- Was versteht man heute unter Kulturkampf?
- Warum unterscheiden sich die heutigen Kulturkämpfe von früheren gesellschaftlichen Konflikten?
- Wie nutzen rechte Akteure den Kulturkampf?
- Welche Rolle spielen das Internet und soziale Medien in den heutigen Kulturkämpfen?
- Was bedeutet der Kulturkampf für demokratische Debatten und politische Entscheidungen?
Kulturkampf
Aktion für queere Sichtbarkeit vor dem Reichstag. Ob und welche Symbole öffentlich gezeigt werden dürfen, ist Teil aktueller Kulturkämpfe © picture alliance / epd-bild / Christian Ditsch
Warum der Streit um Werte eskaliert

Ob Sprache, Symbole oder Lebensweisen: Immer häufiger eskalieren öffentliche Debatten zu Grundsatzfragen. Der Begriff Kulturkampf ist dabei allgegenwärtig. Was treibt diese Konflikte an – und warum verlaufen sie heute anders als früher?
Geschlechtergerechte Sprache, vegetarische Schnitzel oder Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden – über solche Themen wird heute oft heftig gestritten. Schnell ist vom Kulturkampf die Rede. Solche Auseinandersetzungen sind nicht neu: Schon die Studenten-, Frauen- oder Umweltbewegung rangen um gesellschaftlichen Wandel. Heute richtet sich der Streit oft gegen die Errungenschaften dieser Bewegungen.
Inhalt
Was versteht man heute unter Kulturkampf?
Der Begriff Kulturkampf bezeichnet allgemein Auseinandersetzungen über kulturelle, ethische und soziale Fragen innerhalb einer Gesellschaft oder zwischen unterschiedlichen Gruppen.
Heute entzünden sich solche Konflikte häufig an Sprache, Symbolen oder einzelnen Regeln. Der Kulturwissenschaftler Simon Strick erklärt das mit dem Konzept der Metapolitik, das auf Antonio Gramsci zurückgeht. Gemeint ist die Idee, dass politischer Wandel nicht nur in Parlamenten entsteht, sondern auch als kulturelle Entwicklung – also darüber, was als normal gilt – etwa in Sprache, Symbolen und Alltagskultur.
An scheinbaren Kleinigkeiten wie dem Hissen einer Regenbogenflagge wird so verhandelt, welche gesellschaftliche Richtung eingeschlagen wird. Dieser Kulturkampf wird derzeit vor allem von rechten Akteuren aufgegriffen und zugespitzt.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer warnte 2025 vor einem „globalen Kulturkampf“, der die Freiheit von Wissenschaft und Kunst bedrohe – nicht nur in autoritären Staaten, sondern zunehmend auch im Westen.
Warum unterscheiden sich die heutigen Kulturkämpfe von früheren gesellschaftlichen Konflikten?
Kulturkämpfe gab es schon immer. Jede Veränderung, jeder Fortschritt ist mit Kulturkämpfen verbunden. In den 1950er-Jahren provozierten zum Beispiel die sogenannten Halbstarken durch ihr Auftreten: Rock ’n’ Roll, Jeans und demonstrative Jugendkultur. In den 1960er-Jahren richtete sich die Empörung gegen die “Gammler” mit ihren langen Haaren und ihrem Nichtstun. Es folgten die Studentenbewegung, ökologische Konflikte, Atomkraft- und Friedensproteste sowie Debatten über Integration.
Die Soziologin Carolin Amlinger beschreibt die Kulturkämpfe der 1968er-Jahre als Konflikte gegen das Ausbleiben von Emanzipation. Kritisiert wurde eine als angepasst und versachlicht empfundene Gesellschaft. Viele wollten individueller leben, freier sein und bestehende Normen aufbrechen. Kulturkampf war dabei eng mit Fortschritts- und Freiheitsversprechen verbunden. „Was wir heute beobachten, sind eher Kulturkämpfe, die auf eine Emanzipationserschöpfung reagieren”, erklärt Amlinger.
Der gesellschaftliche Wandel gehe manchen zu schnell, insbesondere bei Geschlechterverhältnissen und Fragen von Vielfalt. Daraus entstünden Ressentiments und Wut gegen Gruppen, die für progressive Veränderungen stehen.
Auch der Soziologe Peter Wagner sieht die Ursprünge heutiger Kulturkämpfe in der Zeit um 1968, als neue Forderungen nach mehr sozialer, ökologischer und globaler Gerechtigkeit entstanden. Diese wurden aber nie konsequent umgesetzt. Menschenrechte etwa seien in Gesetzen und Verfassungen verankert, würden aber längst nicht überall eingehalten.
Statt sich argumentativ mit Forderungen nach sozialer oder globaler Gerechtigkeit auseinanderzusetzen, werde ihre Legitimität grundsätzlich bestritten – etwa mit Aussagen wie: „Klimawandel gibt es nicht“ oder der Frage, warum man sich überhaupt um soziale Bedingungen in anderen Weltregionen kümmern müsse.
