Kultur hinter der Scheibe

Schauspielern in Schaufenstern

05:21 Minuten
Hinter dem Schaufenster eines Optikers steht eine Schauspielerin vor einem roten Vorhang. Sie trägt eine schwarze Schlaghose und eine auffällige schwarze Perücke. Sie spricht in ein gelbes Mikrofon. Daneben öffnet eine Frau mit Maske die Tür.
Brillen und Chansons: In Berlin bietet ein Optiker hinter Glas Künstlern eine Bühne. © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster · 24.03.2021
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Für Klein- und Solokünstler gibt es seit einem Jahr quasi Auftrittsverbot. Staatliche Unterstützung kam spät und spärlich. In Berlin treten jetzt einige Künstler wieder auf. Sie spielen vor Publikum hinter einer Schaufensterscheibe.
Eine Passantin kommt mit Einkaufstüten über den Bürgersteig. Sie stutzt und stoppt vor dem Schaufenster eines Brillengeschäfts. Aus kleinen Boxen klingt ein Limerick: "Der Auerhahn, der Auerhahn, der schaut mich ganz schön sauer an. Stört mich aber nicht, weil ich grad penne. Und zwar mit seiner Auerhenne. Das war Heinz Erhardt."
Gerd Normann steht lächelnd hinter der Scheibe vor dem Mikrofon und breitet die Arme aus: "Hallo! Dankeschön. Halten Sie die Abstände ein, setzen Sie die Maske auf, dass sich die Aerosole bei Lachanfällen nicht in der Straße verteilen."
Lachen mit Abstand und Anstand: Das ist Normanns Botschaft. Der Wortakrobat mit Vorliebe für Tierlimericks steht sonst in Berliner Kabaretts auf der Bühne oder füllt Schützenhallen im Sauerland:
"Dankeschön! Die Krefelder Straße hat zugehört, wunderbar. Ich begrüße sie! Hier ist das Entenfuß-Showfenster. Hier treten Künstler auf, die in den Theatern gerade nicht auftreten können, weil die Theater geschlossen sind. Hier dürfen sie auftreten im Showfenster."

Kulturtankstelle Schaufenster

Die Passantin eilt weiter. "Gehen" ist mit Kreide auf eine Hälfte des Bürgersteigs geschrieben, "Stehen" auf die andere. Eine rote Banderole trennt den Gehweg. Sie ist aufgespannt zwischen zwei Mikrofonständern.
Margrit Lüder steht auf der richtigen Seite und achtet darauf, dass vor dem Schaufenster alle in die richtige Richtung laufen. Sonst verkauft Lüders hier in Berlin-Moabit Brillen und Kontaktlinsen: "Man hat ja Verständnis für die Künstler und da habe ich gedacht, das ist leicht zu machen und ich unterstütze die gerne. Das ist ja auch ein bisschen Aufmerksamkeit für die Straße und den Laden. Von daher können wir nur gewinnen."
Darum hat sie ihr Schaufenster freigeräumt. Sie bringt Kultur hinter die Scheibe für das Publikum auf der Straße. Im Schaufenster macht sich jetzt Lina Lärche vor einem roten Samtvorhang mit Schlaghose und schwarzer Perücke Lina Lärche für ihren Auftritt bereit.
"Es erinnert ein bisschen an die Herbertstraße in Hamburg. Das war auch eine kleine Nebenidee, dass die Künstler sich jetzt so prostituieren müssen, weil sie nicht auftreten dürfen. Und von daher ist das auch so gewollt", sagt Lüders.
Lärche begrüßt ihr Publikum: "Hallo, ja hier! Standing Ovations in der Krefelder Straße. Wieder ist es ausverkauft hier! Ich freue mich wahnsinnig. Schön guten Tag, bitte bleiben Sie mal stehen!"
Eine Frau mit zwei Einkaufstaschen am Fahrradlenker stoppt: "Ich wohne hier im Kiez. Und bin echt begeistert. Ich habe echt wunderschöne Musik gehört, tolle Darbietungen. Falls ich mich mal raus wage, dann bleibe ich hier echt mal gerne stehen."
"Kultur tanken", nennt sie das. Vor dem Fenster steht eine kleine Spendenbox. Sie wird bewacht von einer Plastikente. Wer kann, der gibt. Die Künstler aber spielen so oder so.

Künstler ins Showfenster

Drinnen im Laden sitzt Gerd Normann und macht Pause zwischen den Brillen. "Künstler ins Showfenster" war seine Idee und sie war naheliegend. Normann ist Optiker und Wortkünstler. Er verkauft Brillen im Laden und Wortwitz auf der Bühne.
"Ab März war nix mehr. Dann bin ich so langsam immer saurer geworden, weil für die Künstler so wenig getan wurde. Und dann kam der nächste Lockdown, dann habe ich gedacht, gut dann muss ich selbst was für die Künstler tun", sagt Normann.
Der harte Lockdown ist für Bühnen- und Solokünstler seit einem Jahr Realität. Finanziell ist das ein Desaster und kulturell frustrierend – keine Bühne nirgendwo.
"90 Prozent haben gleich zugesagt. Die haben gesagt: 'Oh, ich will mal wieder auftreten! Ich will meinen Beruf ausüben, ich kann nicht." Die haben gesagt: Bei dir darf ich! Ich komme, gib mir einen Termin!'".
Hip-Hopper, Kabarettisten, Chanson-Interpretinnen – alle wollen im Showfenster spielen. Jetzt kommt ein Kunde in den Laden mit einem großen Bild unter dem Arm:
"Ich habe mal ganz spontan entschieden, ich sponsore das ganze System hier mal mit 10 Euro."
Normann bedankt sich: "Super, sehr schön. Dankeschön!"
"Jeden Tag eine gute Tat, dann bin ich auch schon weg."
Der 10-Euro-Schein kommt in die Kasse. Normann nickt. Es sieht so aus, als lächele er hinter der Maske: "Das ist auch so ein Feedback, das man bekommt, vom Publikum, die sehr, sehr dankbar sind. Es geht nicht ums Geld, auch den Künstlern nicht. Es ist auch Protest, ganz klar: 'Wir lassen uns jetzt nicht einfach ausschalten, sondern wir überlegen uns was'."
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