Kritiker zum Tod des Dramatikers Rolf Hochhuth

"Er legte Wert auf die Verantwortung des Einzelnen"

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Porträt von Rolf Hochhuth.
Setzte sich mit verdrängten Themen auseinander: Rolf Hochhuth ist mit 89 Jahren verstorben. © Imago / Rüdiger Wölk
Helmut Böttiger im Gespräch mit Joachim Scholl · 14.05.2020
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"Der Stellvertreter", "Juristen", "McKinsey kommt": Viele Werke des Dramatikers Rolf Hochhuth provozierten Skandale. Sein moralischer Impetus habe auch biografische Gründe gehabt, erklärt Literaturkritiker Helmut Böttiger zum Tod des 89-Jährigen.
Der Dramatiker Rolf Hochhuth ist tot. Hochhuth starb am Mittwoch im Alter von 89 Jahren in Berlin, wie sein Herausgeber Gert Ueding der Deutschen Presse-Agentur (dpa) am Donnerstag mitteilte. Der Tod wurde der dpa auch aus dem Umfeld Hochhuths in Berlin bestätigt.
Hochhuth war einer der erfolgreichsten und umstrittensten deutschen Dramatiker der Nachkriegszeit. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des dokumentarischen Theaters. Die meisten seiner Dramen widmen sich Themen, bei denen die Gesellschaft zur Verdrängung neigt.
Das trifft auch auf sein erstes Stück "Der Stellvertreter" zu. Hochhuth landete gleich mit seinem Debüt einen Welterfolg. Das Schauspiel wurde 1963 an Berliner Freien Volksbühne uraufgeführt. Der damals noch unbekannte Autor stellt in dem Stück die Frage, ob Papst Pius XII. und die katholische Kirche durch Schweigen eine Mitschuld an der Vernichtung der Juden durch das NS-Regime treffe. Das löste heftige Auseinandersetzungen und öffentliche Proteste aus. "Das war einer der größten Skandale überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland", sagt Literaturkritiker Helmut Böttiger. "Die Zeitungen standen Kopf, die Politik stand Kopf, es gab unglaublich viele diplomatische Verwicklungen." Das Stück wurde in 28 Sprachen übersetzt und 2001 auch verfilmt.

Konkrete Wirkung auf die Politik

"Sein zweiter Top-Hit war seine Attacke auf den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger", erklärt Böttiger. Filbinger habe als Nazirichter selbst nach der Kapitulation Deutschlands noch Menschen zum Tod verurteilt. In der Erzählung "Eine Liebe in Deutschland" (1978) und den Recherchen zu dem Stück "Juristen" (1979 uraufgeführt) beschäftigte sich Hochhuth mit der Rolle von Richtern der NS-Zeit in der Bundesrepublik. In der Folge der Debatte darum musste der frühere Marinerichter Filbinger 1978 als baden-württembergischer Ministerpräsident zurücktreten.
Hochhuth sei aber "eigentlich kein Linker" gewesen. "Man kann ihn nicht im Umfeld der ′68er verorten", meint Böttiger. "Er war eher so ein Grundliberaler." Er habe eine Klassenkameradin geheiratet, deren Mutter als Mitverschwörerin der "Roten Kapelle" 1943 von den Nazis enthauptet worden sei. "Da gibt es so einen sehr direkten moralischen Impetus. Und Hochhuth hat auf individuelle Moral sehr großen Wert gelegt; auf die Verantwortung des Einzelnen in welch diktatorischen, bedrängenden, tötenden Umgebungen auch immer."

Oft an den Effekten verhoben

Auch später erregten Hochhuths Stücke Aufsehen. So etwa auch "McKinsey kommt". Das Schauspiel um die Themen Massenarbeitslosigkeit, Managermacht und Profitgier hatte 2004 am Theater Brandenburg Uraufführung. Angesichts der Massenentlassungen bei der Deutschen Bank wird an einer Stelle im Stück Verständnis für einen möglichen Mordanschlag auf deren Vorstandssprecher Josef Ackermann geäußert. Das stieß beim Bundesverband der deutschen Industrie auf eine heftige Gegenreaktion.
2005 löste Hochhuth mit einer Interviewäußerung in der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" einen weiteren Skandal aus. Darin äußerte er sich sehr lobend über den britischen Historiker und Holocaust-Leugner David Irving – und nahm das später nach heftiger Kritik wieder zurück.
Literarisch bleiben werde von Rolf Hochhuth "außer dem Stellvertreter als literaturpolitsicher Movens eigentlich wenig", sagt Böttiger. "Man hat ihm immer auch formale Schwächen vorgeworfen. Er war einer, der sehr auch auf Effekte setzte – und hat sich da oft auch verhoben."
Der 1931 in Hessen geborene Hochhuth war verheiratet und hatte drei Söhne. Er lebte zuletzt in Berlin.

Hochhuth sei extrem wichtig für das deutsche literarische Bewusstsein der Nachkriegszeit, meint der Theaterkritiker Michael Laages. Der Dramatiker sei immer getrieben gewesen vom Kampf um die Aufbereitung der Nazizeit.

(abr/mit Munzinger/dpa)
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