Ausgrabungen "Republik Freies Wendland"

Vier Wochen Protest-Geschichte

Blick über das Hüttendorf "Freie Republik Wendland" im Mai 1980. Auf dem von Atomkraftgegnern besetzten Gelände bei Gorleben in Niedersachsen sollten später Probebohrungen zum Erkunden und Lagern von Atommüll beginnen. Das Hüttendorf wurde im Sommer desselben Jahres schließlich gewaltsam geräumt.
Blick über das Hüttendorf "Freie Republik Wendland" im Mai 1980, in dem sich Atomkraftgegner organisiert hatten. Das Hüttendorf wurde im Sommer desselben Jahres schließlich gewaltsam geräumt. © dpa / picture alliance / Werner Baum
Von Dietrich Mohaupt · 21.03.2018
Verbeulte Töpfe, alte Getränkedosen, zerstückeltes Baumaterial - der Archäologe Attila Dézsi hat die Reste der "Republik Freies Wendland" ausgegraben und zutage gefördert, was 1980 die Republik im Kampf gegen das geplante Atommüll-Endlager bewegte.
Der 4. Juni 1980 – der Tag, an dem das legendäre Protestcamp im Gatower Forst sprichwörtlich dem Erdboden gleich gemacht wurde … live kommentiert von einem Reporter des Piratensenders "Radio Freies Wendland".
"Die Berliner Häuser sind jetzt fast vollständig abgeräumt … wir warten gespannt darauf, wer jetzt als nächstes dran ist. Jetzt gehen die Raupen über auf die NRW-Häuser, die mit so viel Liebe und Mühe aufgebaut worden sind. Der ganze Platz sieht eigentlich aus, als wenn nie Leben drauf gewesen ist, als wenn nie irgendwas dort passiert ist, wo Menschen …"
Der Rest ist Rauschen – die Bulldozer leisteten damals ganze Arbeit.
Heute ist an der Tiefbohrstelle 1004 absolut nichts mehr von dem Hüttendorf zu sehen, das gesamt Areal ist mit dichtem Fichtenwald bewachsen. Mittendrin ist ein Bereich mit rot-weißem Flatterband abgesperrt – insgesamt fünf Gruben sind hier ausgehoben.
An den senkrechten Wänden dieser sogenannten Schnitte sind verschiedene Bodenschichten farblich gut voneinander zu unterscheiden, erläutert der Archäologe Attila Dézsi.

Das Dorf wurde komplett eingeebnet

"Oben, diese schwarze Schicht, das ist der Waldboden – das ist der Boden, der seit 38 Jahren gewachsen ist. Dann haben wir dieses grau-braune, dann so eine Sandschicht dazwischen, und dann plötzlich wieder so eine ganz schwarze Schicht, dann wieder eine hellere Schicht … das sind alles Schichten, die überhaupt nicht natürlich sind – die gehören hier eigentlich nicht her."
Und genau diese Schichten sind für das Grabungsteam besonders interessant.
"Wenn man genau hinschaut, da sind so Objekte drin, in diesen Schichten. Glasscherben, Nägel, Fensterrahmen-Elemente – das sind alles so Baustücke, die wahrscheinlich bei der Räumung zertrümmert wurden. Und ich spreche derzeit diese Schichten als Planier-Ereignisse an, wo nach der Räumung quasi diese Gegend eingeebnet worden ist."

Außer den Resten von Baumaterial, aus dem die Hütten bestanden, fanden sich in diesen Bodenschichten auch verbeulte Töpfe, alte Getränke- und Konservendosen. Und direkt darunter stießen die Archäologen auf das Innenleben einer der vielen Hütten – für Attila Dézsi eine Art Fenster in die Vergangenheit, ein Blick auf das Leben im Camp kurz vor der Räumung.
"Auf dieser Ebene lagen auf dem Boden der Hütte Matratzen, eine Kerze, einige Kleidungsstücke und auch Papier quasi, das stark vergangen ist … das sind so Eindrücke, die wir noch festhalten konnten. Das sind so die Momente, wo die Leute bei der Räumung halt nichts mehr mitnehmen konnten und sich wahrscheinlich auf dem Dorfplatz versammelt haben und alles zurück gelassen haben in ihren Hütten."
Protestanten sitzen auf dem Boden vor dem Hüttendorf der "Republik Freies Wendland".
Polizei und Bundesgrenzschutz räumen am 04.06.1980 das Hüttendorf der "Republik Freies Wendland", das Atomkraftgegner aus Protest gegen das geplante Atommüll-Lager bei Gorleben errichtet hatten.© picture alliance / dpa / Dieter Klar

