Kunsthalle Hamburg

Frauen, die ihre Fesseln sprengen

Die Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre" ist in Hamburg zu sehen.
Die Ausstellung "Feministische Avantgarde der 1970er Jahre" ist in Hamburg zu sehen. © dpa / picture alliance / Ulrich Perrey
Von Anette Schneider · 13.03.2015
Frauen gelten als weitgehend emanzipiert und doch zeigt die Kunsthalle Hamburg eine Ausstellung zu feministischer Avantgarde der 70er. Haben die Kuratoren was verpasst? Wohl kaum: Viele Themen sind erschreckend aktuell, meint unsere Autorin.
In ihrem Video "Semiotics of the Kitchen" von 1975 steht die US-amerikanische Künstlerin Martha Rosler in einer Schürze hinter einem Tisch voller Küchengeräte. Mit unbeweglichem Gesicht präsentiert sie Messer, Gabel, Hamburger-Presse. Dabei werden ihre Gesten immer aggressiver, bis die Gerätschaften Waffen gleichen - gegen das gesellschaftlich verordnete Dasein der Frau als Mutter und Hausfrau.
34 internationale feministische Künstlerinnen zeigt die mitreißende Ausstellung der Wiener Sammlung "Verbund". Künstlerinnen, die in den 1970er-Jahren durch Vietnamkrieg, Bürgerrechts- und Frauenbewegung politisiert wurden, und die im Kampf für Emanzipation und Gleichberechtigung erstmals kollektiv auftraten. Sammlungsleiterin Gabriele Schor:
"Mir war wichtig, die Begriffe Feminismus und Avantgarde zusammenzubringen, weil wir die eigentlich nicht so zusammen denken. Weil: Avantgarde ist ja männlich dominiert. Wir kennen den Surrealismus, den Futurismus, wir kennen dann die Neo-Avantgarde nach dem Krieg. Aber wir denken nicht daran, dass auch in den 70er-Jahren sehr viele Frauen Pionierarbeit geleistet haben. Und der Ausstellungstitel 'Feministische Avantgarde' unterstreicht die Pionierrolle, die diese Frauen in den 70er-Jahren gehabt haben."
Die Frau als Sexobjekt
Grob nach Themen geordnet erlebt man nun, was die Künstlerinnen damals umtrieb. Vieles davon wirkt erschreckend aktuell. Etwa: Die Frau als Sexobjekt. Als Ware. Die französische Künstlerin Orlan zerschnitt dafür ein lebensgroßes Foto ihres nackten Körpers und hängte auf einem Markt Arme, Beine und Brüste an ein Gestell - wie bei einem Schlachter. Kuratorin Merle Radtke:
"Es sind die klassischen Rollenbilder, die aufgegriffen werden, die von der Gesellschaft vorgegeben werden: Natürlich die Mutter, die Ehefrau. Sie überzeichnen natürlich diese Rollen ganz stark. Wir alle kennen diese Rollen, und erkennen sie eigentlich sofort. Auch noch heute, was natürlich ganz spannend ist: Dass es nicht so fremd ist, wie man vielleicht 40 Jahre später denken könnte."
Die Künstlerinnen nutzen vor allem Videotechnik und Fotografie, mit denen sie Entwicklungen zeigen können: Man sieht, wie sich Frauen aus einengenden Kleidern oder Verbänden befreien, und so symbolhaft die Fesseln der traditionellen Rolle sprengen. Andere begegnen dem engen bürgerlichen Frauenbild mit einer Vielfalt von Identitäten: Die 22-jährige Cindy Sherman mimt in einer Fotoserie von 1976 die Fahrgäste eines Busses, verwandelt sich in junge und alte Menschen, in Männer und Frauen, Schwarze und Weiße.
Gabriele Schor: "Anfang der 70er-Jahre einen Fotoapparat zu nehmen und einfach sich zu verwandeln, sich zu fotografieren: Das war radikal. Das war neu. Weil: Normalerweise hat man unter Kunst die Malerei verstanden."
Zerschmetterte Schönheitsideale
Wieder andere zerschmettern selbstironisch die gängigen Schönheitsideale, drücken ihre Gesichter und Brüste an Glasscheiben platt. Schön, hässlich? Wer bestimmt das? Jahrhundertelang schrieben Männer - und Künstler - das Bild der Frau fest. In den 70er-Jahren entwickeln Frauen erstmals in der Geschichte ihr eigenes Bild - ironisch, frech, selbstbewusst, provozierend und verstörend. Und, so Gabriele Schor:
"Sie organisieren sich selbst. Sie organisieren Ausstellungen. Sie protestieren vor den Ausstellungen, dass da nur Männer teilnehmen und keine Frauen. Sie schreiben eigene Manifeste, Pamphlete."
Dass die feministische Avantgarde nun erstmals umfassend vorgestellt werden kann, und sich dabei als sehr aktuell erweist, ist allein Gabriele Schor zu verdanken: Sie erhielt 2004 vom österreichischen Stromriesen "Verbund" den Auftrag, eine Kunstsammlung aufzubauen, und hat dafür freie Hand. Ihr weltweit wohl einzigartiger Sammlungsschwerpunkt stand fest, als sie entdeckte, dass die internationale feministische Avantgarde bis heute von vielen Museen ebenso ignoriert wird, wie von der Kunstgeschichtsschreibung.
"Als hätten diese Künstlerinnen nicht existiert! Und deshalb schreiben wir mit dieser Ausstellung die Geschichte um! Es geht einfach darum, den Kanon zu erweitern. Zu sehen: Hoppla, da hat es noch eine Avantgarde gegeben!"
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