Lisa Basten, Wir Kreativen! Das Selbstverständnis einer Branche, Frank&Time Verlag 2016, 16,80.
Arbeit am Rande der Selbstausbeutung
Kreative seien zwar nicht arm, verdienten aber deutlich weniger, sagt die Berliner Soziologin Lisa Basten. Deshalb müsse für Solo-Selbständige einiges nachgebessert werden und sie sollten sich besser organisieren.
Wer als Schriftsteller, Maler oder Musik kreativ arbeitet, strebt keine Festanstellung an, sagt die Berliner Soziologin Lisa Basten. Der Projektcharakter des Arbeitslebens sei so gewünscht, werde aber deutlich schlechter bezahlt als ein Angestelltendasein.
"Wenn wir in einer Arbeitswelt leben, in der nur diese eine Form, wir nennen es das Normalarbeitsverhältnis, die unbefristete Vollzeitstelle in einem Unternehmen, wenn nur die zu einem nichtprekären Arbeitsleben führt, müssen wir uns schon die Frage stellen, ob wir da nicht ein bisschen nachbessern können", sagte Basten im Deutschlandfunk Kultur.
Veränderungen für Solo-Selbständige nötig
Solo-Selbständige müssten besser abgesichert werden und der Arbeitnehmerbegriff müsste ausgeweitet werden. Anderseits sei es auch nötig, dass sich die Kreativen besser organisierten und ihre Interessen stärker verträten. Basten empfahl, beispielsweise Bauunternehmer mit zehn Angestellten von Solo-Selbstständigen zu entscheiden. Sie würden bislang steuerlich und bei der Krankenkasse gleich behandelt. (gem)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Im Rahmen des sogenannten "Sozio-oekonomischen Panels" werden seit 1984 schon jedes Jahr 12.000 Personen befragt zu diversen Themen, aber eben auch immer sich wiederholende Abfragen sind bewusst dabei, und die so gewonnen Daten werden für unterschiedliche Auswertungen genutzt. Man will mit ihnen jetzt auch die Frage beantworten, wie viel oder wie wenig Künstler und andere Kreative in Deutschland verdienen und unter welchen Bedingungen sie eigentlich arbeiten.
Auf einer heute und morgen stattfindenden Nutzerkonferenz geht es unter anderem – da gibt es viele Podien – auch um dieses Thema. Für Lisa Basten ist das schon länger ein Thema, sie forscht am Wissenschaftszentrum Berlin zum Thema gute Arbeit und ist Autorin des Buches "Wir Kreative" unter anderem. Schönen guten Morgen, Frau Basten!
Lisa Basten: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Gibt es denn eigentlich überhaupt neue Erkenntnisse? Diese große Frage, was verdient ein Kreativer im Durchschnitt, ist sie nicht regelrecht ohnehin Unsinn, weil wir könnten uns wahrscheinlich schon tagelang drüber streiten, was alles zur Kreativbranche gehört, oder?
Basten: Ja, da sprechen Sie gleich zwei Sachen an: Erstens könnten wir uns lange darüber unterhalten, wer da dazugehört, und zweitens müssten wir uns dann genau anschauen, wer wie viel da drin tatsächlich verdient, also die Frage danach, inwieweit so ein Durchschnittsverdienst überhaupt aussagekräftig ist in einer derart heterogenen Branche. Nichtsdestotrotz, so funktioniert Statistik, so funktioniert unsere Forschung, und wir wollten trotzdem wissen, ob wir auch mit einem Datenset wie dem SOEP zeigen können, dass es hier überhaupt mal Unterschiede gibt zwischen den Leuten, die kreativ arbeiten und denen, die nicht kreativ arbeiten.
Kassel: Da wir das, glaube ich, beide öfter benutzen, müssen wir SOEP kurz erklären, das ist dieses "Sozio-oekonomische Panel", SOEP, man spricht es Söpp, wenn man damit arbeitet. Die Daten, die Sie jetzt haben, unterstützen zumindest dieses Grundding, von dem wir immer wieder gehört haben aufgrund anderer Daten, generell ist man arm, wenn man in Deutschland Künstler ist?
Basten: Arm ist man nicht, aber man verdient deutlich weniger. Man verdient signifikant weniger, insbesondere wenn wir beachten – und da, finde ich, wird es wirklich interessant –, dass die Leute ja einen extrem hohen Bildungsgrad haben. Die Ausbildungszeiten sind länger als bei denen, die nicht kreativ arbeiten, und trotzdem gehen die Leute in diese Branchen, und - vielleicht noch interessanter – sie bleiben auch darin. Wir haben eine Altersstruktur im SOEP, in den kreativen Branchen, die keineswegs, wie man vielleicht erwartet hätte, sehr jung ist. Das heißt, die Leute gehen rein, sie bleiben aber auch.
