Kulturelle Landpartie im Wendland

Kräuterwanderung und Konzerte statt Protest

Kulturelle Landpartie im Wendland
Die Zeiten des großen Protests im Wendland sind vorbei. Mit Kunst und Kultur will sich die Region profilieren. © picture alliance / dpa / Bjoern Vogt
Von Anna Seibt · 22.05.2018
Gorleben im Wendland - der Ort ist zu einem Synonym für den Streit um die Atommüllentsorgung geworden. Doch seit dem Ausstieg aus der Kernkraft ist der Protest verstummt und die Region profiliert sich mit ihrer lebendigen Kunst- und Kulturszene.
Has: "Geh mal ruhig daneben und dann guck mal, ob du Ladys Führstrick nehmen kannst."
Eseldame Lady hat genug. Genug von den vielen Menschen, die sie alle mal an ihrem Strick führen wollen und genug von dem gemächlichen Tempo, in dem sich die Gruppe durch den Wald bewegt. Lady ist ausgebüchst.
Gerhard Has bringen diese Eskapaden nicht aus der Ruhe. Seit fast zehn Jahren leben die Esel Bruno und Lady bei ihm hinterm Haus. Später kam noch Cindy dazu. Er vertraut den Tieren. Und tatsächlich lässt sich Lady dann doch noch einfangen.

Die Freie Republik Wendland

20 Erwachsene und drei Kleinkinder haben sich mit den Eseln auf den Weg durch den Wald gemacht. Gerhard Has führt Tier und Mensch zum Bohrloch 1004. Das heißt, zu dem, was vom Bohrloch übrig geblieben ist. Eigentlich ist es nur ein asphaltierter Platz im Wald. 1980 bohrte hier die Physikalisch-Technische Bundesanstalt ein Loch in die Erde, um zu erforschen, ob sich der Salzstock darunter zur Endlagerung von Atommüll eignet.
Blick über das Hüttendorf "Freie Republik Wendland" im Mai 1980. Auf dem von Atomkraftgegnern besetzten Gelände bei Gorleben in Niedersachsen sollten später Probebohrungen zum Erkunden und Lagern von Atommüll beginnen. Das Hüttendorf wurde im Sommer desselben Jahres schließlich gewaltsam geräumt. 
Blick über das Hüttendorf "Freie Republik Wendland" im Mai 1980, in dem sich Atomkraftgegner organisiert hatten. Das Hüttendorf wurde im Sommer desselben Jahres schließlich gewaltsam geräumt. © dpa / picture alliance / Werner Baum
Atomkraftgegner besetzten den Ort, bauten ein Hüttendorf in den Wald und gründeten die Republik Freies Wendland – mit Piratenradio, Sauna, Gemüsegarten und sogar einem eigenen Pass. Nach einem Monat räumten Polizei und Bundesgrenzschutz das Protestcamp. Der Salzstock entpuppte sich als ungeeignet für den Atommüll. Inzwischen hat sich der Wald den Ort wieder zurück erobert.

In Gorleben lagern 113 Atommüll-Container

"Im Salzstock, in dem Erkundungsbergwerk, ist kein Abfall gelagert. Keiner forscht mehr da unten und keiner untersucht mehr was, das ist alles abgebaut worden."
Die Teilnehmer der Eselwanderung hören gespannt zu. Sie erfahren, dass unter ihren Füßen zwar keine Castoren lagern. Im zehn Kilometer entfernten Gorleben aber der Müll vor sich hinstrahlt. Überirdisch. In 113 Containern. Und keiner weiß, was damit geschehen soll. Fassungslosigkeit macht sich breit.
Sharon: "Wenn ich mir vorstelle, da gibt’s seit 40 Jahren eine Regierung, die nicht in der Lage ist eine Entscheidung zu treffen. Sie wäre in der Lage, aber sie hat Angst vor den Konsequenzen. Hach - ja, da hab ich keine Worte für."
Die Menschen hier im Wald kommen aus Bochum, aus Berlin, sogar aus der Schweiz. Sie alle sind wegen der Kulturellen Landpartie ins Wendland gereist. Zum Entspannen, die Seele baumeln lassen, Kunst und Kultur genießen.
"Wir sind zum vierten Mal hier. Einfach, weil hier die Zeit so ein bisschen stehen geblieben ist, um einen Ausgleich zu meinem Job zu bekommen. Ich bin Projektleiter in der Automobilindustrie und da ist doch alles sehr schnelllebig und termingetrieben und hier kann man dann mal entschleunigen."
Politischer Protest spielt für die meisten hier kaum eine Rolle. Die Eselwanderung von Gerhard Has ist eine der wenigen Angebote, die sich explizit mit den politischen Aspekten des Lebens im Wendland beschäftigen. Ansonsten ist die Kulturelle Landpartie vor allem Yoga, Kindertheater, veganes Essen und Konzerte.

