Kultursymposium Weimar 2016

Vom Sinn des Teilens und Tauschens

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Gemüse anbauen und die Ernte teilen - Gemeinschaftsgarten auf dem Flughafengelände Berlin Tempelhof © Imago/Angerer
Von Henry Bernhard · 03.06.2016
Carsharing, Foodsharing, Couchsurfing - geteilt wird heutzutage eine Menge. Doch wer profitiert davon? Und geht es eigentlich immer nur um Profit? In Weimar haben sich 600 Wissenschaftler und Künstler mit diesen Fragen befasst.
Andreas Feddersen: "I have a smartphone!"
Im Keller des Kasseturms, eines Studentenclubs in Weimar, übergibt der Besucher Andreas Feddersen zögerlich sein Smartphone an eine junge Frau, die ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "Enter Mephisto" trägt. Es geht um ein Spiel.
"Unheimlich! Mein Telefon wird missbraucht! Alles wird neu konfiguriert für dieses eine Spiel!"
Die junge Frau installiert ein Programm auf dem Handy, erklärt ein paar Regeln.
"Das ist wahrscheinlich auch so ein Vertrauenstest, was man mit sich machen lässt! Jetzt will 'Mephisto' auf meine Kontrakte zugreifen. Soll ich das machen? Nee, ich glaube, das mache ich nicht! Is it necessary to accept?"
Frau: "O yeah!"
Feddersen: "Really!?"
Frau: "The contacts are for selling your friends."
Ja, da Programm müsse auf seine Kontakte zugreifen, weil es ja darum ginge, seine Freunde zu verkaufen.
Feddersen: "Also, ich muss jetzt wirklich meine Freunde verkaufen. Ich hoffe mal wirklich, das bleibt im Rahmen dieses Spiels. Ich akzeptiere."
Und in der Tat bekommt er für seine wichtigsten Kontakte, für Verwandte und nahe Freunde, das meiste Spielgeld, für das er sich dann Zitate aus Goethes "Faust" kauft, die für Freiheit, Wissen, Familie oder Ruhm stehen.

Teilen aus Not oder Vernunft

"Enter Mephisto" ist nur eine Facette des Kultursymposiums "Teilen und Tauschen" des Goetheinstituts. 85 Veranstaltungen gab es insgesamt in drei Tagen. Die 600 Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler, Ethnologen, Künstler, Studenten fanden fast alles, was sich über das Teilen und Tauschen nur sagen lässt – aus den verschiedensten Perspektiven.
Teilen aus Not in der Armut oder Teilen aus Vernunft in der Überflussgesellschaft. Tauschen als symbolisches, Vertrauen und Gemeinschaft stiftendes Handeln oder als Möglichkeit, Vermittler oder Zwischenhändler durch das Internet zu übergehen. Mal ist Teilen und Tauschen ökonomisch sinnvoll, mal ist es gesellschaftlich geboten. Der Präsident des Goetheinstituts, Klaus Dieter Lehman, begründete denn auch, warum sich seine Kulturinstitution einem Wirtschaftsthema widmet.
"Während früher das marktwirtschaftliche System meist nur ein Segment des Lebens betraf, nämlich die Produktion von Waren und Dienstleistungen, so erleben wir zunehmend Übersprungeffekte im großen Stil auf all unsere Lebensbereiche. Man kann von einem umfassenden Funktionalismus reden. Alles hat sich dem Gewinnbringenden und dem Nützlichen unterzuordnen. Es besteht die deutliche Gefahr, dass solche Denkmuster die Prinzipien einer Solidargemeinschaft gefährden können."
Wenn aber die Ökonomie ihre Gewinn- und Nutzen-Prinzipien krakenartig auf alle Lebensbereiche bis ins Private und Intime hinein ausdehne, dann nähme sich das Goetheinstitut seinerseits die Freiheit, die Ökonomie anthropologisch und kulturell zu betrachten. Den Ausverkauf an Werten, die Monetarisierung des Privaten gab es spielerisch.
"So, jetzt muss ich erst mal überlegen. Ich muss die ersten Freunde verkaufen. Ich verkaufe mal hier einen Freund, dann wird hier noch mal verkauft. So, das soll erst mal reichen als Auszahlung. 6.000 Dollar – das ist ganz gut!"

Geld kann vulgär sein

Die fein austarierte Abgrenzung der Räume des Finanziellen und des Solidarischen leuchtete der tschechische Ökonom Tomáš Sedláček aus: Jemandem im Restaurant zu einem Wein einzuladen und zu bezahlen, sei normal, ihm aber 5 Euro für den Wein in die Hand zu drücken, auf dass er sich den Wein selbst kaufe, sei ein Affront.
Tomáš Sedláček: "Money is a little bit vulgar when it comes to relationship."
Im Privaten hafte Geld gar etwas Vulgäres an. Hier geübtes solidarisches Handeln ließe sich auch andernorts praktizieren. Eine Sichtweise, die nicht unwidersprochen blieb.
Überhaupt war der Widerspruch das Anregende auf dem Weimarer Teilen-und-Tauschen-Symposium. Wurde es schon mit gemischten Gefühlen gesehen, dass einer der Sponsoren, ein großer deutscher Automobilhersteller, sich auch inhaltlich beteiligte, so wurde das Interesse des Konzerns, den Verkehr mit weniger, von mehreren geteilten, Autos flüssiger zu machen, arg bezweifelt.
Luise Tremel argumentierte dagegen vehement für ein vernunftbegründetes Zurück, um den Klimawandel aufzuhalten. Und vieles, was als Teilen angepriesen werde, sei schlichtweg eine moderne Form des Ökonomischen.
"Also, wenn wir über Teilen sprechen, dann haben wir die Urfigur St. Martin. Und St. Martin hatte einen Mantel und hat den in die Hälfte geschnitten, weil jemand anders keinen hatte; dann hatte er noch einen halben Mantel und der andere hatte auch einen halben Mantel. St. Martin hat nicht in einem Moment, wo er seinen Mantel nicht brauchte, den jemand anderem vermietet."
Wirkliches Teilen, so Luise Tremel, habe transformatives Kapital, wenn dadurch weniger Ressourcen verbraucht würden, sich für die Tauschenden neu Ressourcen erschlössen und es zu echten Begegnungen zwischen ihnen käme.

Umgang mit bedeutenden Kulturschätzen

Über ein ganz anderes Teilen sprachen die großen Museumsleute im Forum "Shared Heritage", geteiltes Erbe. Der Gründungsintendant des Berliner Kulturforums, Neil MacGregor, nannte die großen Museen "Leihbibliotheken der Welt".

"Wenn shared heritage richtig verstanden wird, geht es um Welterbe. Die größten kulturellen Leistungen der Welt gehören nicht entweder in ein Museum in Europa oder Amerika oder im Herkunftsland. Die müssen in der ganzen Welt gesehen und studiert werden."
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sagte, dass es kaum Rückforderungen aus den Herkunftsländern dieser Objekte gebe, aber großes Interesse an gemeinsamer Erforschung. Nach dem Motto: Geteiltes Erbe ist doppeltes Erbe.
Die Denkanstöße aus Weimar zum Teilen und Tauschen waren so ein guter Start des Kultursymposiums der Goethegesellschaft, das fortan alle zwei Jahre stattfinden soll. Und natürlich gab es beim "Being Faust – Enter Mephisto" auch einen Sieger:

"Meine Damen und Herren, unser Powerseller ist…"
Sieger war der derjenige, der am meisten Freunde verkauft hat.
"Oliver Beckmann! Herzlichen Glückwunsch!"
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