Krim-Krise

"Internationale Präsenz wirkt deeskalierend"

Das OSZE-Logo über Länderflaggen
Das OSZE-Logo über Länderflaggen © dpa/picture alliance/Michal Krumphanzl
Wolfgang Richter im Gespräch mit Gabi Wuttke · 24.03.2014
Der ehemalige OSZE-Beobachter Wolfgang Richter hofft auf eine Abschwächung der Krim-Krise durch den Einsatz der Organisation. Es sei ein gutes Zeichen, dass bei der Mission alle wichtigen Staaten im Boot seien und Russland zugestimmt hätte.
Gabi Wuttke: Wohin wird sie führen, die russische Annexion der Krim? Wird sich die Welt daran gewöhnen oder wird die Einverleibung als Spaltpilz weiterwirken? Wladimir Putin macht sich über die Sanktionen lustig, die von den USA und der EU verhängt wurden, und spottet über das heutige Treffen der führenden Industrienationen, die ihn ausgeladen haben. Andererseits bleibt er mit im Boot und stimmte einer Beobachtermission der OSZE in der Ukraine zu. Die Ersten sind inzwischen vor Ort eingetroffen.
Bernd Großheim über die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Ukraine. Wolfgang Richter von der Stiftung Wissenschaft und Politik war vor fünfeinhalb Jahren der militärische Leiter der OSZE-Mission im Georgienkrieg. Jetzt ist er am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Herr Richter.
Wolfgang Richter: Einen schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Frank-Walter Steinmeier ist überzeugt, diese OSZE-Beobachtermission in der Ukraine könnte deeskalierend wirken. Wozu dient sie Ihrer Meinung nach?
Richter: Nun, das Ziel solcher Missionen ist natürlich zum einen die Feststellung der Fakten und die Herstellung von Transparenz. Gerade in einer Zeit, in der sehr viele widersprüchliche und auch teilweise propagandistische aufgebauschte und gefärbte Meldungen und Gerüchte im Umlauf sind, ist es natürlich notwendig, objektive Erkenntnisse zu gewinnen der Lage vor Ort. Und dies wird am besten durch internationale gemischte Teams erreicht. Denn sinnvolle politische Entscheidungen können natürlich nur auf einer klaren Faktenlage aufbauen. Aber es hat sich auch gezeigt, und das ist meine ganz persönliche Erfahrung in der Georgien-Zeit gewesen, dass internationale Präsenz auf alle beteiligten Kräfte deeskalierend wirkt. Man kann sich jetzt nicht vorstellen, dass in einer Zeit, in der Hunderte von Beobachtern vor Ort sind, etwa ein Aufmarsch oder ein Angriff stattfinden würde. Und natürlich auch die Möglichkeiten von eskalatorischen Entwicklungen im Lande können hier besser beobachtet und bewertet werden.
"Wir haben alle wichtigen Staaten im Boot"
Wuttke: Also, es geht um eine andere Form der Besänftigung, als man vielleicht annehmen könnte. Denn wenn es darum geht, so wie Sie sagen, dass Fakten hergestellt werden sollen, dass die tatsächlichen Gegebenheiten überprüft werden, dann könnte man in der Ukraine zum einen sagen, man stellt das fest, was ja eigentlich offensichtlich ist: Die Übergangsregierung ist unter sehr merkwürdigen Umständen zustande gekommen. Und ob sie tatsächlich demokratisch legitimiert, vom Westen so unterstützt werden darf und sollte, ist die eine Frage. Aber die andere ja auch: Was kann man Russland, was kann man Wladimir Putin an Fakten liefern, die ihn nicht aus dem Boot zusammen mit der EU aussteigen lassen?
Richter: Frau Wuttke, zunächst mal ist es erfreulich, dass sich das Konzept einer inklusiven Inspektion und Bewertung der Lage durchgesetzt hat. Ich meine inklusiv insofern, als die OSZE ja über ein großes Instrumentarium verfügt auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber vor allen Dingen über eine Mitgliedschaft, die ja von Vancouver bis Wladiwostok reicht. Das heißt, wir haben alle wichtigen Staaten im Boot. Wir haben den Konsens der Russen hierbei, und das ist ein gutes Zeichen insofern, als die Idee der Sicherheitskooperation nicht aufgegeben wird, sondern verfolgt wird, und das in einer Zeit, wo manche die Rückkehr zur Konfrontation bereits herbeireden.
