Künstler Hans Scheuerecker

Die Gier nach Leben und Emotion

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Eine Collage zeigt Ansichten der Werke: Tänzerin I, Acryl auf Leinwand, 2019, 250 x 200 cm sowie Tänzerin II, Acryl auf Leinwand, 2019, 250 x 200. Darauf zu sehen abstakte feminine Körper in schwarzen, roten und grauen Tönen auf einer grauen Farbfläche.
Die Gemälde "Tänzerin I" und "Tänzerin II" von Hans Scheuerecker: Wichtige Themen seiner Kunst sind Körper, Triebe, Leidenschaften. © Hans Scheuerecker / Repro: Thomas Richert
Von Sylvia Belka-Lorenz · 31.10.2019
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Hans Scheuerecker ist einer der wichtigsten abstrakten Maler aus der ehemaligen DDR. Seine Arbeiten kreisen um Sex, Besessenheit und Rebellion. Jetzt würdigt eine Schau in Dresden sein Werk. Unsere Autorin hat den Provokateur besucht.
Die Jalousien vor seinen Fenstern sind heruntergelassen. Immer schon. Es ist das diffuse Licht, das Hans Scheuerecker so liebt. Und immer mehr sind die Jalousien auch sein Bollwerk nach draußen. "Die schützen auch meine Insel, die ich mir hier gebaut habe und auf die ich nicht jeden lasse", sagt der Künstler.
Das war früher anders. Scheuerecker führte ein Leben im Rausch, sein Atelier war seit den 80er-Jahren eine Insel der Bohéme inmitten der ostdeutschen Provinz. Als Expressionist und Autodidakt galt er als nicht systemkonform, mithin als verdächtig.

Weit und bereit bekannt

Scheuereckers Themen: Sex, Triebe, Leidenschaften. Er malte das genauso: Akte, Unterleiber, Münder. In Fragmenten, verzerrt, in manchmal grotesken Proportionen. Scheuerecker machte Performances, bemalte nackte Leiber, gab rauschende Feste. Bis heute ist sein Name sogar denen ein Begriff, die sich nie für Kunst interessiert haben. Seine Stasi-Akte fasst viele hundert Seiten.
Er bewahrt sie wie eine zynische Trophäe im Wohnzimmer auf und sagt: "Wenn jemand so laut ist wie ich, dann muss man den nehmen. Ich war kein Gegner an der Front. Ich war ein Gegner der Gedanken. Deswegen habe ich mich schon gewundert, dass ich so einen spektakulären Platz bei der Überwachung einnahm."
Unter den Spitzeln waren Freunde. Und die eigene damalige Ehefrau. Scheuerecker nimmt es mit einem ganz eigenen, koketten Humor: "Ach gucke mal, so unwichtig war ich gar nicht. Vielleicht hält man sich mit sowas länger."

Ein Leben wie Charles Bukowski

Damals wie heute scheiden sich an Scheuerecker die Geister. Zu eindeutig und obszön sind vielen die Bilder, zu exaltiert der Mann: groß und kahlköpfig, stets mit weißem Hemd und breiten Hosenträgern, immer laut, meistens trinkend. Drogen, Parties und Prostituierte – neben der Kunst ließ sein Atelier die Phantasien blühen. Ein Image, das ihm nicht wirklich zuwider ist, immerhin sei es Charles Bukowski ähnlich gegangen: "Wenn ich so viel in Betten gelegen hätte, hätte ich denn doch weniger gearbeitet."
Der Künstler Hans Scheuerecker, schwarz gekleidet vor einem seiner Kunstwerke.
Hans Scheuerecker - Künstler und Bürgerschreck.© Helga Kiss-Nuessler
Auch wenn die vielen Exzesse inzwischen Tribut fordern, wirkt Scheuerecker nach wie vor rastlos. Lebenslust trifft es fast nicht, was ihn antreibt. Eher ist es die Gier nach Leben, nach Emotion, nach Tiefe.
"Ich bin jetzt ein alter Mann. Ich bin, weiß Gott, vom süßen Leben gezeichnet. Aber es ist albern, wenn man heute noch von riesengroßen Parties und Weibergeschichten berichtet. Mein jetziges Leben ist, wenn auch ein bißchen aus Zwang, geordneter geworden. Und ich hoffe, dass in dem Zuge dann auch mal die Altersweisheit durchkommt, aber von der merke ich bislang noch nix."
Es gibt nicht mehr viele Menschen, die zu ihm vordringen. Das früher stets offene Atelier ist zur Festung geworden. Bis heute bleibt dem zweifachen Brandenburgischen Kunstpreisträger eine Ausstellung im Kunstmuseum der Stadt Cottbus versagt. Während sich Verantwortliche von einst heute nicht mehr recht erinnern wollen: Für Scheuerecker ist das der ultimative Verrat.
"Es ist nicht das erste Mal, dass ich von dieser Stadt in meinem Künstlerleben gedemütigt werde. Daraufhin habe ich mich von dieser Stadt losgesagt. Ich bin hier nicht mehr zu sehen. Ich gehe nicht einkaufen, in keine Kneipe, nicht ins Theater. Ich habe meinen Lebensmittelpunkt nach Dresden verlegt. Dort freut man sich, wenn einer wie ich auftritt."

