Martin Lätzel ist Theologe und Publizist. Für das Land Schleswig-Holstein arbeitet er derzeit in der Kulturverwaltung und ist Lehrbeauftragter an der Universität Kiel. Als Autor beschäftigt er sich mit Fragen von Kultur und Bildung, Religion und Gesellschaft. Zu kulturpolitischen Fragen bloggt er unter www.zwo43.wordpress.com.
Kulturpolitik muss nicht sexy, aber wirksam sein
Bei Koalitionsverhandlungen werden zunächst alle großen Probleme abgehandelt, dann kommt traditionell die Kulturpolitik an die Reihe. Der Publizist Martin Lätzel warnt davor, sie "den falschen Propheten" zu überlassen.
Kulturpolitik ist nicht sexy. Im politischen Geschäft spielt sie keine große Rolle. Zwar wird ihr das hohe Lied gesungen, aber wenn es dann darauf ankommt, ist der Straßenbau wichtiger. Legen wir also die Hände in den Schoß und klagen über Bedeutungslosigkeit? Oder fangen wir an, in der sogenannten "kulturellen Infrastruktur" und in der Politik etwas zu ändern?
Um die Pointe vorweg zu nehmen: Kulturpolitik ist eine Querschnittspolitik, die mehr Gewicht haben sollte, weil sie die Möglichkeit bietet, unsere Gesellschaft effektiv weiterzuentwickeln. Dafür gilt es, Überzeugungsarbeit zu leisten – bei den Kulturakteuren und in der Politik.
Theater, Konzerthäuser, Museen, Volkshochschulen gehören zu unserem Alltag. Manchmal sind sie wie ausgestorben, wenn Blockbuster laufen, stehen die Leute Schlange. Der hehre Anspruch der Akteure, Kulturangebote trügen zu einer Art Selbstvergewisserung der Gesellschaft bei, läuft oft ins Leere. Der Satz ist nicht falsch, aber sehr akademisch formuliert und wenig greifbar.
Kultur und Kunst sind flexibel
Häufig klagen Kulturakteure über unzureichende Finanzierungen und mangelnde Aufmerksamkeit. Der Kulturrat führt Rote Listen. Andererseits werden vielfach überkommene Strukturen aufrechterhalten. Zählt am Ende nur der Frust?
Die Nutzerzahlen gehen zurück? Die Bedeutung kultureller Angebote nimmt ab? Aber hallo: Waren Sie schon mal beim Poetry-Slam? Verfolgen Sie YouTube? Was ist mit Gaming? E-Books? Crossover? Kreativtechniken, Kulturangebote und der Kulturbegriff ändern sich. Vieles ist zunächst fremd. Aber es muss nicht schlecht sein.
Was wurde über den Buchdruck geschimpft, über die Telefone, über das Internet. Kultur und Kunst sind flexibel. Wenn wir eine andere Perspektive einnehmen, dann entstehen neue Ideen und ein neues Selbstbewusstsein. Das ist die Aufgabe der Akteure.
Mehr als die Petersilie auf dem Buffet des Alltags
Die Verantwortlichen in der Politik sind nicht aus dem Rennen. Wenn Kulturveranstaltungen nur als Petersilie auf dem Buffet des Alltags betrachtet werden, wird keiner satt. Das Grünzeug bleibt immer liegen! Und ja, dazu gehört eine ausreichende Finanzierung, wie bei jeder Daseinsvorsorge.
Mit Kulturpolitik kann man Gesellschaft verändern. Dann darf sie kein Randthema sein, sondern muss ins Zentrum der Politik. Nicht als Leitkultur, die nur Integration mit der Brechstange betreiben will, sondern als Möglichkeit, die Gesellschaft angesichts vielfältiger Herausforderungen zu entwickeln. Dann reden wir über eine Kulturpolitik, die gestaltet.
Wenn wir nicht aufpassen, wird die Kulturpolitik gekapert. Von den ewig Gestrigen. Von denen, die meinen, es gäbe nur eine einzige Identität und keine Vielfalt. Von Leuten, die zurückwollen zu einem überholten Kulturbegriff aus Zeiten der Romantik, die einen nationalen Mythos propagieren.
Narrativ für die Zukunft statt Rolle rückwärts
Liebe Kulturleute, werdet aktiv und entwickelt Angebote und nutzt eure Möglichkeiten! Entdeckt neue Instrumente und neue künstlerische Praktiken. Liebe Politikerinnen und Politiker: Entdeckt die Chancen der Kulturpolitik! Macht gemeinsam deutlich, dass Kultur und Bildung Seiten derselben Medaille sind.
Wir brauchen eine aktive Kulturpolitik, die Begriffe wie "Identitäten", "Heimat", "Regionalität" und "Tradition" nicht den falschen Propheten überlässt, sondern als Narrativ mutig in die Zukunft wirkt. Es gibt so vieles zu entdecken!
Kulturpolitik muss nicht sexy sein. Aber wirksam.