Ein bisschen wie in Pompeji

In der gut zwei Meter tiefen Grube steht Gregor, Archäologiestudent aus Hamburg und einer der Grabungshelfer. Mit einer kleinen Maurerkelle schabt und kratzt er vorsichtig in dem feuchten Sand – in den vergangenen Tagen hatte er sich mit unterschiedlichem Werkzeug immer tiefer in den Boden hineingearbeitet.
"Von grob nach fein … also zuerst kommt der Bagger, den wir hier nicht haben, dann kommt der Spaten, dann kommt die Schaufel und dann kommen die Kellen – und ganz zum Schluss kommt der Pinsel. Der Pinsel nur selten – ich würde mal sagen, man arbeitet 50 Prozent der Zeit mit einer Kelle. Die Kelle ist einfach eine schöne Art, die Schichtverlauf freizulegen, die Details, dass keine Krümel oben auf liegen, um dann einen Einblick in die Schichten eines Bodens zu bekommen."
In diesem Fall erinnern ihn die Einblicke, die er bekommt, ein bisschen an die Ausgrabungen in der antiken Stadt Pompeji am Golf von Neapel, die im Jahr 79 nach Christus bei einem Ausbruch des Vesuvs unterging. Damals legte sich eine dicke Ascheschicht auf die Stadt und konservierte den Moment der Katstrophe.
"Pompeji ist so ein eingefrorener Moment und wir haben hier so etwas auch! Also, das Camp wurde geräumt, die Planierraupen kamen, und das was Attila vorhin schon beschrieben hat mit den Matratzen und mit diesem Moment – den findet man hier in der Materie wieder. Man hat natürlich die Bilder, man hat die Zeitzeugen – aber das materielle Hinterlassene spricht noch einmal eine eigene Sprache."
Diese materiellen Hinterlassenschaften stecken zum Glück in sehr sandigem Boden – jedenfalls empfinden die Grabungshelfer diese Tatsache als durchaus positiv. Archäologiestudentin Anne aus Hamburg mag sich gar nicht vorstellen, wie die Ausgrabungen wohl in schwerem Lehmboden verlaufen wären.

"Also – Lehm wäre nochmal deutlich schwieriger geworden. Der Sand ist auch sehr schwer, dadurch dass er natürlich sehr zusammengepresst war ist das auch Knochenarbeit … aber – wenn man dann am nächsten Tag so ein bisschen Muskelkater, oder mehr Muskelkater hat, dann weiß man, man hat auch was getan! Und wir nutzen das mittlerweile, weil die Temperaturen nicht so hoch sind, auch ein bisschen, um warm zu werden. Das ist dann immer ganz gut – wem kalt ist, der darf dann erst mal schippen."
Das hat sich mit dem heutigen Tag erst einmal erledigt – die archäologische Feldarbeit im Gatower Forst ist für Attila Dézsi damit nach etwa einem Jahr beendet - und es beginnt die eigentliche Arbeit.
Atomkraftgegner 1980 in der "Republik Freies Wendland".
Atomkraftgegner 1980 in der "Republik Freies Wendland".© Imago / Sven Simon

Auswerten, dokumentieren, digitalisieren

"Genau, das ist der Anfang. Jetzt steht mindestens dreifach so viel Zeit noch an, um die ganzen Sachen auszuwerten, die ganze Dokumentation muss digitalisiert werden, für das Amt muss ein Bericht verfasst werden, was wir hier gefunden haben, das sind schon noch lange Arbeitsschritte, die da auf mich zukommen. Und dann natürlich noch die ganze Verschriftlichung, und die Vergleich mit den anderen Quellen, die ich ja auch noch auswerte, das ist auch noch anstehend archäologische Arbeit, nur eben nicht hier draußen."
Hier draußen, an der Tiefbohrstelle 1004, wird schon bald wieder Ruhe einkehren – die Ausgrabungsstellen werden zugeschüttet und mit einer Humusschicht bedeckt - dann wird dort wieder nichts mehr an das Hüttendorf der "Republik Freies Wendland" erinnern. Bis vielleicht irgendwann einmal wieder ein Archäologe zum Spaten greift und sich auf die Suche macht nach den letzten Spuren dieser einmaligen Episode in der bundesdeutschen Geschichte. Zu entdecken gäbe es ja vielleicht noch einiges … da war doch noch dieser unerschütterliche Reporter von diesem Piratensender …
"Jetzt geht die Abräumaktion weiter … die nähern sich immer mehr hier dieser Mitte. Ich bin jetzt dabei, hier ein Loch zu graben, wo ich dann das Mikrofon verstecken werde, wenn … wenn wir nicht mehr weiter senden können …"
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