Was man konkret tun kann, das ist natürlich die Feststellung der gegenseitigen Vorwürfe. Also auf der einen Seite der Russen, dass sie Übergangsregierung nicht demokratisch zustande gekommen sei, dass man im Westen der Ukraine militante Bewegungen hatte, die bereits gewaltsamen Einfluss auf die örtlichen und lokalen Strukturen genommen hat. Auf der anderen Seite aber auch der Verdacht, dass die Russen etwa in der östlichen Ukraine bereits einen ähnlichen Vorgang einleiten, wie das in der Krim der Fall war. Das heißt, auch Demonstrationen der Bevölkerung nicht nur unterstützen, sondern vielleicht sogar anreizen oder gegebenenfalls verdeckte Kräfte einsetzen.
"Insgesamt eine sehr sinnvolle Mission"
Und darüber hinaus, das wäre jetzt nicht Sache dieser Mission, muss man natürlich auch auf der russischen Seite sehen, ob es da wirklich so etwas wie einen Aufmarsch gibt oder nicht. Aber dafür werden andere Instrumente eingesetzt. Also insgesamt eine sehr sinnvolle Mission, die die Idee der Sicherheitskooperation noch einmal unterstreicht und bei der erfreulicherweise Russland an Bord ist. Es ist eine Konsensentscheidung gewesen, sie bezieht sich also auf die gesamte Ukraine. Allerdings mit der Bemerkung, dass diese diplomatisch vage Formulierung durch die gesamte Ukraine deswegen von beiden Seiten akzeptiert werden konnte, weil beide Seiten zurzeit etwas anderes darunter verstehen.
Wuttke: Also die Krim ist nicht mit dabei, aas muss man an dieser Stelle noch mal sagen. Aber ich möchte auf Ihr Wort des Sinnvollen zurückkommen. Sie sagen, diese Mission sei sinnvoll. Andererseits stehen Sie der OSZE, so wie sie jetzt aufgestellt ist, durchaus sehr kritisch gegenüber. Was hat denn der Ministerrat der OSZE in den vergangenen Jahren verpasst oder ignoriert? Es geht ja um nicht weniger als die gemeinsame Sicherheit.
Richter: Neben dem herausragenden Instrumentarium für das Krisenmanagement, über das die OSZE verfügt, ist in der Tat die Idee, die dahinter steht, ein bisschen aus der Mode gekommen. Das ist nämlich die Idee der paneuropäischen Sicherheitskooperation, wie sie nach dem Ende des Kalten Krieges eigentlich verwirklicht werden sollte. Also das Ziel war es ja, einen paneuropäischen Sicherheitsraum zu schaffen, ohne Trennlinien und ohne geopolitische Nullsummenspiele. Nun wird man natürlich im Rückblick sehen müssen, dass es nicht alleine Russland war, das diese Idee etwa unterminiert hat, sondern es gab auch viele Fehler auf der westlichen Seite, die natürlich Zweifel hat aufkommen lassen, ob diese Idee ernst gemeint ist. Oder ob man nicht doch etwa zum Beispiel in der Zeit der Regierung Bush eher geopolitische Motive im Vordergrund sah. Dies bedarf einer gründlichen Aufarbeitung. Was wir insgesamt sagen können: Dass die OSZE in den letzten Jahren aus den Medien verschwunden ist, auch aus den politischen Konzepten weitgehend verschwunden ist, und jetzt in der Krise plötzlich wieder da ist, weil man sich darauf besinnt, was vernünftig ist, dass es hier ein paneuropäisches, inklusives Instrumentarium gibt, das man einsetzen kann, um die Konfrontation zu vermeiden und diese ursprüngliche Idee der Sicherheitskooperation weiterzuverfolgen.
Wuttke: Sagt Wolfgang Richter, er war im Georgien-Krieg 2008 militärischer Leiter der OSZE-Beobachtermission. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Richter: Herzlichen Dank, Frau Wuttke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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