Kritik an Social Freezing

Die Firma ist deine Familie

Das Monitorfoto zeigt das Einbringen einer Samenzelle in eine Eizelle mittels Mikropipette unter dem Mikroskop.
Einfrieren und später drum kümmern? - Die künstliche Befruchtung einer Samenzelle © Hubert Link, dpa
Von Tanja Dückers · 21.11.2014
"Social Freezing“, das vorsorgliche Einfrieren unbefruchteter Eizellen, ist das heißdiskutierte Angebot zweier amerikanischer Konzerne an seine Mitarbeiterinnen. Die Schriftstellerin Tanja Dückers sieht darin einen Rückschritt, keinen Fortschritt.
Social Freezing nennt sich das scheinbar großzügige Angebot der Internetriesen Facebook und Apple an seine Mitarbeiterinnen, Eizellen einfrieren zu lassen. Doch dieses Angebot ist nicht, wie der Name suggeriert, sozial, sondern frauen- und vor allem mütterverachtend. Ein derart zynisches, jegliche Privatsphäre und Intimitätsgrenze verletzendes Angebot hat es selten in der jüngeren Geschichte der westlichen Arbeitsgesellschaften gegeben. Da denkt man beinahe sehnsuchtsvoll an die Zeiten zurück, als sich die Sekretärin mal vom Chef in den Ausschnitt gucken lassen musste.

Es fängt schon damit an, dass die Unternehmen, die diese Offerte publik gemacht haben, offenbar wenig Kenntnis von Humanbiologie haben: Eine vierzigjährige Frau hat nicht die gleichen Chancen, ein gesundes Kind zu gebären wie eine 20- oder 30-jährige und zwar unabhängig davon, wie alt ihre Eizellen sind. Nicht nur die Gesichtshaut bekommt Fältchen, auch die Gebärmutter altert, verkalkt, wird weniger gut durchblutet. Zudem verlieren ältere Frauen ihr Baby öfter, und sie leiden vermehrt unter Schwangerschaftskomplikationen. Auch kommen ihre Babys öfter zu früh auf die Welt. Und: Ein Teil der Behinderungen bei Kindern ist nicht genetisch bedingt, sondern eine Folge von Komplikationen bei der Geburt. Diese nehmen mit dem Alter der Mutter stetig zu. Ganz am Rande: Viele Eizellen überstehen das Einfrieren nicht unbeschadet.
Ein großer Fortschritt, aber keine Lösung
Es ist zweifellos als großer Fortschritt zu betrachten, dass ungewollt Kinderlose heute mittels der In-Vitro-Fertilisation größere Chancen haben, ein Kind zu empfangen. Jedes siebte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos. Diese Paare nehmen zum Teil große Strapazen auf sich, um -vielleicht- doch noch ein Kind zu bekommen. Viele von ihnen haben die Familienplanung jedoch einfach nur zu lange aufgeschoben.
In den Kinderwunschpraxen tummelt sich entsprechend die Generation 35 oder 40 plus. Für sie mag der Gang in den OP-Saal der letzte Weg zum eigenen Kind sein. Aber die Idee, jungen Frauen statt einer schönen Nacht eine OP mit Vollnarkose und erheblichen weiteren Strapazen und Risiken nahezulegen, grenzt an erschreckend wenig Empathie für die eigenen Mitarbeiterinnen.

Diese ökonomisch motivierte Idee zeugt von Machbarkeitswahn und einem mechanistischen Körperverständnis. Der schwer wiegende und riskante Eingriff in die Biographie der Mitarbeiterinnen verfolgt lediglich den profanen Zweck, dass diese der Firma effizienter dienen können. Die Erfahrung, Kinder zu haben, zuhause stets Teamplayer sein zu müssen, wird nicht als wertvoll wahrgenommen und in die Unternehmenskultur integriert. Mutterschaft wird nur als Störfaktor betrachtet.

Auf den progressivsten und gleichzeitig emphatischsten Gedanken sind die angeblich so zukunftsorientierten Internetbranchenführer nicht gekommen: Die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass jungen Müttern und Vätern endlich eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich ist. Dies wäre der richtige Ansatz gewesen!
Einfach das falsche Signal
Anstatt Teilzeitstellen auszubauen, Home-Office-Zeiten und Kindergärten einzurichten, wird den Mitarbeiterinnen suggeriert: Wenn ihr erfolgreich sein wollt, dann könnt ihr nicht gleichzeitig Mütter sein. Damit wartet ihr lieber, bis ihr Anfang 40 und so ausgepowert seid, dass ihr eh eine Auszeit nötig hättet.

Auch für die Männer ist das Signal von Facebook und Apple nicht eben aufmunternd: Es untergräbt das Modell der berufstätigen Mutter und rekurriert auf die alten dualen Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern: Arbeiten oder Kind haben. Beides zugleich geht nicht. Zumindest nicht, wenn man erfolgreich sein will. Es wird ein Einsatz erwartet, der mit einem Privatleben kaum vereinbar ist. Die Firma ist Deine Familie, Dein Baby.
Tanja Dückers, Schriftstellerin
Tanja Dückers, Schriftstellerin© picture-alliance/ dpa-ZB / Karlheinz Schindler
Tanja Dückers, geboren 1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Journalistin. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen die Romane "Spielzone" (1999), "Himmelskörper" (2003), "Der Längste Tag des Jahres" (2006) und "Hausers Zimmer" (2011), der Essayband „Morgen nach Utopia" (2007) sowie die Lyrikbände "Luftpost" (2001) und "Fundbüros und Verstecke" (2012). Sie ist eine der Autorinnen der jüngeren Generation, die sich immer wieder in aktuelle gesellschaftspolitische Debatten einmischen. Sie schreibt für verschiedene Zeitungen und Magazine, u.a. Spiegel, Süddeutsche, Tagesspiegel, taz, Frankfurter Rundschau, Welt, Jungle World. Monatlich erscheint ein Essay von ihr auf ZEIT Online. Nach vielen Auslandsaufenthalten, die sie von Los Angeles und Barcelona über Tschechien und Polen bis nach Rumänien führten, lebt Tanja Dückers heute mit ihrer Familie in Berlin.

www.tanjadueckers.de
Als Hinweis der Redaktion:
Das Manuskript wurde nachträglich korrigiert, nachdem Google Deutschlandradio darauf hingewiesen hat, dass es nicht zum Kreis der Firmen gehöre, die ihren Mitarbeiterinnen "Social Freezing" angeboten haben sollen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen!
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