Kreiler: Shakespeare war nur ein Tarnname
Nach Meinung des Publizisten Kurt Kreiler hat Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, die Werke, die William Shakespeare zugeschrieben werden, verfasst. De Vere habe Pseudonyme verwendet, weil es gegen die Etikette verstoßen habe, als Adliger Literatur zu veröffentlichen. Kurt Kreilers Buch "Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere, Earl of Oxford" ist jüngst erschienen.
Frank Meyer: "Hamlet", "Macbeth", "Ein Sommernachtstraum" – all die genialen Werke von William Shakespeare, die stammen gar nicht von dem Mann aus Stratford, den wir immer für Shakespeare gehalten haben, nein, ein Mann aus dem britischen Hochadel, der 17. Earl of Oxford, Edward de Vere, der hat all diese Stücke geschrieben. Diesen Verdacht gibt es seit etwa 100 Jahren, aber nun soll ein Buch den Nachweis liefern, dass Shakespeare tatsächlich der literarische Tarnname von Edward de Vere war. Kurt Kreiler hat dieses Buch geschrieben, er ist Publizist, Autor und Übersetzer und jetzt hier bei uns im Studio. Herr Kreiler, wir hatten nun immer diesen Shakespeare, William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon, der Schauspieler war, Mitbesitzer des Globe Theatre, von dem wir einige Lebensspuren haben, sein Testament unter anderem. Warum glauben Sie denn, dass dieser Shakespeare aus Stratford nicht der Verfasser der Shakespeare-Stücke war?
Kurt Kreiler: Wie Sie sagten, Zweifel bestehen seit 150 Jahren. William Shaksper, wie er mit bürgerlichem Namen hieß – es existieren sieben wacklige Unterschriften von ihm, kein Brief, keine Handschrift eines Stücks, er entstammte einfachen Verhältnissen, relativ einfachen, und hatte nicht die Möglichkeit, französische, lateinische, gar griechische Literatur zu lesen, die, wie man weiß, Shakespeares Stücken auch zugrunde liegt. Es war ein Mann, der das Land nicht verlassen konnte, der also nicht die Erfahrung in Italien schöpfen konnte, die wohl in den Stücken, wie man weiß, verwertet und verwendet wurde. Von daher hatte man Zweifel, und seit 1920 gibt es eine Veröffentlichung von einem Thomas Looney, der den Earl of Oxford, den 17. Earl, für Shakespeare hielt.
Meyer: Das ist der Gegen-Shakespeare, den Sie auch aufbauen in Ihrem Buch.
Kreiler: Das ist mein Mann, ja.
Meyer: Genau, Ihr Mann. Es gibt nun diese zwei großen Fraktionen, es gibt sozusagen Ihre, die Zweifler, und es gibt die Stratfordianer, die sagen: Doch, Shakespeare aus Stratford, das war der Autor dieser ganzen Stücke. Und ein Argument, was Sie ins Feld führen, ist das Grabmonument von Shakespeare, das ihn mit einer Schreibfeder in der Hand, also quasi als Verfasser von literarischen Texten zeigen soll. Was sagen Sie zu dem Argument?
Kreiler: Das ist das Stratford-Argument, das ist eigentlich das einzig plausible neben einem Vorwort in der Folioausgabe, das heißt, der ersten Gesamtausgabe der Werke Shakespeares von Ben Jonson, einem Kodramatiker und Dramatikerfreund, der einen Hinweis gibt auf Stratford, "the sweet swan of Avon". Diese beiden Fakten begründen das Wissen, das historische Wissen um William Shakespeare als den Verfasser der Stücke. Ich antworte darauf: Ben Jonson hat im Auftrag der Erben des Earl of Oxford eine Camouflage, eine Finte begangen, er hat eine Inszenierung gemacht. Und diese Büste – übrigens ein teures Grabmal, das die Familie des Shaksper sich hätte gar nicht leisten können –, die sollte das Pseudonym Shake-speare – mit Bindestrich, shake the spear, schwinge den Speer, der Speerschwinger –, ja, decken helfen. Denn die Verwandten wollten ihren Namen de Vere nicht in Zusammenhang bringen mit dem Verfasser der Komödien.
Meyer: So, jetzt bauen Sie eine ganze Verschwörungslandschaft auf, Ben Jonson gehört dazu, die Familie von Edward de Vere, die auch nach dessen Tod dafür gesorgt haben soll, dass er nicht mit dem Namen William Shakespeare in Verbindung gebracht wird. Dann müssen wir erfahren: Was gab es denn für einen Grund für diesen Mann aus hohem Adel, Edward de Vere, sich dieses Pseudonym zu suchen und nur unter diesem Pseudonym zu veröffentlichen?
