Kulturelle Tradition Lubunca

Die Geheimsprache der Istanbuler

Der Galata-Turm gehört zu den Wahrzeichen von Istanbul. Während der Touristensaison besuchen jedes Jahr zehntausende Urlauber aus aller Welt den Turm und die umliegenden Cafes in dem europäischen Stadtteil Beyoglu. Diese Bilder vom 18.02.2011 zeigen das Bauwerk in einem ungewöhnlichen blauen Licht aus großen Strahlern. Foto: Carsten Hoffmann dpa
Der Galata-Turm im Istanbuler Stadtteil Beyoglu - einem beliebten Vergnügungsviertel voller Bars und Cafés. © dpa / picture alliance / Carsten Hoffmann
Von Stephanie Rohde · 09.01.2016
Früher war Lubunca eine Geheimsprache von Transsexuellen in Istanbul. Doch jetzt hört man es immer häufiger in den schicken Bars des Viertels Beyoglu im europäischen Teil Istanbuls. Dort ist Stephanie Rohde der Geschichte dieses kulturellen Schatzes gefolgt.
Ein Cafe unter einem gepflegten Efeudach, gerade noch bezahlbare Drinks und auffällig gut aussehende Menschen. Hier ist das neue Lubunca zu Hause.
"What what what, was für eine Sprache sprechen die da, sind die nicht türkisch?"
So hat Sevval reagiert. Damals, Anfang der 90er, als sie Lubunca zum ersten Mal gehört hat. Sie war 19, trans* und Sexarbeiterin im kriminellen Beyoglu – ihre Kolleginnen sprachen meistens ihren Geheimslang, um über Freier reden zu können, ohne, dass die es verstehen.
"Man lernt Lubunca, indem man es spricht. Ich habe nie versucht, es zu lernen, aber manchmal hängt dein Leben davon ab."
Für Freier gab es ganz verschiedene Wörter, je nach Alter und Aggressionspotenzial, dafür nur ein Wort für den festen Freund: "Spermium". Aber es gibt nicht nur einzelne Begriffe aus dem Alltagsleben der Trans*frauen, sondern auch Verben, die man vielseitig einsetzen kann – und damit ganze Sätze auf Lubunca bilden kann. Kurioserweise fehlen aber einige elementare Wörter wie Wasser oder Dusche.
Die meisten Wörter stammen aus dem Osmanischen und dem Romani
Lubunca ist wahrscheinlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Istanbuler Zentrum Beyoglu entstanden, im Milieu der Sexarbeiter*innen. Die meisten Wörter stammen aus dem Osmanischen und dem Romani, der Sprache der Roma, die schon seit vier Generationen nicht mehr in dieser Form in Istanbul gesprochen wird, erzählt Nicolas Kontovas, Sprachwissenschaftler an der Bogazici Universität. Er hat Lubunca von seinen schwulen Freunden gelernt und er geht gerne ins Detail:
"Elli Sekis heißt auf Türkisch 58, aber im Osmanischen sieht die Zahl 5 aus wie ein Po und die 8 wie ein Penis, also ergibt es Sinn, auf Lubunca 58 zu benutzen für den passiven Partner in einer homosexuellen Beziehung."
Die meisten Wörter gab es für Sexpraktiken und Geschlechtsteile
Nicholas hat das Lubunca-Vokabular statistisch ausgewertet und siehe da: Die meisten Wörter gibt es für Sexpraktiken, Sexpartner und Geschlechtsteile.
"Es gibt verschiedene Beschreibungen für Penis: But means large, baari heißt größer, Autorin: und gibt es auch ein Wort für kleiner? Sevval: Hahaha, ja, kirdan- das heißt auch Zahnstocher."
Aber Achtung: Kirdan kann auch als Geldeinheit benutzt werden, also 5 kirdan zum Beispiel für 5 Lira. Und ein reicher Freier wird auch als "bir but baari" bezeichnet, also "ein großer größerer Penis"
Die Transsprache gilt heute als extravagant
Das wissen die meisten, die heute Lubunca sprechen gar nicht mehr, beklagt Sevval. Sie spricht Lubunca nicht mehr auf der Straße - auch aus Protest.
"Heute ist es exotisch oder extravagant diese Transsprache zu sprechen"
Beyoglu, der Schmuddelbezirk von einst ist längst gentrifiziert - und mit ihm der Slang der Trans*Community. Junge Lesben und Schwule haben sich Lubunca angeeignet, viele neue Wörter und Wortspiele erfunden. Sevval hört das neue Lubunca immer häufiger in Bars.
"Es soll auch zeigen, dass du eine außergewöhnliche Person bist, weil du auch Lubunca sprichst, dass du nicht Mainstream bist und ein bisschen underground blablablabla."
Einige Begriffe gehören jetzt zum Jugendslang
Die Geheimsprache von einst ist nicht mehr geheim, sondern in. Einige Begriffe sind sogar schon im türkischen Jugendslang eingegangen und in der ganzen Türkei bekannt. Das ist ein großes Problem für Trans*Sexarbeiterinnen, die mit Kolleg*innen sprechen wollen, ohne, dass man sie versteht, erzählt Sevval. Sie finden es nicht fair, dass ihre Sprache plötzlich cool ist, sie selbst aber weiter ausgegrenzt werden.
"Solange es diese wirtschaftlich und sozial marginalisierte Trans*Community in Istanbul gibt, wird eine Form von Lubunca weiter existieren."
Meint Nico, der Sprachwissenschaftler. Und prophezeit: Das lebensnotwendige Lubunca der Straße und das Livestyle Lubunca der Gaybars werden sich nebeneinander weiterentwickeln. Für Trans*frauen wie Sevval ist das ein Verlust.
"Es war ein kultureller Schatz, es war eine Sprache, jetzt wird es Slang, ein Slang für Witze, das macht mich traurig, todunglücklich."
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