Krise der Kaufhäuser und Malls

Sauriersterben in der Innenstadt

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Zentrale Kuppelhalle der Koe-Galerie, einer Shoppingmall in Düsseldorf
Die Zeit der Konsum Tempel ist vorbei. Viele Kaufhäuser haben bereits geschlossen. © picture alliance / blickwinkel / S. Ziese
Gedanken von Klaus Englert · 06.10.2020
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Die alten Kaufhäuser verschwinden. Und auch die Shoppingmalls geraten angesichts des zunehmenden Onlinehandels in Bedrängnis. Stadtzentren und Viertel müssten sich daher neu erfinden, meint der Journalist Klaus Englert.
Die Shoppingmalls, einst Zeichen wirtschaftlicher Prosperität, scheinen an ihr Ende gekommen. In den USA ist das Sterben in vollem Gange, hierzulande schwächeln sie sichtlich. Das Konzept eines auf zunehmendes Wachstum basierenden Wirtschafsmodells wirkt erschöpft. Derweil suchen neue Akteure in den Großstädten nach Alternativen – nach neuen, dezentralen Wirtschaftsformen.
Fast 70 Jahre ist die Idee der Mall inzwischen alt. Ausgedacht hat sie der Wiener Architekt Victor David Grünbaum, der 1938 als jüdischer Sozialist in die Vereinigten Staaten emigrierte. Dort machte er als Victor Gruen schnell Karriere und baute 1952 bei Detroit die erste Mall. Ob Theaterbesuche, Bankgeschäfte oder Einkäufe, alles war in der überdachten kleinen Stadt in der Stadt möglich.
Allerdings dürfte der Siegeszug der Shopping-Monstren auf den grünen Wiesen am meisten Gruen selbst erstaunt haben, weil der von abgelegenen, nur mit Autos erreichbaren Konsumtempeln nichts hielt. Doch ihre Entwicklung wurde von anderen, den Groß-Investoren gelenkt.

Mega-Monster mit über 600.000 Quadratmeter

In Westdeutschland kamen die Malls mit einiger Verzögerung an. Vorläufer waren die Supermärkte, die sich seit Anfang der 1970er-Jahre ausbreiteten. Es dauerte wiederum einige Jahrzehnte, bis sich daraus, vornehmlich in China, die kommerziellen Mega-Monster mit über 600.000 Quadratmetern entwickelten. Das Ruhrgebiet, Deutschlands größtes Ballungszentrum, wurde daraufhin von renditehungrigen Investoren zum Testgebiet auserkoren.
Der Investor ECE baute 2008 in Essen Deutschlands größte Shoppingmall, wenngleich die 70.000 Quadratmeter Verkaufsfläche im internationalen Maßstab eher bescheiden anmuten. ECE sprach damals vom "lichtdurchfluteten Erlebnisraum der Superlative". Gemeint war eine Wohlfühloase mit klassizistischen Säulen, Marmorböden, exotischen Bäumen und Ruinenromantik. Überall stampfte man solche Großprojekte aus dem Boden, nicht nur im Ruhrgebiet.

Onlinehandel legt zu

Eine Dekade später kränkeln die Shopping-Dinosaurier. Die Essener Mall schlitterte in die Krise, nachdem der Hauptmieter Karstadt angekündigt hatte, seine Filiale schließen zu wollen. Nicht allein Karstadt, auch andere große Ketten wie H&M geben reihum ihre Filialen auf. Experten des Handelsverbands warnen bereits vor 200.000 Ladenpleiten und 40 Milliarden Euro Umsatzeinbußen.
Zwischen der Umsatzentwicklung von Kaufhäusern und dem Onlinehandel tut sich mittlerweile eine Schere auf. Während die Großkaufhäuser ums Überleben kämpfen, legte der Onlinehandel in zwölf Monaten um 30 Prozent zu. Diese Tendenz wird wohl nach der Pandemie anhalten, weil sich das Online-Shopping bei mehr und mehr Deutschen durchsetzt.

Umnutzung der Shopping-Container ist schwierig

Doch was tun, wenn die viel beschworenen "Erlebnisräume" hinter den aufgeblasenen Hüllen zunehmend veröden und sich die teuren künstlichen Warenwelten als fataler Irrweg erweisen? Öffentliche Subventionierung, wie vom Handelsverband gefordert, würde das Koma des Patienten nur hinauszögern. Zudem zeigt sich die Umnutzung der Shopping-Container als schwierig.
Angesichts unrentabel gewordener Büroflächen und Geschäftsfilialen entstehen mittlerweile in den Stadtzentren Gegentendenzen: Formen dezentraler Produktion und Distribution. Bleibt die Frage, welche Orte an der Stelle der ausgedienten Erlebnisräume und Amüsierparks entstehen können. Stadtzentren und Viertel müssten sich neu erfinden, hin zu kleinteiligen und übersichtlichen Strukturen. Eine Chance hätten neue Orte der Gemeinschaft, auch wenn es nur die kleine Bäckerei um die Ecke ist.

Klaus Englert ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für Zeitungen und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Zudem ist er als Kurator für Architekturausstellungen tätig. 2019 ist bei Reclam sein aktuelles Buch erschienen: "Wie wir wohnen werden: Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen".

© Quelle: privat
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