Candice Fox: „606“

Auf der Flucht

02:42 Minuten
Das Bild auf dem Cover zeigt eine rennende Person auf einer Straße, die auf eine Gebirgskette zurennt, die gesamte Landschaft ist orange. Im Hintergrund befinden sich viele weitere Personen, darüber erstreckt sich blauer Himmel mit einigen verwischten Wolken.
© Suhrkamp Verlag

Candice Fox

Aus dem australischen Englisch von Andrea O’Brien

606Suhrkamp Verlag, Berlin 2021

467 Seiten

16,95 Euro

Von Ulrich Noller · 28.01.2022
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Candice Fox’ Thriller „606“ erzählt von einem Massenausbruch in einem Gefängnis in Nevada. Ein weiterer gelungener Versuch der australischen Schriftstellerin, die Kriminalliteratur aus der Kerkerzelle ihres Genres zu befreien.
So einfach kann es gehen: Dank eines so simplen wie genialen Plans öffnen sich zu Beginn des neuen Romans der australischen Schriftstellerin Candice Fox im Knastkomplex von Pronghorn in der Wüste Nevadas die Tore. Alle 606 Gefangenen kommen frei, das Gefängnispersonal schaut hilflos zu.
Was da passiert, ist nicht weniger als ein Supergau für die Leitung, für die Behörden überhaupt und natürlich für die Menschen, die in der Nähe leben, bis hin ins nicht allzu weit entfernte Las Vegas. Totschläger, Mörder, Psychopathen, Terroristen werden übers Land verstreut, alles, was man sich an Bösem vorstellen kann, inklusive der Bewohner eines kleinen, aber exklusiven Todestrakts.

Jagd auf die bösen Jungs

Ein brillanter Plan ist so ein Geschehen natürlich auch als Setting für einen Roman, als Arbeitsgrundlage für einen Krimi: Die Entlaufenen müssen wieder eingefangen werden, es braucht Ermittlungen, wer überhaupt hinter dem Ganzen steckt. Es ereignen sich neue Verbrechen, die Lebensgeschichten nicht bloß der Ausbrecher können erzählt werden, sondern auch die der Menschen, die im Gefängnis arbeiten.
Candice Fox schafft sich so fast unbegrenzte dramaturgische Möglichkeiten. Und es ist ein Vergnügen zu verfolgen, wie sie dabei einerseits das große Ganze im Blick behält, die Jagd auf die bösen Jungs also, und wie sie andererseits auf ein paar wenige Einzelschicksale fokussiert. 

Geflohen aus dem Todestrakt

Dabei konzentriert sie sich vor allem auf zwei geflüchtete Gefangene aus dem Todestrakt. Der eine, ein White-Supremacy-Terrorist, träumt schon lange von einem sogenannten „Rassenkrieg“, den er jetzt nach seinem Ausbruch endlich auslösen will.
Der andere, ein verurteilter Familienmörder, hat eine ganz andere Mission: Er will seine Unschuld beweisen, und das wird nur dann klappen, wenn er den wahren Mörder von Frau und Kind findet. Was allerdings nicht so einfach ist, wenn man dabei vom halben Land gejagt wird. „Dr. Kimble auf der Flucht“ lässt grüßen.

Die Lust am Erzählen

Candice Fox stammt aus Australien, sie ist Mitte 30 – und sie geht seit ein paar Jahren das zuletzt allzu oft allzu starre Krimigenre so radikal an, dass kein Stein auf dem anderen bleibt. Aus dem Genre heraus denkt sie das Genre neu. Und zwar mit einer ungebändigten Lust am Erzählen, die auf jeder Seite spürbar ist. So einfach kann das gehen. Für Menschen, die gern Genreliteratur lesen, ist „606“ das pure Vergnügen.
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