"Krisensymptome zuhauf" bei der FDP

Everhard Holtmann im Gespräch mit Gabi Wuttke · 17.12.2011
Sinkende Umfragewerte, ständige Personalquerelen und keine klaren Botschaften an die Wähler seien die Probleme der FDP, sagt der Politologe Everhard Holtmann. Die Partei habe aber keine Zeit für "therapeutische Schleifen".
Gabi Wuttke: So, jetzt kommt erst mal Weihnachten und dann beginnt ein neues Jahr und damit auch neues Glück! – So geben sich nicht wenige in der FDP, nachdem die Mitglieder sich mehrheitlich für den Euro-Rettungskurs der Koalition ausgesprochen haben. Der Chef hätte also nur abwarten müssen, dann wäre Christian Lindner womöglich noch immer sein Generalsekretär. Kann diese FDP die Krise als Chance begreifen? Um Möglichkeiten dafür zu eröffnen, auszuloten, begrüße ich um 07:50 Uhr den Politikwissenschaftler Professor Everhard Holtmann von der Uni Halle, guten Morgen!

Everhard Holtmann: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke Was würden Sie der FDP für therapeutische Ratschläge geben, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen?

Holtmann: Das ist nicht ganz einfach. Es setzt im Grunde genommen voraus, dass man erst eine langwierige Krisen- und Analysensitzung machen müsste. Und für solche therapeutischen Schleifen hat die FDP in der gegenwärtigen Krisensituation eigentlich überhaupt keine Zeit. Das Problem ist ja, dass in der Krise der FDP ganz verschiedene negative Faktoren unheilvoll zusammenwirken, es ist nicht nur die Serie der letzten Niederlagen bei den Landtagswahlen, es sind die permanent niedrigen Umfragewerte unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle. Und dazu kommt noch – und das ist für die Bewegung bei den Wählerpräferenzen ein wichtiger Punkt –, dass die FDP inzwischen in allen wichtigen Politikfeldern bei der sogenannten Kompetenzfrage noch weiter abgerutscht ist. Ein Beispiel: Bei der Steuerpolitik haben wir im Mai dieses Jahres immerhin noch sieben Prozent eine Art Meinungs- und Themenführerschaft zubilligen mögen. Auch das ist jetzt bei drei Prozent. Und dann noch die Personalquerelen und ein nicht so unbedingt überzeugend, im Ergebnis überzeugend ausgefallener Mitgliederentscheid. – Also, Krisensymptome zuhauf und so gesehen wird in nicht allzu langer Zeit, nämlich schon am 6. Juni, beim Dreikönigstreffen, eine Art schicksalhafte Entscheidung bevorstehen.

Wuttke Wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass es im Augenblick für die FDP und natürlich auch für CDU und CSU darum geht, diese Legislaturperiode zu überstehen und dann auch für die Bundespartei die Oppositionsbank vielleicht Platz bietet, um auszupusten und sich dann mal richtig mit der Vergangenheit zu beschäftigen, dann können wir ja an dieser Stelle mal fragen: Was geht eigentlich, was den augenblicklichen Zustand der FDP anbelangt, auf das Konto von Guido Westerwelle als Parteichef?