Kassel: Es ist natürlich so, dass die – und die gibt es ja auch – Vielverdienenden in diesen Branchen eher nicht so gerne darüber reden. Die, die es nicht tun, die tun es zum Teil, und wir haben einige Leute gefragt aus verschiedenen Bereichen dieses sogenannten kreativen Sektors, warum sie eigentlich in diesem Bereich arbeiten, obwohl sie nicht reich geworden sind. Wir hören uns ein paar Beispiele jetzt mal an.
Stimmen aus dem Leben:
Maler: Ich habe auch manchmal mit 35 Euro pro Woche, im Moment ist es 50, 70.
Buchhändlerin: Wenn man 3000 Bücher in zwei Jahren verkauft, dann hat man einen Stundenlohn von 1,54 Euro.
!!DJane:! Da gibt es eben viele Clubs, wo man auf Eintritt spielt, manche auch auf Donation. Wenn man natürlich in einem ganz klitzekleinen Laden in Neukölln spielt, wo nur 20 Leute reinpassen, und jeder gibt fünf, kann man sich es ausrechnen, was dann bei der Band bleibt.
Schriftsteller: Wenn man schreibt, kann man nicht saufen. Da gibt man kein Geld aus. Also braucht man fast kein Geld. Die Askese ist eben eine Grundbedingung. Wenn man in die Kunst reingeht, muss man mit der Askese rechnen, nicht mit Geld.
Kassel: Also gut, über diese Grundfeststellung, wenn man schreibt, kann man nicht saufen, können wir theoretisch diskutieren, aber das ist ja nicht unser Thema. Das waren ein Schriftsteller, eine DJane, eine Buchhändlerin und ganz am Anfang übrigens ein Maler, die alle darüber gesprochen haben, dass sie schlecht verdienen. Sie klangen auch nicht sehr euphorisch, aber auch nicht so richtig leidend. Das passt ja zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Also die meisten in der Kreativbranche halten das irgendwie aus.
Basten: Auf jeden Fall. Also wir wissen natürlich nicht genau, wie viele dann tatsächlich aufhören oder nicht, und es gibt auch viele Berichte von denjenigen, die dann sagen, jetzt habe ich Kinder bekommen oder ich werde ein bisschen älter oder was weiß ich, jetzt gehe ich doch in eine andere Branche rein, aber im Großen und Ganzen können wir sagen – und das sehen wir auch – in der qualitativen Forschung: den Leuten macht es einfach unglaublich viel Spaß.
Ein Kapitel meines Buchs heißt "Labour of Lust". Das hat einer mal in einem Interview gesagt. Das finde ich super. Diese Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, oder wir nennen das ja auch immer intrinsische Motivation oder wie auch immer, bis hin zur Selbstausbeutung ist auf jeden Fall ein Feature der Creative Industry, der Kreativwirtschaft.
Zu geringer Organisationsgrad
Kassel: Ich finde es einerseits toll, andererseits frage ich mich, ist das nicht auch Teil des Problems rückwirkend. Mir ist es in meinem Beruf schon passiert, dass Leute so sinngemäß mir gesagt haben als möglicher Auftraggeber, ich soll nicht so viel Geld verlangen, letzten Endes soll ich froh sein, dass ich so einen Job machen darf, weil er doch so toll ist. So ein bisschen höre ich diese Einstellung bei Ihnen, bei viele in der Branche auch raus. Ist das nicht auch Teil des Problems, dass es immer heißt, wenn du sowas Tolles machst, musst du nicht auch noch reich werden damit?
Basten: Ich denke, es ist nicht nur Teil des Problems, das ist das Zentrum des Problems, denn wie Sie auch schon angesprochen haben: Es wird entlang der Hierarchie bedient. Es ist nicht etwas, dass einem einfach gesagt, na ja, du machst deine Arbeit gerne, ist doch super, sondern nein, du machst deine Arbeit, und deshalb kann ich Druck auf dich ausüben, und da wird es problematisch.
Dann sind wir in einem Bereich, wo es nicht mehr nur eben um Selbstverwirklichung, um Spaß und es um die schöne Kunst geht, sondern wo wir uns fragen müssen, ob wir eine Arbeitswelt wollen, in der das möglich ist, denn es ist ja nur deshalb möglich, weil wir dort sehr schwache Gewerkschaften haben, einen sehr geringen Organisationsgrad und 33 Prozent, zumindest jetzt nach unseren Daten, Selbstständige, das heißt, Leute, die nicht in einer Arbeitnehmerposition sind, also einen ganz anderen Schutz genießen als diejenigen, die jetzt in einem Betrieb angestellt werden.
