Kunsthistoriker zu den Folgen von Corona

"Unsere Kulturgeschichte wird in Frage gestellt"

32:09 Minuten
Eine Besucherin steht in einem Museum vor antiken Skulpturen
Die deutsche Kulturnation ist auf Museen aufgebaut, sagt der Kunsthistoriker Johannes Odenthal. © imago/VWPics/Sergi Rebored
Johannes Odenthal im Gespräch mit Nana Brink · 27.03.2020
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Ein demokratisches Leben ohne Begegnungen in Museen, Theatern, öffentlichen Räumen? Undenkbar, sagt Johannes Odenthal von der Berliner Akademie der Künste. Durch die Corona-Krise sei unsere Kulturgeschichte infrage gestellt.
Eine John-Heartfield-Ausstellung ist in der Berliner Akademie der Künste fertig aufgebaut, doch Publikum darf wegen der Corona-Pandemie nicht hinein - nur virtuell. Als eine "Schockstarre" empfindet der Programmbeauftragte der Akademie, Johannes Odenthal, diese Situation. Gerade das Beispiel Heartfield zeige, wie sich Kunst immer wieder habe politisch einmischen können und aufgeklärt habe. "In diesem Moment, in dem wir jetzt sind, ist diese Stimme der Kunst, der Kultur nicht wirklich gefragt. Es sind die Virologen, die an erster Stelle stehen", sagt Odenthal.
Johannes Odenthal im Porträt
Der Kunsthistoriker Johannes Odenthal, Programmbeauftragter der Berliner Akademie der Künste© imago/Wolf P. Prange
Aber: Ein gesellschaftliches, demokratisches, aufklärerisches Leben sei ohne die Begegnung im öffentlichen Raum, in den Institutionen der Kultur wie Museen, Theatern oder Kinos "nicht denkbar", so Odenthal weiter. "Die deutsche Gesellschaft ist als Kulturnation aufgebaut auf den Museen, in denen sich das Individuum an der Kunst positionieren konnte, als Individuum in einem sozialen Kontext."

Öffentlichkeit als Basis von Kultur seit der Antike

Strukturen wie diese seien die Basis von Kultur, wie wir sie seit dem Römischen Reich und dem antiken Griechenland kennen. Odenthal nennt als Beispiele die Agora, das Stadion, den Theaterraum, die öffentlichen Plätze. "Das heißt, wir stehen hier an einer Stelle, wo eine enorme Kulturgeschichte des öffentlichen, sozialen, kulturellen Lebens infrage gestellt wird. Das ist der Punkt, an dem wir vertieft nachdenken müssen darüber, was das denn bedeuten würde."
Odenthal sieht bereits Handlungsbedarf für die Zeit nach der Krise - und zwar bei der künstlerischen Produktion. In allen Institutionen gebe es eine "selbstgeschaffene Überforderung" in der Produktion von Kunst und auch in der Konkurrenz zu anderen Institutionen. "Alles das ist sehr wertvoll, ist ein wahnsinniger Motor von gesellschaftlicher Entwicklung, aber er wird danach anders aussehen." Es müsse mehr Zeit für die künstlerische Recherche geben, für Vertiefung, für Verdichtung, für mehr Qualität statt Quantität. Dann könne man wieder "sehr kompakt" in die Öffentlichkeit gehen.
(bth)
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