Patrick McGinley, "Bogmail. Roman mit Mörder"
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser, Steidl, Göttingen 2016
336 Seiten, 24,00 Euro
James Joyces "Dubliners" lassen grüßen
Irland hat offenbar manches bislang unentdeckte literarische Juwel zu bieten: "Bogmail", Patrick McGinleys ebenso rabenschwarzer wie komischer Krimi, ist fast 40 Jahre nach seinem Erscheinen auf Deutsch erschienen. Unser Kritiker fühlt sich prächtig und wortgewaltig unterhalten.
Von 1978 bis heute dauerte es, bis wir uns endlich an einem Juwel der irischen Kriminalliteratur erfreuen dürfen: "Bogmail" von Patrick McGinley. Inzwischen ein preisgekrönter irischer Klassiker, mit dem McGinleys Landsleute anfänglich ihre Probleme hatten. Denn diesem Schriftsteller ist nichts heilig. Und auch der clevere deutsche Untertitel "Roman mit Mörder" bewahrt vor falschen Erwartungen, es mit einem der üblichen Krimis zu tun zu haben.
Es gab einen Zeugen
Der Mörder ist der Wirt eines Pubs in einem irischen Dörfchen, der heiter und wohlgemut beschließt, das, was er für soziale Hygiene hält, einfach mal durchsetzen. Also haut er seinem Barkeeper, dem er wollüstige Ambitionen auf seine Tochter unterstellt, den fünften Band seiner Encyclopædia Britannica (Jahrgang 1911) über den Schädel und versenkt den Strolch nächtens im Moor. Aber es muss wohl einen Zeugen gegeben haben, denn ein "Bogmailer" taucht auf – "Bogmail", ein aparter Neologismus aus "blackmail" (=Erpressung) und "Moor, Schlamm". Das Dörfchen ist vom Verschwinden des Barkeepers wenig beeindruckt.
Der ermittelnde Dorfpolizist (wenn er wirklich mal ermittelt) ist nicht die hellste aller Leuchten, und als auch noch ein abgetrennter Fuß ins Spiel kommt, läuft er höchstes zu rhetorisch-kriminaltheoretischer Hochform.
Saufen, streiten, philosophieren
So geht das Leben im Dorf und im Pub seinen Gang. Es wird gesoffen - der Dorfarzt mahnt, mehr als eine Flasche Jameson pro Tag sei möglicherweise nicht so gut -, gestritten, gepöbelt, gefeilscht, schwer über das Gute und das Böse philosophiert, das Sexualleben der Dorfbewohner durchgehechelt, sich aufgeregt über den Lauf der Welt, und über wirklich wichtige Dinge räsoniert: über die Nützlichkeit von Regenwürmern, natürlich über Gedichte und Religion - wir sind schließlich in Irland- , über die Wirkung von Rotalgen auf die männliche Potenz oder über das Trommeln der Schnepfenmännchen und moderne Kirchenarchitektur.
Das alles ist von morbid-komischem Hintersinn, fein ziseliert erzählt - und von Hans-Christian Oeser genauso übersetzt. Der Erzählton ist sarkastisch, immer ein bisschen ironisch, distanziert sowieso. Aber wortgewaltig, so wie die meisten der Hauptfiguren: allen voran der Geistliche, der seine modernistisches, ziemlich abscheuliches Kirchenneubauprojekt gegen den Widerstand der Leute durchpowert, der Lokaljournalist, der mit Vergnügen das betreibt, was man heute "Fakenews" nennt, ein englischer Bergbauingenieur und mehrere nur auf den ersten Blick schüchterne, züchtige Frauen.
Hochgiftige Unterhaltung
Kurz, ein kleines Universum der unterschiedlichsten, originellen Typen, die allerdings durchaus einander nicht immer grün sind, was noch zu weiteren betrüblichen Handlungen führt. McGinley porträtiert sie alle meisterhaft, eisig liebevoll, wenn das Paradox erlaubt ist. Wer dabei an James Joyces "Dubliners" denken muss, liegt sicher nicht falsch. Bei McGinley wird all das hochgiftig, denn schließlich geht es immer und ganz dezidiert um Mord. Weltalltag in einem kleinen Dorf, auf der Kippe von Tradition zur Moderne, und deswegen auch skrupellos gewalttätig. Ein mörderisch-charmantes Buch.