Wie nutzen rechte Akteure den Kulturkampf?
Der Kulturwissenschaftler Simon Strick warnt davor, die aktuellen Kulturkämpfe als verständliche Reaktion auf enttäuschte Fortschrittsversprechen zu deuten. Diese Erzählung legitimiere aus seiner Sicht neurechte Akteure. Statt eines Backlash gegen reale Benachteiligungen spricht Strick eher von einer „Frontlash“-Dynamik: Mobilisiert werde gegen angebliche Missstände, die es in dieser Form gar nicht gebe – zum Beispiel gegen eine vermeintliche Überrepräsentation von LGBTQ.
Das Ziel der Neuen Rechten ist es, nicht zuerst über Parlamente, sondern über Alltag und Kultur Einfluss zu gewinnen. Mithilfe von Popkultur, Mode, Musik, Sprache und Lifestyle sollen Begriffe, Bilder und Deutungen in der Gesellschaft verankert werden. Diese metapolitische Strategie zielt darauf, kulturelle Hegemonie zu erlangen – also rechte Vorstellungen so normal erscheinen zu lassen, dass sie als selbstverständlich gelten.
Welche Rolle spielen das Internet und soziale Medien in den heutigen Kulturkämpfen?
„In gewisser Weise besteht das Netz zu einem hohen Prozentsatz nur aus Kulturkampf. Das ist sozusagen der natürliche Modus, wenn sich Leute im Netz beharken”, erklärt der Kultur- und Medienwissenschaftler Simon Strick. Soziale Medien seien früh zu zentralen Schauplätzen von Politisierung und Kulturkampf geworden.
Bereits ab 2008 habe die Tea-Party-Bewegung, eine konservative Bewegung in den USA, soziale Medien gezielt als politische Strategie genutzt. Sie sei von Anfang an als kulturkämpferische, republikanische bis neurechte Strömung angelegt gewesen, die versucht habe, soziale Medien zu nutzen.
Begünstigt werde das durch die Funktionsweise der Plattformen selbst: Ihre Algorithmen belohnen Reaktionen, egal welcher Art. Studien zeigen, dass gerade Inhalte, die provozieren oder negative Gefühle wie Wut und Ärger gegenüber anderen Gruppen hervorrufen, es auf den großen Netzwerken besonders leicht haben.
Der Netzwerkwissenschaftler Petter Törnberg beschreibt soziale Medien außerdem als Teil einer „Nationalisierung der Politik“: Lokale Themen werden schnell auf eine nationale oder sogar globale Ebene gehoben. Lokale Ereignisse können so durch soziale Medien landesweit Empörung auslösen, auch bei Menschen, die gar nicht betroffen sind.
Auch Simon Strick beobachtet, dass nebensächliche Ereignisse durch soziale Medien plötzlich nationale Aufmerksamkeit erhalten. Dadurch werde es zunehmend schwierig zu erkennen, was politisch wirklich relevant sei, weil in einer stark digitalisierten Öffentlichkeit grundsätzlich alles Bedeutung erlangen könne.
Was bedeutet der Kulturkampf für demokratische Debatten und politische Entscheidungen?
Es kommt unter anderem zu einer veränderten Form des politischen Streitens, wie sie der Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit beschreibt. Er greift dabei eine Formel des früheren Trump-Beraters Steve Bannon auf, der von der Medienstrategie „flood the zone with shit“ sprach: Die Öffentlichkeit werde mit immer neuen, widersprüchlichen Aussagen überflutet, sodass Orientierung verloren gehe.
Das Problem: Wenn ständig widersprüchliche Behauptungen im Raum stehen, verliert das Gesagte an Bedeutung. Aussagen werden beliebig, Vertrauen geht verloren.
Auch Kulturwissenschaftler Simon Strick beobachtet, dass der Kulturkampf meist als Vorwurf gegen „die anderen“ genutzt werde: Die eigene Position gelte als sachlich und faktenbasiert, während Gegner als Betreiber von Symbolpolitik dargestellt würden. Für Strick zeigt dies, dass die politische Öffentlichkeit seit etwa 15 Jahren vom Populismus bestimmt wird. “Ich sehe mittlerweile eigentlich fast keine Partei mehr, die immun ist dagegen oder die eine andere Strategie fährt”, so Strick. Nur wenige arbeiteten noch mit Expertise, Bürgerbeteiligung oder anderen Formen politischer Auseinandersetzung. Stattdessen habe sich auch der Bundestag zu einer populistischen Arena entwickelt, in der ein Schlagabtausch inszeniert würde.
Ein Blick in die USA zeigt, wohin sich solche Kulturkämpfe entwickeln können. Dort haben rechte Akteure Kulturkämpfe gezielt genutzt, um unter dem Schlagwort der Cancel-Culture selbst Verbote durchzusetzen – etwa von Büchern, Unterrichtsinhalten oder reproduktiven Rechten. Kulturkampf bleibt damit nicht auf symbolische Debatten beschränkt, sondern schlägt unmittelbar in politische Entscheidungen um.
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