Kreiler: Wenn ich auf den Begriff Verschwörung zuerst noch ganz kurz eingehen darf: keine Verschwörung, eine Vertuschung, denn die Familie hatte Gründe, eine Enthüllung zu befürchten. Die Sonette waren 1609 erschienen und darin hat der Autor eine Dreierbeziehung enthüllt, der geliebte Jüngling und seine Geliebte, die Dark Lady, hatten ihrerseits ein Verhältnis hinter seinem Rücken oder vor seinen Augen, und daraus ist möglicherweise das Kind entsprungen, das der 18. Earl wurde.
Meyer: Also da, sagen Sie, gibt es autobiografische Verwicklungen im Leben des Herrn de Vere, die in diesen Sonetten durchscheinen, und das wollte man lieber verbergen?
Kreiler: Das wollte man verbergen, und deshalb hat man festhalten wollen an diesem Pseudonym. Sie fragen, warum überhaupt ein Pseudonym. Es war damals nicht nur nicht üblich, dass ein Aristokrat Literatur, Prosa oder Stücke unter seinem Namen veröffentlichte, das verstieß gegen die guten Sitten.
Meyer: Gegen die Etikette?
Kreiler: Gegen die Etikette. Und der Autor wollte sich aber offenbar gedruckt sehen. Der junge Earl hat schon mit 20 Jahren in einem Vorwort zu einem italienischen Werk von Cardano das Publikum mit einem Gedicht begrüßt. Man kennt etwas über 20 Gedichte des jungen de Vere, die sind gezeichnet mit einer Chiffre - E.O. -, das ist der Earl of Oxford. Dann tritt er als Autor zurück und er nennt sich, er gibt sich Tarnnamen – Shakespeare ist nicht der einzige –, also, er nannte sich "My luck is loss", er nennt sich "Fortunatus im Unglück", er nennt sich "Phaeton" et cetera.
Meyer: Okay, das sind die Gründe, warum er sich versteckt hat hinter Pseudonymen, der 17. Earl of Oxford. Wir reden über diesen Mann, der Shakespeare erfunden haben soll nach der Theorie von Kurt Kreiler, der darüber gerade ein Buch veröffentlicht hat, wir reden hier im Deutschlandradio Kultur. Gibt es denn nun einen handfesten Beweis, die smoking gun? Zum Beispiel einen Vertrag zwischen dem Earl of Oxford und dem Schauspieler Shakespeare: Du trittst als mein Strohmann auf und kriegst dafür von mir diese Gegenleistung – gibt es so ein Dokument?
Kreiler: So ein Dokument gibt es nicht, sonst hätten wir auch die Shakespeare-Frage schon längst gelöst. Also, ich bin nicht der Mann, der die verborgene Truhe geöffnet hat, sondern jemand, der alte Texte neu gelesen hat. Und ich konnte interpretieren einen Literaturstreit der Zeit: Zwei Gegner, einer heißt Harvey, der andere, der junge Satiriker heißt Nashe, die sich befehden und beide ein Gesuch, eine Adresse, eine Bitte richten an den Earl of Oxford: Stärke mir den Rücken, unterstütze meine Sache! Das haben sie zwar ein wenig verschlüsselt, diese Bitte, aber das ist philologisch sauber zu begründen, dass der Earl gemeint ist und niemand anderer. Das kann ich geisteswissenschaftlich, philologisch beweisen.
Meyer: Sie sind auch Übersetzer, Herr Kreiler.
Kreiler: Nein, das ist doch nicht zu Ende, ... und gleichzeitig sprechen sie diesen Earl als Master William an und siehe da, in einem seiner Stücke geht Shakespeare auf den Streit ein und bringt die beiden auf die Bühne. Das ist eine Lesart, die begründet ist und so nie erschien. Das ist in meinen Augen ein Beweis, aber er liegt auf einer anderen Ebene als ein Fund einer Handschrift oder eines Vertrags.
Meyer: Worauf ich gerade hinauswollte – Sie sind Übersetzer, haben auch Shakespeare-Texte übersetzt, Gedichte. Was ändert das nun eigentlich für Sie, zum Beispiel als Shakespeare-Leser? Was ändert das angesichts dieses Werkes, wenn man weiß, der Verfasser war ein anderer, als wir immer dachten?