Holtmann: Da gibt es in der Tat, was die langfristige, aus der Opposition heraus noch inszenierte Festlegung der politischen Strategie der FDP betrifft, eine gewisse Kontinuität, die unheilvoll schon kurz nach den Bundestagswahlen sich ausgewirkt hat und auch jetzt noch mit Ausläufern in die Gegenwart weist. Stichwort ist hier die fatale Festlegung auf die Steuersenkungspolitik. Das hatte nicht nur seinerzeit, als es um die Hoteliersvergünstigungen ging, nicht nur sehr schnell den Ruf eines Klientelismus, einer Klientelpartei. Und auf der anderen Seite kam dann auch hinzu, dass die FDP bei ihrem Austritt aus der Opposition in die Regierungspolitik nicht Anschluss gefunden hat an ihre alte Tradition als Bürgerrechtspartei. Sie musste im Grunde genommen feststellen, dass dieses Feld, was sie teilweise preisgegeben hatte, längst inzwischen von den Grünen besetzt war. Also, das sind die Probleme, die die FDP hatte. Und sie hat es im Grunde genommen auch versäumt, in der dann ja bald heraufziehenden Krise um Euro, um Rettungsschirme und auch um die globalen Risiken so etwas wie einen Standpunkt, wie ein Angebot zu machen, wie sich verunsicherte Bürger, die gleichwohl an ihren individuellen Freiheitsrechten Gefallen haben und auch weiterhin Gefallen finden werden, wie die sich in dieser veränderten Rolle zwischen Bürger und Staat zurechtfinden könnten. Das wäre eigentlich die eigentliche Herausforderung für eine Bürgerrechtspartei gewesen. Es mag sein, dass das Lindner auch im Kopf hatte bei seinen Versuchen einer programmatischen Neuorientierung, aber die sind nun mit seinem sehr schnellen Rückzug aus der Position des Generalsekretärs auch wahrscheinlich Makulatur geworden.

Wuttke Aber ist es tatsächlich so, dass das Regime von Guido Westerwelle tatsächlich nur als Ausläufer in die Gegenwart reicht? Man muss ja ganz offensichtlich konstatieren: Er hat den Jungen in seiner Partei, die Wirtschaftsliberalismus nicht für den Stein der Weisen halten, ja nicht die Chance gegeben, sich wirklich von ihm zu emanzipieren.

Holtmann: Das kann man für einen Zeitraum, als Westerwelle noch unangefochtener Parteivorsitzender war und den Höhepunkt seiner auch innerparteilichen Macht mit dem Bundestagswahlergebnis von bald 15 Prozent hatte, für diesen Zeitpunkt mag man das so sehen. Auf der anderen Seite, die sogenannten, damals sogenannten jungen Wilden in der FDP sind ja von Guido Westerwelle auch gezielt gefördert worden. Und inzwischen ist Guido Westerwelle zwar noch Außenminister, aber im innerparteilichen Machtgefüge nimmt er doch erkennbar eher eine Randposition ein. Also, hier wäre inzwischen genug, trotz der knappen Zeit doch genug Raum andererseits gewesen, sich auch strategisch mit eigenem Profil neu aufzustellen.

Wuttke Werfen wir doch mal sozusagen einen Seitenblick in diese FDP: Westerwelles Eigenbezüglichkeit, um das mal freundlich auszudrücken, ist hinlänglich bekannt, aber mit seinem Abstieg wurde auch sichtbar, dass Eitelkeit, persönliche Eitelkeit nicht nur bei ihm sehr ausgeprägt ist bei den Liberalen. Dieses "Zuerst meine Karriere, dann die Partei", finden Sie auch, dass das in der FDP besonders ausgeprägt ist? – Obwohl natürlich immer eine besondere Konstitution nötig ist, um den Beruf des Politikers zu ergreifen.

Holtmann: Hier muss man fairerweise sagen, dass das ein strukturelles Phänomen einer auch verstärkt durch mediale Darstellung und Selbstdarstellung bewirkten Handlungslogik des Berufspolitikertums ist. Es ist nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal der FDP. Es hängt damit zusammen, dass heutzutage die komplexen Sachverhalte in der Politik für viele nur dann fassbar und bedingt durchschaubar werden, wenn sie auf Personen, auf die Repräsentation in Personen zugespitzt werden. Und das hat auf der anderen Seite oder das kann auf der anderen Seite auch eben jene in der Öffentlichkeit agierenden Personen dazu verleiten, entsprechende Eitelkeiten auszubilden, sich auch dann für wichtiger zu halten, als es in einer parlamentarischen Demokratie der Fall sein sollte. Aber das ist, denke ich, nicht allein ein Problem der FDP, sondern der Berufspolitiker, des Berufspolitikertums insgesamt.

Wuttke Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur an diesem Samstag Professor Everhard Holtmann von der Uni Halle. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Holtmann: Danke, das wünsche ich Ihnen auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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