Kulturkampf statt Klassenkampf

Warum Grüne und AfD die Parteien der Stunde sind

Zwei Ringer in den Farben der Grünen und der AfD.
Der Kampf der politischen Kulturen. © imago/Ikon Images / Montage: DLF Kultur
Ein Standpunkt von Dieter Rulff · 30.01.2019
Arbeit gegen Kapital - das war gestern. Heute bestimmten kulturelle Fragen die Debatten, sagt der Journalist Dieter Rulff: Identität, Zuwanderung, Zugehörigkeit. Das sind nicht die Themen von CDU und SPD, sondern die von AfD und Grünen.
Im Herbst des letzten Jahres kam es zu einer Zäsur in der deutschen Parteienlandschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik reichten die Umfragewerte von Union und SPD nicht mehr aus, um auch künftig eine Große Koalition bilden zu können. Und es spricht einiges dagegen, dass sich dieser Umstand absehbar bessern wird.
Im gleichen Zeitraum avancierten zwei andere Parteien zu Hauptdarstellern auf der politischen Bühne. Die AfD ist mittlerweile in allen Landesparlamenten vertreten und steht demnächst womöglich vor ihrer ersten Regierungsbeteiligung. Auf der anderen Seite haben die Grünen der SPD den Rang der zweitstärksten Kraft abgelaufen.

Die politischen Konfliktlinien verschieben sich

Dieser Wandel lässt sich nicht allein mit der Kabale in der Union und der Attraktivität der neuen Grünen-Vorsitzenden erklären. Er verweist auf eine grundlegende Verschiebung der politischen Konfliktlinien.
Jahrzehntelang waren diese geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Die Wirtschaft sah ihre Interessen eher bei der CDU aufgehoben, während das Klientel der SPD die Arbeitnehmerschaft war. Die beiden Parteien waren die zwei Seiten der gleichen wohlfahrtsstaatlichen Medaille.
Grüne und AfD stehen für eine gänzlich andere, neue gesellschaftliche Bruchlinie. Sie ist weniger ökonomischer als vielmehr kultureller Natur. Auf der einen, der von den Grünen repräsentierten Seite, leben die Kosmopoliten. Es sind die weltoffenen Bewohner urbaner Milieus. Sie sind meist gut gebildet, verdienen auskömmlich und stehen für Multikulturalismus, Feminismus und Diversität.
Auf der anderen, der AfD-Seite, hocken die Kommunitaristen. Wie der Name schon sagt, sind sie ihren Gemeinschaften verhaftet, eher auf dem Lande beheimatet und orientieren sich am Leitbild der deutschen Kultur. Während die Kosmopoliten die Globalisierung, die Europäische Union und offene Grenzen befürworten, fürchten die Kommunitaristen den Kontrollverlust und sehen die Antwort darauf in einer Rückbesinnung auf das Nationale.

Die "Gelbwesten" - einfach nur Rechtsradikale?

Sie sind in ganz Europa anzutreffen. Zuletzt bewiesen die Gelbwesten in Frankreich, welche Macht in dieser Bewegung steckt. An diesen wird auch deutlich, dass es zu kurz greift, in ihnen nur Rechtsradikale zu sehen. Auch die Wählerschaft der AfD speist sich aus CDU, SPD und Linken. Ihnen mit staatlichen Zuwendungen zu begegnen, greift zu kurz.
Denn an dieser neuen Bruchlinie der Gesellschaft werden keine Verteilungskonflikte ausgetragen, es wird vielmehr um Anerkennung gekämpft. Da es um Fragen der Identität geht, geschieht dies meist mit kompromissloser Härte.
Am härtesten ist die Auseinandersetzung um die Aufnahme von Migranten. Von daher kommt ihrer Regelung eine zentrale Bedeutung für das politische Klima im Lande zu.

Die Konflikte republikanisch einhegen

Bei dieser Regelung sollte sich das staatliche Handeln von zwei Grundsätzen leiten lassen: Zum einen ist es das selbstverständliche Recht jeder demokratischen Gesellschaft, zu bestimmen, wen sie aufnehmen will und dafür Kriterien festzulegen. Zum anderen ist es ihre Selbstverpflichtung, anerkannten Flüchtlingen Aufnahme zu gewähren.
Wenn die Grünen ihrer neuen Bedeutung im Parteiengefüge gerecht werden wollen, wäre es vorrangig ihre Aufgabe, diesen beiden Grundprinzipien politische Geltung zu verschaffen. Ihre Flüchtlingspolitik steht unter der Überschrift "Humanität und Ordnung". Ihre Humanität ist bekannt, die Ordnung jedoch müsste von den Grünen in einer Weise mit Leben gefüllt werden, die nicht nur dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gerecht wird, sondern auch von den europäischen Partnern mitgetragen werden kann.
Schaffen es die Grünen zudem, die Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft republikanisch einzuhegen, dürfte ihrem weiteren Aufstieg wenig im Wege stehen.

Dieter Rulff, Jahrgang 1953, studierte Politikwissenschaft in Berlin und arbeitete zunächst in der Drogenberatung. Ende der achtziger Jahre war er Mitbegründer des links-alternativen "Radio 100" und leitete die Sendung "Radio Glasnost", mit der die Oppositionsbewegung in der DDR unterstützt wurde. Er war Ressortleiter Innenpolitik bei der "taz" und bei der Hamburger Zeitschrift "Die Woche". Seit 2002 ist er freier Autor und arbeitet für überregionale Zeitungen, Periodika und Rundfunk.

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