Das Erstarken der Rechten treibt ihn um

Wenngleich Scheuerecker es ablehnt, politische Botschaften in seine Arbeiten zu legen, erhebt er doch seine Stimme. Das neue Erwachen rechtsextremer Kräfte, nicht zuletzt in Cottbus, treibt ihn um:
"Als sich Pegida gesammelt hat, da habe ich oft den Satz formuliert, wir müssen uns gegen die Anfänge wehren. Das Thema hat viele Freundschaften gespalten. Ich musste mir sagen lassen auf meine Mahnung: Das muss Demokratie aushalten. Ich hielt es für fahrlässig, so zu denken. Meine Frau ist Jüdin. Und ich hätte es nicht gedacht, dass das Thema noch einmal so auf dem Tisch liegt. Manchmal reden wir darüber, wenn es mal umschlägt, wer von uns als erstes dran ist. Ich bin sehr besorgt."
"Letzter Kuss von Pola" heißt die neue Ausstellung von Hans Scheuerecker in Dresden. Nein, das ist keine seiner Weibergeschichten. Pola steht für das Schmerzmittel Polamedon, das er lange nehmen sollte. Scheuerecker hat einen kalten Entzug hinter sich, das schlimmste, was er je durchgemacht habe.
Entstanden sind Arbeiten, die in ihrer Ästhetik, ihrer Dichte, ihrer Radikalität wieder einmal neue und überraschende Schlaglichter auf ein Werk werfen, das man doch so gut zu kennen meint. Schwarze Selbstporträts. Entsetzliche Fratzen.

Existenziell und abgründig, größenwahnsinnig und bescheiden

Scheuerecker ist, was er immer war: existenziell und abgründig. Größenwahnsinnig und bescheiden. Zornig, witzig und großzügig. Einer der serienweise abliefern kann - und dem dann wieder einmalige Meisterwerke gelingen. Einer, der sich mit Werk und Körper gegen die Konvention stemmt.
Wer ihm dann noch immer nichts abgewinnen kann, der hat ihn nie bei seiner Arbeit in Kindergärten erlebt. Keine Frauen, kein Wodka und definitiv keine Drogen. Der riesig wirkende Maler, der mit Vierjährigen auf riesigen Papierbögen kniet- und malt:
"Da gibt es ein Foto, da gehe ich in der schwarzen Anzughose, indem ich auf die Knie gehe, auf die Ebene der Kinder. Und jemand hat festgestellt: Das ist das Foto, das dich ausmacht. Wenn es um was geht, wenn es um die Arbeit geht, dann ist alles andere scheißegal. Da kann man dann sagen, ich habe nicht umsonst gelebt, um Rembrandt zu zitieren. Das gefällt mir schon sehr."

"Letzter Kuss von Pola" - Werkschau von Hans Scheuerecker in der Galerie Ines Schulz in Dresden, bis 30. November 2019.

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