Kreiler: Das ändert den Blick auf die Werke, nicht jetzt Aufführungspraxis eines Stücks, das ist davon nicht berührt, sondern wir können plötzlich eine Chronologie der Werke erstellen. Es gibt ein Frühwerk, das bisher nicht erkannt wurde, eine Novelle nach dem Vorbild der italienischen Novellistik, die sich bezieht auf Boccaccio und sogar Dante, es gibt eine Entwicklung im lyrischen Schaffen, die hinführt zu den Sonetten. Das Ganze hat eine Linie und Hand und Fuß. Bisher ging das in der Folge der Stücke, wie man sie vermutet hat, durcheinander wie Kraut und Rüben.
Meyer: "Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere, Earl of Oxford", so heißt das Buch von Kurt Kreiler, erschienen im Insel Verlag, 600 Seiten hat diese Beweisführung, dieses Buch bekommen Sie zum Preis von 29,80 Euro. Herr Kreiler, vielen Dank für das Gespräch!
Kreiler: Ich danke Ihnen!
Kurt Kreiler: Wie Sie sagten, Zweifel bestehen seit 150 Jahren. William Shaksper, wie er mit bürgerlichem Namen hieß – es existieren sieben wacklige Unterschriften von ihm, kein Brief, keine Handschrift eines Stücks, er entstammte einfachen Verhältnissen, relativ einfachen, und hatte nicht die Möglichkeit, französische, lateinische, gar griechische Literatur zu lesen, die, wie man weiß, Shakespeares Stücken auch zugrunde liegt. Es war ein Mann, der das Land nicht verlassen konnte, der also nicht die Erfahrung in Italien schöpfen konnte, die wohl in den Stücken, wie man weiß, verwertet und verwendet wurde. Von daher hatte man Zweifel, und seit 1920 gibt es eine Veröffentlichung von einem Thomas Looney, der den Earl of Oxford, den 17. Earl, für Shakespeare hielt.
Meyer: Das ist der Gegen-Shakespeare, den Sie auch aufbauen in Ihrem Buch.
Kreiler: Das ist mein Mann, ja.
Meyer: Genau, Ihr Mann. Es gibt nun diese zwei großen Fraktionen, es gibt sozusagen Ihre, die Zweifler, und es gibt die Stratfordianer, die sagen: Doch, Shakespeare aus Stratford, das war der Autor dieser ganzen Stücke. Und ein Argument, was Sie ins Feld führen, ist das Grabmonument von Shakespeare, das ihn mit einer Schreibfeder in der Hand, also quasi als Verfasser von literarischen Texten zeigen soll. Was sagen Sie zu dem Argument?
Kreiler: Das ist das Stratford-Argument, das ist eigentlich das einzig plausible neben einem Vorwort in der Folioausgabe, das heißt, der ersten Gesamtausgabe der Werke Shakespeares von Ben Jonson, einem Kodramatiker und Dramatikerfreund, der einen Hinweis gibt auf Stratford, "the sweet swan of Avon". Diese beiden Fakten begründen das Wissen, das historische Wissen um William Shakespeare als den Verfasser der Stücke. Ich antworte darauf: Ben Jonson hat im Auftrag der Erben des Earl of Oxford eine Camouflage, eine Finte begangen, er hat eine Inszenierung gemacht. Und diese Büste – übrigens ein teures Grabmal, das die Familie des Shaksper sich hätte gar nicht leisten können –, die sollte das Pseudonym Shake-speare – mit Bindestrich, shake the spear, schwinge den Speer, der Speerschwinger –, ja, decken helfen. Denn die Verwandten wollten ihren Namen de Vere nicht in Zusammenhang bringen mit dem Verfasser der Komödien.
Meyer: So, jetzt bauen Sie eine ganze Verschwörungslandschaft auf, Ben Jonson gehört dazu, die Familie von Edward de Vere, die auch nach dessen Tod dafür gesorgt haben soll, dass er nicht mit dem Namen William Shakespeare in Verbindung gebracht wird. Dann müssen wir erfahren: Was gab es denn für einen Grund für diesen Mann aus hohem Adel, Edward de Vere, sich dieses Pseudonym zu suchen und nur unter diesem Pseudonym zu veröffentlichen?
Kreiler: Wenn ich auf den Begriff Verschwörung zuerst noch ganz kurz eingehen darf: keine Verschwörung, eine Vertuschung, denn die Familie hatte Gründe, eine Enthüllung zu befürchten. Die Sonette waren 1609 erschienen und darin hat der Autor eine Dreierbeziehung enthüllt, der geliebte Jüngling und seine Geliebte, die Dark Lady, hatten ihrerseits ein Verhältnis hinter seinem Rücken oder vor seinen Augen, und daraus ist möglicherweise das Kind entsprungen, das der 18. Earl wurde.
Meyer: Also da, sagen Sie, gibt es autobiografische Verwicklungen im Leben des Herrn de Vere, die in diesen Sonetten durchscheinen, und das wollte man lieber verbergen?
