Krise der brasilianischen Plattenindustrie

Chancen für Musiker

Curumin
Der brasilianische Musiker Curumin in New York © imago/ZUMA Press
Von Thorsten Bednarz  · 01.09.2017
Musiker wie Curumin veröffentlichen ihre Alben im Internet und brasilianische Musik, die in Europa veröffentlicht wird, wird zu 90 Prozent außerhalb Brasiliens produziert. Immer mehr setzen diese Trends die heimische Plattenindustrie unter Druck.
Die Szene in Rio und Sao Paulo sei trotzdem so lebendig und kreativ wie lange nicht mehr, sagte Musikjournalist Thorsten Bednarz im Deutschlandfunk Kultur. Das läge daran, dass die "brasilianischen Künstler sich nicht von der CD verabschiedet haben, sondern eher von der Plattenindustrie, wie wir sie kennen".

Plattenindustrie im Wandel – nicht nur in Brasilien

In den vergangenen Jahren würden wir ja auch hier in Deutschland beobachten, dass die Plattenfirmen immer stärker am Verkauf von Eintrittskarten und Merchandise-Artikeln beteiligt werden wollen. Früher gingen die Erlöse zu 100 Prozent als Nebeneffekt an die Künstler. Da die Plattenindustrie in Brasilien in den vergangenen 20 Jahre fast vollständig zusammengebrochen sei und selbst die international agierenden Firmen sich davor scheuten, ihre Künstler auch international wieder platzieren zu wollen, würden immer mehr Musiker sagen: Dann brauchen wir keine Plattenfirmen mehr! Und sie suchten nach alternativen Modellen, ihre Musik zu veröffentlichen.

Das Internet als Marktplatz

Da käme als einfachste Alternative natürlich das Internet zum Zuge und viele der neuen Alben brasilianischer Musiker und Produzenten erschienen fast ausschließlich dort – entweder als freier und legaler Download auf den Webseiten der Künstler oder aber auch als kostenloser Stream z.B. auf Youtube. So veröffentlichte erst vor kurzem der Schlagzeuger und Produzent Curumin aus Sao Paolo sein neues Album "Boca" im Netz. Schon seit 30 Jahren, so Thorsten Bednarz, seien für viele brasilianische Musiker die Einnahmen aus Konzerten wesentlich wichtiger als die aus den Plattenverkäufen. Auch deswegen, weil die digitale Veröffentlichung dieser Alben Werbung sei für den Künstler und seine Musik.

Wovon die brasilianischen Musiker leben

Die Musiker, die eine CD produzieren wollen, würden ihre Kollegen bereits bezahlen, wenn diese sie im Studio für ihre Aufnahmen buchen, meint Thorsten Bednarz. Dafür bekämen sie zwar weniger Geld als früher, aber sie akzeptierten das, weil die produzierenden Kollegen dann im Gegenzug auch auf ihren eigenen Alben für weniger Geld spielen würden oder weil man dann in dessen Tourband mitspielen könne. "Das ist alles ein gegenseitiges Geben und Nehmen innerhalb der Szene."
Man könne dies auch als Selbstausbeutung bezeichnen, die in eine Sackgasse führt, weil man als Künstler immer in Vorkasse geht: Aber, so Thorsten Bednarz, aus seiner Sicht hätten sich die Produzenten und Musiker daran gewöhnt. So erzählte ihm der Musikproduzent Moreno Veloso aus Sao Paolo:
"Es werden schon noch irgendwie Platten veröffentlicht. Die Künstler produzieren vielleicht 500 Stück und die verkaufen sie dann auf ihren Konzerten. Gerade international besteht da eine große Nachfrage. Aber die Musik wird auch im Internet veröffentlicht und das ist auch international. Das Publikum findet unsere Musik, kann über das Internet auch mit dem Künstler kommunizieren. Das ist keine Sackgasse. Ich habe es mit meinem letzten Album auch so gemacht. Ich habe ein paar hundert Platten pressen lassen von meinem eigenen Geld und habe die verkauft. Ich habe damit kein Geld verdient, habe auch keines verloren. Es hat sich so ausgeglichen. Das ist doch schon was für den Augenblick!"

Das brasilianische Musikexportbüro

Alternativ zur Musikindustrie als Vermittler gäbe es inzwischen u.a. ein brasilianisches Musikexportbüro, das auf Messen sehr präsent sei. Mit seiner Hilfe kämen internationale Konzertveranstalter und Labelbetreiber nach Brasilien oder würden brasilianische Bands Reisezuschüsse erhalten, wenn diese in Europa oder Nordamerika touren. Das Büro würde auf der Basis von Spenden arbeiten und dadurch, dass die Musiker auch selbst einen gewissen Obolus entrichten müssen gäbe es auch eine internationale Mailingliste für die Medien. In denen würden bestehende Downloadlinks der Künstler monatlich zusammengefasst und weltweit verschickt. So stünden die neuesten brasilianischen Platten immer sofort zur Verfügung, könnten gesendet und rezensiert werden, was wiederum die Nachfrage nach Konzerten der betreffenden Bands und Musiker steigere.

Kommerzielle Unabhängigkeit als Basis für Authentizität

Im Falle von Tassia Reis, so Thorsten Bednarz, funktioniere das offenbar schon sehr gut. Da gäbe es internationale Pressestimmen, die vom interessantesten Hip-Hop-Album weltweit sprechen, auch weil die Sängerin "ganz direkt und ohne Rücksicht auf Verluste ihre Sicht auf Rassismus und Sexismus preisgibt". Das sei sicherlich musikalisch und inhaltlich viel radikaler in ihrer Aussage, als die Sängerin es mit einer Plattenfirma im Rücken sein könnte. Dies sei generell auch bei anderen Musikern der Fall, die sagen würden: "Wenn ich meine Musik schon selbst produzieren und vermarkten muss, dann auch so, wie ich es möchte."
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