Festanstellung ist keine Alternative
Kassel: Aber das ist ja auch ganz zentral, was Sie sagen: freiberufliche Arbeit, Projektverträge, Zeitverträge, es gibt da ganz viele Formen. Aber umgekehrt, kann man denn nun wirklich die Forderung erheben, auch Künstler, Kreative sollten grundsätzlich auf Lebenszeit eine Festanstellung haben? Ich meine, der Leiter der Hauptabteilung Aquarelle in der Malerei GmbH, ich kann mir das nicht vorstellen.
Basten: Das ist eine Frage, die, denke ich, die Kreativen selber beantworten müssten. Ich glaube auch tatsächlich, dass die Projekthaftigkeit der Wertschöpfungsketten, die wir in den kreativen Branchen haben, ist ihre Natur. In ganz, ganz vielen Bereichen ist es deswegen schwer, sich vorzustellen, dass wir hier ein Unternehmen haben, was diese Leute lebenslang anstellt. Darüber hinaus, und dazu kommen wir hoffentlich auch noch, ist das gar nicht das, was die Leute wollen.
Nichtsdestotrotz muss ich doch die Frage stellen, dass wenn wir in einer Arbeitswelt leben, in der nur diese eine Form – wir nennen das das Normalarbeitsverhältnis –, die unbefristete Vollzeitstelle in einem Unternehmen, wenn nur die zu einem nichtprekären Arbeitsleben führt, dann müssen wir uns ja schon die Frage stellen, ob wir da nicht ein bisschen nachbessern können.
Solo-Selbstständige besser absichern
Kassel: Aber was können wir denn tun? Sie haben erwähnt, die Leute wollen das nicht. Das weiß ich auch, selbst ich würde es nicht wollen als fauler Mensch, der ich bin, aber was ist denn nun eigentlich die Kernforderung aus all dem, was Sie nun und Ihre Kollegen auch aus den Zahlen und aus den Analysen gelernt haben, wenn Sie sagen, Festanstellung für alle ist Quatsch, aber komplett alles so lassen wie jetzt, ist ja vermutlich auch nicht der Weg, oder?
Basten: Das Schöne als Wissenschaftlerin ist, dass ich ja keine großen Forderungen stellen muss. Nichtsdestotrotz habe ich sie aber. Ich denke, dass wir grundsätzlich uns überlegen müssen, welche Möglichkeiten … oder andersrum: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Seien wir mal ehrlich, wir müssen die Solo-Selbstständigen besser absichern, müssen den Arbeitnehmerbegriff ausweiten, müssen die Möglichkeiten, die das Sozialgesetzbuch uns bietet, da wirklich auch nutzen. All das tun wir im Moment nicht.
Die Kreativen müssen sich besser organisieren, müssen dahinkommen, dass sie Forderungen stellen können. Die sind diejenigen, die das tun müssen, nicht ich, und darüber hinaus müssen wir uns überlegen, inwieweit wir Solo-Selbstständigkeit, also die Selbstständigkeit ohne weitere Angestellte, anders betrachten können. Im Moment betrachten wir sie als Unternehmer, der klassische Entrepreneur wie der Bauunternehmer, der noch zehn Angestellte hat, der ist auch selbstständig, der ist genauso selbstständig wie die Beispiele aus Ihren Einspielungen gerade. Es gibt hier keinen Unterschied in der Betrachtungsweise, weder steuerlich noch in der Krankenkasse, noch im sozialen Absicherungssystem, und da gibt es ganz einfache Nachbesserungsmöglichkeiten.
Kassel: Wobei natürlich das Einfache wiederum mit dem Komplizierten zusammenwirkt, nämlich der Frage der Mentalität. Über Steuer-, über Sozialversicherung, über Geisteshaltung und auch über unsere Gesellschaft würde ich gerne irgendwann noch mal mit Ihnen reden, vielleicht können wir da mal das Fazit schließen, ein bisschen was hat sich getan. Bisher haben wir zumindest ein bisschen bessere Zahlen zu den Arbeitsbedingungen von kreativen Künstlern und anderen in Deutschland und nicht nur zu ihrer Bezahlung, und über die haben wir mit Lisa Basten geredet, sie arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin und ist Autorin des Buches "Gute Arbeit". Danke für den Besuch im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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