Krzysztof Czyżewskis Gedicht "die träne des clowns"

Lyrik gegen den Krieg

11:01 Minuten
Der Lyriker Krzysztof Czyzewski.
Das Gedicht "die träne des clowns" des polnischen Lyrikers Krzysztof Czyzewski wird noch im April in 13 Sprachen veröffentlicht. © imago-images / KUBA
16.04.2022
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Der Lyriker und Übersetzer Lothar Quinkenstein hat ein Gedicht des polnischen Autors Krzysztof Czyżewski zum Krieg in der Ukraine ins Deutsche übersetzt. Mit freundlicher Genehmigung des Autors können Sie es hier vor der Veröffentlichung lesen.
„die träne des clowns“ heißt ein Gedicht des bekannten polnischen Schriftstellers Krzysztof Czyżewski, das unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges entstanden ist. Momentan wird es in 13 Sprachen übersetzt. In dieser Vielsprachigkeit soll es dann auch veröffentlicht werden
Es ist ein Gedicht über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Werdegang vom Komiker zur Symbol- und Integrationsfigur des ukrainischen Widerstands, wie Lothar Quinkenstein erklärt. Er hat das 20 Strophen zählende Kunstwerk ins Deutsche übertragen. Am Ende dieses Beitrags finden Sie das Gedicht in voller Länge.
"Diese ganz bewusst gestaltete Zuspitzung entfaltet sich im Verlaufe dieses Gedichtes zu einer Landkarte der Ukraine, einer Landkarte des Krieges.“ In fast allen Strophen steht am Ende der Name einer ukrainischen Stadt.

 Eine kulturhistorische Landkarte

„Es ist aber nicht nur eine deskriptive Wiedergabe dessen, was in den letzten Wochen seit dem 24. Februar in den Nachrichten zu hören ist“, erklärt Quinkenstein. „Es eröffnet sich auch ein historischer und kulturhistorischer Horizont. Wir haben zahlreiche Anspielungen, wir haben verschiedene Folien, durch die auf dieses Kriegsgeschehen geblickt wird.“ Im Gedicht finden sich Anspielungen und Verweise auf Joseph Roth, Paul Celan, aber auch auf Aleppo, Sarajevo, Grosny oder Guernica.
„Es geht darum, diesen Raum, der jetzt verwüstet wird, auch in Erinnerung zu rufen als einen Raum eines mitteleuropäischen kulturellen Gedächtnisses.“ Gleichzeitig sei das Gedicht „auch als eine Anklage im Namen von Verbrechen, die in der Vergangenheit begangen wurden“, zu verstehen „und auch als Versuch, dieses Gedächtnis mit hineinzubringen in die Gegenwart“.

 Das Gedicht endet mit einem Hoffnungsschimmer

Sobald die Übersetzungen abgeschlossen sind und ein Buch daraus entstanden ist, soll es in einer limitierten Auflage in der weißen Synagoge im polnischen Sejny versteigert werden, so Quinkenstein. Der Erlös dieser Auktion wird dann der Ukraine zugutekommen.
Das Gedicht endet mit dem Sieg der Ukraine, wobei Quinkenstein sich bewusst dafür entschieden hat, das ukrainische Wort dafür – peremoha – nicht zu übersetzen, weil in diesem Wort etwas Prozesshaftes mitschwingt, nicht der Sieg als Moment oder als Resultat, sondern als Prozess der Bezwingung, der Überwindung.
(ckr)
Krzysztof Czyżewski

die träne des clowns
nicht zu ertragen in der menschennacht der totenwache
aus tiefen des abgrunds erhebt sie die schlaflosen
unter die Skakun-brücke erhebt sie zur verteidigung von Butscha
rinnt über der blutigen erde gesicht
das schmerzengeschundene
antlitz von Irpin
taucht ihr Erdenbewohner hier eure federn ein
es schreibt diese tinte noch immer die wahrheit
das wort zerschossen mit dem fleisch von Charkiw
gebt mit dem herzen
was ihr habt an recht
dem klugen widerstand von Kiew
steht auf der höhe der augen des clowns
der sich den staatsmännern nicht beugt der – tut!
bleibt gegen den strom auf der brücke in Saporischschja
in seinen pupillen
die schwangere auf der trage
der bürgermeister von Hostomel
ins leichentuch der träne hüllt er das licht der toten
fließt mit den wellen des Dnepr ins herz seines landes
fließt euch entgegen über die griechische küste Odessas
er kommt um eure träume
trägt nach Rom auf allen wegen
die verratene Krim
eine andere kinderträne bringt er als die des Iwan Karamasow
in deren namen alles gestattet ist auch einen
kindergarten zu beschießen in Starobielsk
seine eintrittskarte gibt er nicht zurück
er beugt sich über jeden
im trümmerschutt von Cherson
und weiter geht er weiter als die macht der bestie reicht
aus der hölle des offenen himmels euch entgegen
auf der straße – rozbombiona – der europäischen familie
mit der träne des jedermann
erhebt er den aufschrei der moral
über Mariupol
aus Aleppo Sarajewo Warschau
aus Guernica Grozny Masada
bringt er das ermordete Altersheim in Kreminna
fürchtet den clown
ihr krawattengebundenen
unter Chinas zugedrückten augen
ihr scheidet mit falschem gewicht
das schöne vom guten verwaiste der wahrheit
verloren geht euch der meridian von Czernowitz
den clown so sagt ihr
ließ er hinter sich
der Jude aus Krywyj Rih
wer aber wagte sie abzuwischen
die träne der wiederkehrenden tragödie
gebannt im stummen schrei von Babyn Jar
ein anderer so kommt er euch entgegen
liest nicht mehr vom blatt
erzählt euch jetzt von Russland
macht platz für ihn lasst ihn in eure herzen
der das dunkle so klar erblickt der niederkniet
bei den toten in der schlange um brot in Tschernihiw
die träne des clowns
sie verwandelt die Erde es kommt
peremoha aus der Ukraine
Aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein

Anmerkungen des Übersetzers:

Skakun-Brücke – Der ukrainische Marinesoldat Witalij Wolodymyrowitsch Skakun / Віталій Володимирович Скакун (19. 08. 1996 – 24. 02. 2022) gehörte zu einer Einheit, die am ersten Tag des russischen Überfalls die Brücke in der Nähe der Ortschaft Henitschesk (Oblast Cherson) sprengen sollte, damit eine von der Krim kommende russische Kolonne aufgehalten würde. Da keine Zeit mehr blieb, eine Fernzündung vorzubereiten, erklärte sich Witalij Skakun bereit, die Ladung manuell auszulösen. Wolodymyr Selenskij ernannte ihn postum am 26. 02. zum "Helden der Ukraine".

tut – ukr. "hier". In den Videobotschaften des ukrainischen Präsidenten wurde das Wort von den ersten Kriegstagen an zu einem Bekenntnis, wenn Selenskij betonte, dass er mit seinem engsten Stab tut! – "hier!" – sei, und dass niemand die Absicht habe, seinen Posten zu verlassen.

rozbombiona – ukr. zerbombt (hier in Bezug auf die Straße)

peremoha – ukr. der Sieg

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