Destruktivität

Die Lust am Untergang

In Chemnitz gestikulieren am 27.8.2018 Demonstranten der rechten Szene und drohen den Gegendemonstranten Gewalt an.
Geballte Wut: Demonstranten der rechten Szene in Chemnitz drohen Gegendemonstranten mit Gewalt. © dpa / picture-alliance
Von Pia Rauschenberger |
Der Brexit, der Wahlsieg Donald Trumps oder die Ausschreitungen in Chemnitz: Steckt dahinter auch eine Lust an der Zerstörung, am Chaos oder der Apokalypse? Soziologen, Psychologen und Politikwissenschaftler versuchen, das destruktive Potential genauer zu analysieren.
"Genau. Ihr könnt dann alles zerstören, was hier drin ist. Die Wände sollten stehen bleiben. Da könnt ihr gerne Geschirr dagegen werfen, aber keine Löcher reinhauen. Ne, kein Durchbruch versuchen, weil dahinter ist der Nachbar."
"Geil!"
Christian Block wirkt eher wie ein ruhiger Charakter. Beherrscht. Nicht so, als ob er es selbst nötig hätte, Wut rauszulassen. Aber er verdient Geld damit, dass andere das machen. Er betreibt den Crash Room. Das ist eine Lagerhalle im Osten von Berlin.

Mal was kaputtmachen finden viele "geil"

Im hinteren Teil gibt es einen Raum aus Holz. Sieht aus wie das Wohnzimmer einer alten Frau, mit einer Rüschendecke, weißem Geschirr und einem Kasten-Fernseher. "Ja, dann brauchen wir gar nicht lange… Hier haben wir die Schutzkleidung, die Anzüge. Einmal bitte anlegen. Hier haben wir Handschuhe." Christian, Emilia und Mara – alle um die 30 - haben den Raum für eine Stunde gemietet. An einer Wand hängen Hämmer, Stöcke und Äxte. Wutwerkzeug.
"Ich eröffne hiermit die Zerstörung."
"Ahhh, geil."
Ein altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer: geblümtes Sofa, Couchtisch mit Spitzendeckchen, Anrichte und TV-Bank
Zur Zerstörung freigegeben: Altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer mit Sofa, Couchtisch und TV-Bank© Deutschlandradio / Pia Rauschenberger
Der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth: "Gut, der Wunsch sich mal total auszutoben, seine Destruktivität rauszulassen. Ja, es vermittelt auch ein Gefühl von Allmacht, dass man etwas total kaputtmachen kann und sich damit zum Herren über diese Dinge aufschwingt. Man hat eben die Macht etwas total zu zerstören. Das ist auch eine Form von Allmachtsgefühl."
Wirth glaubt nicht, dass es ein Grundbedürfnis danach gibt, Dinge zu zerstören – ob es jetzt ein Oma-Wohnzimmer ist oder die Demokratie. Zumindest nicht bewusst.
"Ja gut, auf der einen Seite wird die Apokalypse, wird das Chaos befürchtet. Auf der anderen Seite – es kann auch ersehnt werden. Verbunden mit der Vorstellung: naja, wenn alles mal, die bestehende Ordnung sich auflöst, dann müssen wir durch ein Chaos durch, aber dann kommt auch eine Art Erlösung und eine neue Ordnung, und die macht alles viel besser."

Sehnsucht nach gesellschaftlichem Umsturz

Diese Sehnsucht nach einem Umsturz blitzt in Begriffen wie "Konservative Revolution" oder "Merkeldämmerung" durch. Natürlich kommt es darauf an, von welcher Warte wir darauf schauen. Die Anhänger rechter Parteien wie der AfD sind nicht in erster Linie Zerstörungs-Fanatiker. Doch sie unterscheiden sich fast ausschließlich durch ihre Einstellungen zu Flüchtlingen und Zuwanderung von anderen Menschen. Das sagt eine aktuelle Studie mit Daten des Sozioökonomischen Panels.
"Das Faszinierende ist aber, dass die Wählerprofile der Brexit-Wähler oder zum Beispiel von Trump oder der AfD relativ ähnlich sind", sagt Jonas Schaible, Politikwissenschaftler und Journalist bei T-Online.
"Also, es gibt diverse Gemeinsamkeiten, wenn man sich die Wählerprofile anschaut. Da fällt zum einen auf, dass es überdurchschnittlich Männer sind und auch Menschen auf dem Land überdurchschnittlich vertreten sind." Aber es gibt noch andere Parallelen. "Es gibt ansonsten eine Reihe von Einstellungen, die in Studien immer wieder auftauchen. Das ist eine eher autoritäre Neigung oder autoritäre Persönlichkeit nennt man das."