Kreiler: Das wollte man verbergen, und deshalb hat man festhalten wollen an diesem Pseudonym. Sie fragen, warum überhaupt ein Pseudonym. Es war damals nicht nur nicht üblich, dass ein Aristokrat Literatur, Prosa oder Stücke unter seinem Namen veröffentlichte, das verstieß gegen die guten Sitten.
Meyer: Gegen die Etikette?
Kreiler: Gegen die Etikette. Und der Autor wollte sich aber offenbar gedruckt sehen. Der junge Earl hat schon mit 20 Jahren in einem Vorwort zu einem italienischen Werk von Cardano das Publikum mit einem Gedicht begrüßt. Man kennt etwas über 20 Gedichte des jungen de Vere, die sind gezeichnet mit einer Chiffre - E.O. -, das ist der Earl of Oxford. Dann tritt er als Autor zurück und er nennt sich, er gibt sich Tarnnamen – Shakespeare ist nicht der einzige –, also, er nannte sich "My luck is loss", er nennt sich "Fortunatus im Unglück", er nennt sich "Phaeton" et cetera.
Meyer: Okay, das sind die Gründe, warum er sich versteckt hat hinter Pseudonymen, der 17. Earl of Oxford. Wir reden über diesen Mann, der Shakespeare erfunden haben soll nach der Theorie von Kurt Kreiler, der darüber gerade ein Buch veröffentlicht hat, wir reden hier im Deutschlandradio Kultur. Gibt es denn nun einen handfesten Beweis, die smoking gun? Zum Beispiel einen Vertrag zwischen dem Earl of Oxford und dem Schauspieler Shakespeare: Du trittst als mein Strohmann auf und kriegst dafür von mir diese Gegenleistung – gibt es so ein Dokument?
Kreiler: So ein Dokument gibt es nicht, sonst hätten wir auch die Shakespeare-Frage schon längst gelöst. Also, ich bin nicht der Mann, der die verborgene Truhe geöffnet hat, sondern jemand, der alte Texte neu gelesen hat. Und ich konnte interpretieren einen Literaturstreit der Zeit: Zwei Gegner, einer heißt Harvey, der andere, der junge Satiriker heißt Nashe, die sich befehden und beide ein Gesuch, eine Adresse, eine Bitte richten an den Earl of Oxford: Stärke mir den Rücken, unterstütze meine Sache! Das haben sie zwar ein wenig verschlüsselt, diese Bitte, aber das ist philologisch sauber zu begründen, dass der Earl gemeint ist und niemand anderer. Das kann ich geisteswissenschaftlich, philologisch beweisen.
Meyer: Sie sind auch Übersetzer, Herr Kreiler.
Kreiler: Nein, das ist doch nicht zu Ende, ... und gleichzeitig sprechen sie diesen Earl als Master William an und siehe da, in einem seiner Stücke geht Shakespeare auf den Streit ein und bringt die beiden auf die Bühne. Das ist eine Lesart, die begründet ist und so nie erschien. Das ist in meinen Augen ein Beweis, aber er liegt auf einer anderen Ebene als ein Fund einer Handschrift oder eines Vertrags.
Meyer: Worauf ich gerade hinauswollte – Sie sind Übersetzer, haben auch Shakespeare-Texte übersetzt, Gedichte. Was ändert das nun eigentlich für Sie, zum Beispiel als Shakespeare-Leser? Was ändert das angesichts dieses Werkes, wenn man weiß, der Verfasser war ein anderer, als wir immer dachten?
Kreiler: Das ändert den Blick auf die Werke, nicht jetzt Aufführungspraxis eines Stücks, das ist davon nicht berührt, sondern wir können plötzlich eine Chronologie der Werke erstellen. Es gibt ein Frühwerk, das bisher nicht erkannt wurde, eine Novelle nach dem Vorbild der italienischen Novellistik, die sich bezieht auf Boccaccio und sogar Dante, es gibt eine Entwicklung im lyrischen Schaffen, die hinführt zu den Sonetten. Das Ganze hat eine Linie und Hand und Fuß. Bisher ging das in der Folge der Stücke, wie man sie vermutet hat, durcheinander wie Kraut und Rüben.
Meyer: "Der Mann, der Shakespeare erfand: Edward de Vere, Earl of Oxford", so heißt das Buch von Kurt Kreiler, erschienen im Insel Verlag, 600 Seiten hat diese Beweisführung, dieses Buch bekommen Sie zum Preis von 29,80 Euro. Herr Kreiler, vielen Dank für das Gespräch!
Kreiler: Ich danke Ihnen!