem Weg. Dem Flaneur, der zum „Auge der Stadt“ wird, widmet das Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung. Das Galeriekonzert unternimmt dazu einen musikalischen Streifzug.
Großstadtszenen mit belebten Boulevards und Plätzen gehören zu den wichtigsten Motiven der Malerei im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Immer wieder griffen sowohl impressionistische als auch expressionistische Künstler in ihren Gemälden einzelne Figuren heraus, hoben Flaneure gleichsam mit dem Scheinwerfer aus der Menge hervor. Das Kunstmuseum Bonn zeigt gegenwärtig solche Motive in seiner Ausstellung "Der Flaneur".

Im Vorüberstreifen

Gleichzeitig wurde der ziellos treibende Flaneur zu einer Hauptfigur der literarischen Moderne: "Verborgen dir mein Weg und mir, wohin du musst / O du, die mir bestimmt, o du, die es gewusst!" Mit diesen Worten sann der französische Lyriker Charles Baudelaire (hier in der Nachdichtung Walter Benjamins) Mitte des 19. Jahrhunderts einer unbekannten Schönheit nach, die er auf der Straße gesehen hatte.
Eine junge Frau in Straßenkleidung im Profil gemalt
Louis Anquetin ist fasziniert vom Straßenleben seiner Zeit© Van Gogh Museum Amsterdam / Louis Anquetin: Femme sur les Champs-Élysées, la nuit, 1890/91
Und die Brüder Goncourt sekundierten: "Nichts lebt für mich, nur das, was im Vorüberstreifen meine Seele anrührt, das Kleid einer Frau…"

Was hören Flaneure?

Das Kunstmuseum Bonn mit seiner Sammlung expressionistischer Meisterwerke widmet dem Flaneur eine Ausstellung mit Gemälden von Camille Pissarro, August Macke, Ernst Ludwig Kirchner und anderen Künstlern bis hin zur Gegenwart.
Blick in einen Bereich des Kunsmuseums Bonn mit vielen Bildern
Flanieren durch Flaneure in Bonn© Kunstmuseum Bonn, Der Flaneur, 2018 / David Ertl
Doch welche Rolle spielt Flanieren eigentlich in der Musik? Hören Flaneure überhaupt zu? Flanieren Komponisten? Gibt es Flanier-Musik, die einer Straßenszene von August Macke oder einem Gedicht von Charles Baudelaire ebenbürtig wäre?

Das Notenheft als Stadtplan

Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher begibt sich auf einen Streifzug durch Werke von Mussorgskij bis Boulez. Modest Mussorgskij, der das urbane Dahinschlendern als Form des Kunstgenusses in seinen "Bildern einer Ausstellung" komponiert; Pierre Boulez, der die Interpreten seiner Dritten Klaviersonate zum Flaneuren des Notentextes macht: "Ich habe das Werk oft mit einem Stadtplan verglichen: Man kann diesen Plan nicht ändern, man nimmt die Stadt so, wie sie ist, aber man hat verschiedene Möglichkeiten, sie zu durchstreifen, verschiedene Möglichkeiten, sie zu besichtigen."
Blick in einen Raum des Kunsmuseums Bonn
Ein Blick in die aktuelle Ausstellung© Kunstmuseum Bonn, Der Flaneur, 2018 / David Ertl
Angereichert wird dieser musikalische Spaziergang um eine von Bernd Braun vorgetragene Auslese unterschiedlichster Texte über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Flanierens – von Friedrich Engels‘ Londoner Beobachtung, dass die Menschen "aneinander vorüber rennen, als ob sie gar Nichts gemein, gar Nichts miteinander zu thun hätten" bis zu Walter Benjamins Pariser Notiz, die Straße werde "zur Wohnung für den Flaneur".
Dichtes Straßentreiben in Berlin, gemalt von Rudolf Schlichter
Rudolf Schlichter: Hausvogteiplatz, um 1926 (Auszug)© Rudolf Schlichter: Hausvogteiplatz, um 1926 / Edition und Galerie Volker Huber
Aufzeichnung des Konzertes vom 7. November 2018 im Kunstmuseum Bonn
Modest Mussorgskij
"Promenade" aus: "Bilder einer Ausstellung"
Francis Poulenc
Vier Stücke aus: "Promenades"
Arthur Lourié
"Spaziergang" aus: "Tagesordnung"
Federico Mompou
"Suburbis"
Steffen Schleiermacher
"Klungkung"
Pierre Boulez
"formant 3: constellation-miroir" aus: Sonate für Klavier Nr. 3
Erik Satie
"Sports et Divertissements"
Texte von Charles Baudelaire, Walter Benjamin, Nikolai Gogol, Fernando Pessoa u.a.

Steffen Schleiermacher, Klavier und Moderation
Bernd Braun, Sprecher

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