Krawalle von Salafisten

"Eher ein Phänomen von Jugendgewalt"

Nach Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Salafisten kontrollieren Polizisten in Hamburg eine Personengruppe.
Nach Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Salafisten kontrollieren Polizisten in Hamburg eine Personengruppe. © picture alliance / dpa / Bodo Marks
Jörn Thielmann im Gespräch mit André Hatting · 11.10.2014
Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und Kurden in Deutschland sind kein religiöser Stellvertreterkrieg, meint der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. Die Mehrheit der Salafisten in Europa sei "in weiten Teilen friedlich".
André Hatting: Die Kurden in Syrien kämpfen einen verzweifelten Kampf gegen die selbsternannten islamischen Gotteskrieger, Kobane droht in die Hände des Islamischen Staates zu fallen und seit Tagen gibt es große Solidaritätsaktionen der Exilkurden in ganz Europa. Sie fordern mehr Unterstützung vom Nachbarn Türkei zum Beispiel, dort sind bei Auseinandersetzungen mit der Polizei in der vergangenen Woche 23 Menschen getötet worden. Und auch in Deutschland laufen die Proteste von Kurden und Jesiden nicht immer gewaltfrei ab, was auch daran liegt, dass sie bei diesen Demonstrationen auf Anhänger des IS treffen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft warnt schon vor einem Stellvertreterkrieg auf deutschem Boden. Heute in Düsseldorf wollen mindestens 12.000 Kurden auf die Straße gehen, es wäre die bislang größte Kundgebung in Deutschland. Der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann ist Geschäftsführer des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa an der Universität Erlangen-Nürnberg und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Thielmann!
Jörn Thielmann: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Stellvertreterkrieg auf deutschem Boden zwischen Kurden und Salafisten, sehen Sie diese Gefahr auch so?
Thielemann: In sozusagen der vollen Verwirklichung nicht. Es wird mit Sicherheit bei Demonstrationen zu Auseinandersetzungen kommen können, aber das scheint mir manchmal, so wie in Hamburg, eher oder dichter an einem Phänomen von Jugendgewalt zu sein als jetzt an einen großen Religionskonflikt oder ethnischen Konflikt.
Hatting: Also müsste man da stärker differenzieren, wie wahrscheinlich auch bei der Äußerung, dass Kurden und Salafisten aufeinander losgehen? Das ist, glaube ich, auch etwas sehr grobschlächtig gedacht, oder?
Thielemann: In salafistischen Kreisen gibt es auch Kurden. Denn auch wenn es wahr ist, dass viele Kurden religiösen Minderheiten angehören, also Aleviten oder Jesiden angehören, bedeutet das nicht automatisch, dass jeder Kurde Alevit oder Jeside ist, sondern es gibt auch sunnitische, muslimische Kurden Und die schließen sich durchaus auch salafistischen Kreisen an. Also, das greift zu kurz, diesen Konflikt auf dieser Trennlinie hochzuziehen.
Hatting: Also muss man zum Beispiel zwischen der ethischen und der Religionszugehörigkeit klar unterscheiden?
Thielemann: Unbedingt. Und die, wie soll man sagen, die Solidarität und Empfindsamkeiten liegen halt je nach Problemlage dann stärker auf der religiösen oder stärker auf der ethnischen Seite.
Hatting: Wenn wir über Salafisten in Deutschland reden, dann ist immer quasi das Epitheton "gewaltbereit" im Raum. Kann man das so sagen, heißt Salafist sein in Deutschland immer gleich gewaltbereiter Gotteskrieger?
Thielemann: Nein, überhaupt nicht. Die Szene, die ja vielleicht auch durch die mediale und politische Aufmerksamkeit wächst oder zu wachsen scheint in den letzten Jahren, signifikant wächst, die ist in weiten Teilen friedlich. Die Wissenschaft trennt seit Jahren – da kann man zwar Kritik dran üben, aber das ist sozusagen der Standard – zwischen drei Strömungen: friedlichen, wie soll man sagen, Religionsvirtuosen, die also nur versuchen, sich selbst in ihrer religiösen Ausübung, ihrer religiösen Lebensführung zu perfektionieren, ...
Hatting: Religionsvirtuosen, habe ich das richtig verstanden?
Thielemann: Ja, das ist ein Begriff, der an Max Weber angelehnt ist, an den großen deutschen Soziologen. Menschen sind, wie er sagt, unterschiedlich religiös-musikalisch. Und es gibt Menschen, die – nebenbei in allen Religionen – viel Wert darauf legen, sich selbst religiös zu perfektionieren, sich auf einen spirituellen Weg zu begeben. Die werden gemeinhin als nicht gewaltbereit eingestuft. Dann gibt es in der salafistischen Strömung Politaktivisten, Menschen, die Parteien gründen, die sich institutionell engagieren und versuchen, politische Systeme zu ändern oder für ihre Sache irgendwie organisiert einzutreten. Und dann gibt es tatsächlich auch die, die man Dschihadisten nennt, Gewaltbereite. Die sind aber in allen salafistischen Szenen um den Globus im Prinzip immer die Minderheit. Die Mehrheit in Deutschland, wenn wir jetzt wieder den Blick auf Deutschland richten, ist nicht gewaltbereit und nicht gewalttätig, ruft auch nicht zu Gewalt auf. Und wenn man die Bilder beispielsweise aus Hamburg sich anschaut, da scheint mir das wirklich mehr ein Phänomen von Krawallbereiten zu sein, die in welcher Intensität auch immer vielleicht zur salafistischen Szene gehören. Das ist ja bislang noch nicht ganz klar. Aber wenn man deren Outfit ansieht, mit Sportklamotten und entsprechenden Stiefeln und so, dann scheinen die sich mir eher gewappnet zu haben für tatsächlich Randale, und nicht irgendwie in der Moschee beten zu gehen und dann per Zufall, oh Wunder, von demonstrierenden Kurden überrascht worden zu sein.
