Militärpsychologe über Kriegsverbrechen

"Jeder kann zum Täter werden"

06:52 Minuten
Holzkreuze stehen in einem Waldstück bei Isjum/ Ukraine.
Holzkreuze in einem Waldstück bei Isjum: Hier fand die ukrainische Armee Gräber mit rund 450 Leichen. Erste Exhumierungen lassen auch auf Folter und andere Kriegsverbrechen schließen. © picture alliance / dpa / MAXPPP / Sergey Shestak / Le Pictorium
Hubert Annen im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 21.09.2022
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Die Kriegsverbrechen in der Ukraine zeigen erneut, zu was der Mensch fähig ist. Der Militärpsychologe Hubert Annen sieht niemanden dagegen gefeit, Böses zu tun. Man könne aber die Anfälligkeit dafür verringern, betont er.
Kriegsverbrechen: Die russische Armee verübt sie derzeit in der Ukraine, in Vietnam gab es sie und im Zweiten Weltkrieg - vor allem auf deutscher Seite. Jeder kann zum Täter werden, sagt Hubert Annen, Militärpsychologe an der ETH Zürich und Oberst der Schweizer Armee: "Jeder Mensch kann das, aus rein sozialpsychologischer Sicht." Studien belegten das. Die berühmteste ist das Milgram-Experiment. Dabei wurden Probanden dazu gebracht, anderen Menschen Stromschläge - die aber nicht real waren - zu verabreichen.

Sich mental auf den Krieg vorbereiten

Umso wichtiger sei es, das Thema in der Ausbildung der Soldaten anzusprechen, betont Annen. In der Umgangsweise mit dem Problem gibt es laut dem Experten große Unterschiede zwischen den verschiedenen Armeen. So seien in russischen Einheiten auch Psychologen tätig - deren Aufgabe bestehe aber vorwiegend darin, "die Moral im Sinne der Propaganda aufrechtzuerhalten", sagt Annen.
Bei der Bundeswehr gibt es das "Zentrum Innere Führung", das sich mit ethischen Fragen beschäftigt. "Die senden die klare Botschaft aus: Wir wollen nicht, dass so etwas noch mal passiert", sagt Annen. Auch hier komme der Ausbildung eine wichtige Rolle zu: "Rein psychologisch gesehen muss man sich mental darauf vorbereiten, was mit einem passiert in einer solchen Situation, um dann seine eigenen Gedanken und Emotionen im Sinne des Ganzen steuern zu können."

Der Mensch als Mängelwesen

Ganz verhindern werden sich Kriegsverbrechen kaum lassen, sagt Annen, denn als Menschen seien wir alle Mängelwesen. Dazu komme, dass Krieg eine quasi permanente Ausnahmesituation darstelle: Kameraden würden verletzt, Grundbedürfnisse wie Schlafen oder Essen könnten nicht befriedigt werden, und oft entwickele sich eine fatale Gruppendynamik.
Ob der Einzelne dann diese Gruppendynamik durchbrechen könne, hänge oft von seinem Standing in der Gruppe ab, sagt Annen: "Wenn man dort auch sonst Einfluss nehmen kann, ist das durchaus möglich." Wieder sei die Ausbildung zentral: "Es ist wichtig, dass man sich schon im Voraus darauf vorbereitet, sich den Kameraden entgegenzustellen."
(beb)

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