Kaffee, Kuchen und Kunsthandwerk

Auch auf dem Werkhof Kukate herrscht eine friedliche Stimmung. Die Besucher kriegen Kaffee, Kuchen und Kunsthandwerk. In einem Raum des alten Bauernhofs stehen große Webstühle. Hier lässt sich beobachten, wie Textilien entstehen, die ein Zimmer weiter ausgestellt werden. Es gibt eine Goldschmiede und im Innenhof picken die freilaufenden Hühner zwischen den Beinen der Gäste nach Essbarem.
Michael Seelig betreibt zusammen mit seiner Frau den Werkhof Kukate. Das Ehepaar ist 1976 ins Wendland gekommen. Ein Jahr bevor klar war, dass hier ein Atommülllager entstehen soll.

"Wir haben uns wirklich überlegt: schnell verkaufen? Bevor es jemand merkt? Also, man steht mit dem Rücken an der Wand. Wo soll man hin? Die moderne Industriegesellschaft holt einen überall ein."
Auf dem Werkhof Kukate gibt es alte Webstühle, eine Goldschmiede und viel Platz für Gäste.
Auf dem Werkhof Kukate gibt es alte Webstühle, eine Goldschmiede und viel Platz für Gäste.© Anna Seibt

Protest nur in Kombination mit Kunst

Sie sind geblieben, haben sich für den Protest entschieden. Für Michael Seelig schon damals nur denkbar in Kombination mit Kunst.
"Wir haben die Töpferscheiben auf den Anhänger geladen, sind da hingefahren und haben eben mit Kultur und Aktivitäten da die Situation bereichert."
Hier auf dem Werkhof, erzählt Michael Seelig, haben er und seine Frau zusammen mit anderen Atommüll-Gegnern den Vorgänger der Kulturellen Landpartie erdacht: die sogenannten Wunderpunkte. Sie organisierten eine Ausstellung mit 50 Künstlern und Künstlerinnen aus der BRD und der DDR. Unter dem Titel "Aus allen Wolken" sollte die Ausstellung auf den Schadstoffausstoß in den Industrienationen aufmerksam machen.
"Die Wunderpunkte waren ein ausgesprochen politisches Programm. Nach vier Jahren ist aber deutlich geworden, dass es auch Etikettenschwindel ist, wenn man ein politisches Programm formuliert und dann Keramik und Batik und was weiß ich zeigt oder nur Kaffee und Kuchen ausschenkt und das mit der Politik eigentlich nichts mehr zu tun hat."

Yoga, Kerzen ziehen, Kräuterwanderung

Die Konsequenz aus dieser Überlegung hieß Kulturelle Landpartie. Die Veranstaltung folge der bewussten Entscheidung, die Region und die hier lebenden Menschen in den Blickpunkt zu nehmen. Die konstruktive Energie der Wendland-Bewohner soll gefeiert werden – nicht der Protest.
"Man kann schnell dagegen sein. Aber es gibt wenige Ideen, wofür man eigentlich ist. Wir wollen zeigen, wofür wir sind. Wie wir die Region entwickelt sehen wollen. Eben mit Kunst und Kultur."
Und die Mischung aus Yoga, Kerzen ziehen, Kräuterwanderung und Konzerten kommt gut an. Auch bei Anna-Lena, Daniela und Inka. Die drei Freundinnen erkunden mit dem Fahrrad die verschiedenen Stationen. Für sie macht das freundliche Miteinander den Flair der Kulturellen Landpartie aus.

Das Misstrauen bleibt

"Was ich besonders faszinierend finde: Von der typischen Familie, die da alle in denselben Jacken durch die Gegend laufen, bis über die ganzen Leute, die sehr alternativ unterwegs sind, über die Punks, dass alle in diesem großen Geflecht total harmonisch miteinander umgehen. Und immer wieder zu sehen, wie das ganze Wendland so zusammenhält."
Und man bleibt misstrauisch: Vielleicht wird doch eines Tages wieder ein Atommüll-Endlager hier stehen.
Eingangstor des Erkundungsbergwerks Gorleben
Das Erkundungsbergwerk Gorleben - hier lagern 113 Container mit Atommüll.© Deutschlandradio Kultur / Axel Schröder
Auch die Teilnehmer der Eselwanderung sind erfüllt vom Gemeinschaftserlebnis – zwischen Mensch und Tier.
"Ja, das tut gut hier mit dem staubigen Kerl. Der lebt so sein Leben. Kann man ne Menge von lernen glaub ich."
"Wer möchte denn nochmal?"
"Ja, wir gerne!"

Mit kritischen Gedanken nach Hause

Und wenn der eine oder die andere noch ein paar kritische Gedanken mit nach Hause nimmt, ist für Gerhard Has das Ziel erreicht.
"Wenn ich sie ein bisschen sensibilisieren kann für die Problematik der noch immer laufenden Atomkraftwerke mit ihrem über Jahrtausende strahlenden Abfall, dann ist gut. Weil, das Thema aus der Öffentlichkeit eigentlich raus ist."
Die Kulturelle Landpartie im Wendland lebt vor allem von der Solidarität zwischen Gleichgesinnten. Sie ist Freizeitvergnügen, Kommerzveranstaltung und ein bisschen Protest. Vor allem ist sie ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für die Region. Wer will, der spürt hier aber auch den Geist des Widerstands und kann sich von ihm anstecken lassen.
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