Hatting: Da sind wir wieder beim Thema Jugendkultur, was Sie schon angesprochen haben. Aber was macht jetzt aus dem Religionsvirtuosen einen Gotteskrieger?
Schwarz-Weiß-Weltsicht der Salafisten-Szene kann sich radikalisieren
Thielemann: Die Weltsicht von Salafisten ist zunächst ähnlich, da gibt es Gute und Böse, die Geretteten und die Verlorenen und die, die zu einem gehören, und die, die nicht zu einem gehören und deswegen abzulehnen sind, herabzuwürdigen sind, und von denen man sich fernhalten muss. Also eine schwarz-weiße Weltsicht. Und dieses Prinzip, al-wala wal-bara, ich bin solidarisch mit meinen Gesinnungsgenossen und lehne die, die nicht meine Gesinnungsgenossen sind, radikal ab, das kann natürlich sich auch radikalisieren, indem ich jetzt nicht nur mich einfach fernhalte von Menschen, deren Ansichten ich nicht teile oder deren Praktiken ich ablehne, sondern das kann natürlich auch umkippen in Gewalt gegen diese, weil ich einfach der Ansicht bin, die kommen sowieso in die Hölle, und wenn ich die jetzt etwas schneller in die Hölle befördere, umso besser.
Hatting: Und wie erreiche ich die? Mit der bisherigen Integrationspolitik scheint das ja nicht so richtig zu funktionieren!
Salafistische Prediger, die die Sprache der Jugend beherrschen, sind attraktiv
Thielemann: Das scheint mir vor allem ... Ich denke, man muss auf mehreren Ebenen agieren. Das eine ist Sozialpolitik, Bildungspolitik allgemein im Staat. Es ist ja eher eine jugendliche Szene. Haben Jugendliche Perspektiven, beruflicher, sozialer, ökonomischer Art? Können die ihren Platz in der Gesellschaft finden und sich einbringen? Das andere ist die bisherige theologische Spracharmut in muslimischen Gemeinden, so würde ich das mal nennen. Wenn Prediger immer noch importiert werden aus Ländern, aus denen die Jugendlichen nicht kommen, aus denen ihre Eltern oder Großeltern herkommen, vielleicht haben sie noch die Staatsangehörigkeit, aber die stehen für eine Kultur und eine Sprache, die nicht ihre ist, dann sind die natürlich auch schlecht ansprechbar. In den meisten Fällen ist deren Sprache Deutsch. Und wenn der Prediger nur Türkisch oder Arabisch kann, kann er sich mit denen nicht verständigen und lebt auch oft in einer anderen Vorstellungswelt. Salafistische Prediger in Deutschland sprechen Deutsch und sprechen wie beispielsweise Pierre Vogel auch lässig Deutsch. Und die sind nicht kompliziert, die sind geradlinig und klar. Die sprechen über Sex, die sprechen über Drogen, die sprechen über Verhaltensweisen auf der Straße, direkt und deutlich.
Hatting: Die Sprache der Jugend auch.
Thielemann: Genau, und das macht sie natürlich attraktiv. Und sie sagen: Du bist Muslim, du hast einen Wert als Muslim. Und mir ist wurst, wie du vorher gelebt hast, wenn du dich für uns entscheidest, dann bist du auf der richtigen Seite. Also, für die, die sich unsicher, schwach, an den Rand gedrängt fühlen, ist das eine Wahnsinns... Wie soll man sagen, so eine Theologie der Ermächtigung und der Stärkung. Das macht sie attraktiv.
Hatting: Herr Thielmann, der Präsident des Verfassungsschutzes glaubt, dass von den Rückkehrern des Islamischen Staates, die also aus Syrien und aus dem Irak zurückkehren, dass von denen die größte Gefahr ausgeht. Sehen Sie das auch so?
Dschihad-Rückkehrer sind ein Risiko
Thielemann: Konkret lässt sich das schlecht benennen. Abstrakt mit Sicherheit, abstrakt ist das mit Sicherheit eine sehr, sehr hohe Gefahr. Wenn Menschen dort gekämpft haben und dann zurückkehren, selbst wenn sie sich vom Kämpfen abgewendet haben, kann man davon ausgehen, dass sie traumatisiert sind. Man weiß, dass posttraumatische Belastungsstörungen im Kontext von Ausübung von Gewalt Menschen auch manchmal gegen deren bewussten Willen zum Risiko machen für ihre Umwelt, weil es dann einfach zu unkontrollierbaren Gewaltausbrüchen kommen kann. Und dann gibt es natürlich andere, die sehr bewusst sich selbst brutalisiert haben und die möglicherweise das dann auch, was sie da gelernt und praktiziert haben, hier in Deutschland umsetzen wollen und auch können. Und das ist mit Sicherheit eine hohe abstrakte Gefahr. Wie konkret die dann sich realisiert, das ist schwer einzuschätzen.
Hatting: Wird sich dann zeigen. Der Islamwissenschaftler Jörn Thielmann über den Kampf zwischen Kurden und Salafisten in Deutschland und die Attraktivität der Salafistenszene. Vielen Dank für das Gespräch!
Thielemann: Sehr gerne, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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