Woher die Zerstörungswut von Autoritären kommt

Autoritarismus ist ein Konzept, das seit 16 Jahren in der Mitte-Studie aus Leipzig auftaucht. In den Mitte-Studien werden alle zwei Jahre rechtsextreme und autoritäre Einstellungen in Deutschland untersucht. Wer autoritär orientiert ist, ist nicht nur unterwürfig, sondern trägt auch eine gewisse Zerstörungswut in sich, sagt Oliver Decker. Er ist einer der Autoren der Studien.
"Diejenigen, die die eigene Autorität scheinbar bedrohen, die provozieren auch dieses destruktive Potenzial. Das können Frauen sein, das können Juden und Jüdinnen sein, das können Geflüchtete sein, das können aber auch einfach Menschen auf dem Dorf sein, die denken, sie färben sich jetzt mal die Haare rot und tragen eine andere Hose."
Die Zerstörungswut kann sich aber auch gegen abstraktere Ziele richten:
"Jedes Zeugnis von Kultur. Weil alles, was uns an Kultur umgibt, in gewissem Maße mühselig 'ausgeschwitzt' worden ist. Als Gattung von der Menschheit im Prozess der Zivilisation und eben auch jeden Tag neu rückversichert werden muss. Und das ist sehr verlockend, wenn dann tatsächlich autoritäre Regression sich Bahn bricht, dass die sich dann nicht nur einfach gegen schwächere Strukturen richtet, sondern dass dieses destruktive Potential dann sich gegen alles, was Zeugnis darüber ablegt, dass es sowas wie ein Korsett gibt, sowas wie Regeln gibt, aus der Masse heraus attackiert wird."

Das Neue provoziert

Die westlichen Gesellschaften wandeln sich, werden pluraler, liberaler. Das ist ein anstrengender zivilisatorischer Prozess. Norbert Elias hat in seinen Texten darauf hingewiesen, dass gesellschaftlicher Wandel die Individuen zwingt, ihre Affekte und Triebe zu regulieren:
"Die Zivilisation ist nichts ‚Vernünftiges‘ (…) so wenig sie etwas ‚Irrationales‘ ist. Sie wird blind in Gang gesetzt und in Gang gehalten durch die Eigendynamik eines Beziehungsgeflechts, durch spezifische Veränderungen der Art, in der die Menschen miteinander zu leben gehalten sind."
Machtkämpfe zwischen sozialen Gruppen, das Auflehnen gegen gesellschaftliche Regeln sind Teil dieses Aushandlungsprozesses. Natürlich kann es auch andere Gründe geben, um zum Beispiel für den Brexit zu sein. Aber laut einer Studie von Lord Ashcroft haben fast alle, die für den Brexit waren, etwas gemeinsam: Sie lehnen Einwanderung, Feminismus, Multikulturalismus und Umweltpolitik ab. "Das sind alles Einstellungen, die sich darin ähneln, dass es um eine Zurückweisung der Ansprüche geht, die von der neuen Ordnung an die alte Normalität gestellt werden."
Mal so richtig die Sau rauslassen: Im Crashroom in Berlin können Interessierte ihrer Zerstörungslust nachgehen.
Mal so richtig die Sau rauslassen: Im Crashroom in Berlin können Interessierte ihrer Zerstörungslust nachgehen.© Deutschlandradio / Pia Rauschenberger
Im Wutraum in Berlin richtet sich die Zerstörung nicht gegen eine neue gesellschaftliche Ordnung, sondern gegen ganz konkrete Personen.
"Die Wut auf den Chef ist oftmals hier Thema. Es werden auch Fotos von den Vorgesetzten mitgebracht und an den Fernseher oder an die Möbel geklebt. Und dann wird darauf losgeschlagen. Da wird dann der ganze Frust abgearbeitet."
"Und wie geht es euch so?"
"Gut." "Spitze!"
"Besser als vorher?"
"Auf jeden Fall."

Angriff auf das eigene Selbstverständnis

Die Mitte-Studie sagt: 20 Prozent der Deutschen teilen ausländerfeindliche Einstellungen. Das war auch vor der AfD schon so. Das ist auch in anderen europäischen Ländern ähnlich. Warum dann aber jetzt der Erfolg der Rechten? Die Angst vor Privilegienverlust ist ein Grund.
"Aber ich glaube, das reicht nicht aus", sagt Jonas Schaible.
"Es geht nicht nur um den materiellen Verlust, sondern um das Gefühl, dass die eigene Position schwer zu rechtfertigen ist. Und das wird den anderen vorgeworfen, weil man das selber in irgendeiner Form wahrnimmt. Es ist also, glaube ich, mehr als nur ein Privilegienverlust, es ist auch ganz stark ein Angriff auf das eigene Selbstverständnis, das diese Gegenreaktion auslöst."
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