Parkinson und Alzheimer

Künstliche Ersatzteile fürs Gehirn

06:33 Minuten
Scan eines menschlichen Gehirns
Wissenschaftler forschen an biohybriden neuronalen Netzwerken. Diese könnten Schäden am Gehirn beheben. © imago / Westend61
Von Fanny Buschert · 10.02.2022
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Künstliche Synapsen könnten Hirnfunktionen wiederherstellen und so Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer aufhalten. Noch ist das eine Zukunftsvision. Aber Forscher des Tissue Electronics Lab in Neapel arbeiten daran.
„Biohybrid beschreibt das Zusammentreffen von Biologie und künstlichen Systemen. Das wird in verschiedenen Bereichen genutzt. In unserem Fall bedeutet biohybrid, dass sich Neuronen und künstliche Neuronen treffen. Künstliche Neuronen sind spezielle elektronische Geräte, die in ihren Funktionen biologischen Neuronen ähneln“, erklärt Francesca Santoro. Sie ist biomedizinische und Elektroingenieurin und forscht an biohybriden Synapsen.
Ihre Motivation: Der Blick in die Zukunft. „In 30 Jahren werde ich Teil der alternden Bevölkerung sein, der auf seine 60er zugeht“, sagt sie. „Mit dieser immer älter werdenden Bevölkerung werden all die Krankheiten sehr präsent sein, die auf biologische Degeneration zurückzuführen sind.“

Mehr Alzheimer- und Parkinson-Patienten

Biologische Degeneration: Das bezeichnet die Rückbildung und den Abbau von Gewebe. Betrifft solch eine Veränderung Nervenzellen, wird von Neurodegeneration gesprochen. Zu neurodegenerativen Erkrankungen gehören beispielsweise Parkinson, Alzheimer und verschiedene Demenz-Erkrankungen.
Schätzungen zufolge werden diese Krankheiten bis 2050 in Deutschland zunehmen: von unter zwei Millionen Patientinnen und Patienten auf über drei Millionen.
Francesca Santoro will Heilungsansätze aus der Perspektive der Elektroingenieurin entwickeln. „Ich bin eben keine Medizinerin und keine Neurowissenschaftlerin“, meint sie. Daher versuche sie zusammen mit ihrem Team, elektronische Geräte und Plattformen zu entwickeln, die sich mit dem Gehirn verbinden lassen.
„Das könnte uns zum einen Einblicke in die Funktionen des Gehirns geben, aber auch Hinweise darauf, wie neurodegenerative Prozesse aufgehalten werden könnten.“

Verfall der Nervenzellen aufhalten

Neuronen nutzen elektrische Impulse, um miteinander zu kommunizieren. Und eben diese Kommunikation versuchen Francesca Santoro und ihr Team, auch mit künstlichen Neuronen herzustellen. Das könne bei der Testung von Medikamenten sehr hilfreich sein, betont die Forscherin.
„Es bräuchte dann viel weniger Versuchstiere oder echte Zellen von Patienten. Für die Zukunft ist aber natürlich unser Ziel, dass diese Technologie in Kliniken angewendet werden kann, die neurodegenerativen Erkrankungen behandeln.“
Die Verbindung eines echten Neurons mit einer der neu entwickelten elektronischen Vorrichtungen ist den Forschenden bereits gelungen. Ein großer Erfolg. Allerdings beständen die elektronischen Geräte aus herkömmlichen Metallen, seien sehr steif und sehr flach.
„Unsere Hirnzellen sind nicht flach und auch nicht steif. Sie sind sehr weich, sie sind dreidimensional, sehr dynamisch und sie haben sehr viele Ausbuchtungen in alle möglichen Richtungen. Jetzt versuchen wir also, neue Elektronik zu entwickeln, die auch diese Hindernisse überwinden kann.“

Künstliche und echte Neuronen kommunizieren

Entstehen soll am Ende ein sogenanntes „Micro Device“ mit zwei zentralen Eigenschaften. Zum einen soll die Elektronik aussehen wie ein Neuron. „Der zweite Punkt: Diese Elektronik soll auch wie neuronale Zellen denken und agieren.“
Tatsächlich fanden Francesca Santoro und ihr Team die Komponente, die starres und flaches Metall ersetzen kann: leitungsfähige Polymere, also Kunststoffe. Diese können sich nicht nur den Formen eines Gehirns anpassen, sondern auch elektrische Impulse weiterleiten.
Auf diese Weise gelang es ihnen, Informationen von einem natürlichen Neuron auf ein künstliches Neuron weiterzuleiten: Die erste biohybride Synapse – und möglicherweise der Grundstein, um in Zukunft mit biohybriden neuronalen Netzwerken verlorengegangene oder beschädigte Hirnfunktionen wiederherstellen zu können. Oder vielleicht auch: ganz neue Hirnfunktionen herzustellen?

Das Gehirn manipulieren?

„Wir nutzen die elektronischen Wirkweisen dieser Geräte nur so weit aus, wie wir damit zum Beispiel biologische Systeme stimulieren können“, sagt Santoro. Das sei die Grenze.
„Es stimmt schon: diese Grenze ist dünn und das ist ein bisschen angsteinflößend. Aber unsere Technologie zielt auf rein medizinische Zwecke ab.“
Keine Sorge also, dass biohybride Synapsen der nächste Schritt sein könnten in eine Zukunft voller Cyborgs mit künstlichen, ferngesteuerten Gehirnen? Franscesca Santoro lacht: „Wir sind doch alle schon Cyborgs“, sagt sie.
„Wir haben alle Smartphones oder Smartuhren, unser Herzschlag und unsere Atmung werden schon überwacht. Und warum machen wir das? Weil wir unsere Lebensqualität verbessern wollen. ‚Micro Devices‘ sind Teil unseres Lebens. Und in gewisser Weise machen sie uns zu guten Cyborgs, denn wir nutzen sie, um unser Leben zu verbessern. Nicht, um Funktionen zu optimieren, sondern um sie zu erhalten. Damit es uns gut geht.“
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