KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Ein Lehrstück in Sachen Demokratie

30:26 Minuten
Eröffnung des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit Gerichtspräsident Hermann Höpker-Aschoff (erste Reihe, M.), daneben Bundespräsident Theodor Heuss (l.) and Kanzler Konrad Adenauer.
Schon bei der Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts stand fest, dass zu seinen ersten Aufgaben die Entscheidung über ein Parteienverbot der KPD gehören würde. © Gettyimages / Bettmann
Von Michael Reissenberger · 14.10.2020
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Am 17. August 1956 verbot das Bundesverfassungsgericht die Kommunistische Partei Deutschlands, kurz KPD. Auch wenn manche Historiker das Verbotsverfahren für verfassungswidrig halten: Die Richter legten im Urteil umfassend dar, was Demokratie ist.
Bei der feierlichen Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951 spricht Bundespräsident Heuss die wichtigste Bestimmung des neuen Grundgesetzes an.
"Wir hatten nun bei uns in Deutschland, ja den mit falschem Pathos verbrämten und im primitiven Machtsadismus vollkommen realisierten totalitären Staat. Und den im Hintergrund, haben wir ins Grundgesetz gelegt das Bekenntnis zu Menschenrecht und Menschenwürde und das ist in dieser Zeit keine sentimentale Floskel, sondern das Lebensbedürfnis eines Volkes, das die Qual und die Scham als Erfahrung hinter sich hat."
Dieses Bekenntnis zur Menschenwürde wird von den neuen Richtern auch bald in ihrer Rechtsprechungspraxis umgesetzt. Anders als beim Bundesgerichtshof, dem höchsten Fachgericht für Straf- und Zivilsachen, sind am Bundesverfassungsgericht nur sehr wenige Juristen, die im Hitlerstaat Karriere gemacht hatten. Etliche waren gezwungen worden, ihren Dienst zu quittieren, mussten ins Exil gehen, hatten dort an ausländischen Universitäten gelehrt.

Karlsruher Gericht als Institution der Staatsklugheit

Die Richter am Bundesverfassungsgericht entwickeln eine weitreichende Rechtsprechung auf Grundlage des Grundgesetzes, die für die Sicherung der Freiheitsrechte gegenüber Behörden und Gesetzgeber, aber auch beim Streit unter Privatleuten sorgt. Sie haben hier ihre Rolle für Gesellschaft und Staat mit Rechtsempfinden und Klugheit ausfüllt und so der Bundesrepublik einen Schub an Liberalität und demokratischem Selbstbewusstsein gebracht. Und dem Karlsruher Gericht hohes Ansehen als Institution der Staatsklugheit.
Bundespräsident Theodor Heuss (l-r), der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Hermann Höpker-Aschoff und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Feierstunde zur Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts am 28. September 1951 im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe. 
Bundespräsident Theodor Heuss (l-r), der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hermann Höpker-Aschoff und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Feierstunde zur Eröffnung des Bundesverfassungsgerichts.© picture-alliance/dpa/Koll
Aber für diese Verfassungsrichter gibt es auch eine dunkle Seite der Macht.
Denn der Grundgesetzartikel 21 zum Parteiwesen formuliert einen Auftrag an das neue Bundesverfassungsgericht, der sicherstellen soll, dass Menschenrecht und Menschenwürde im neuen Staat nie wieder gefährdet oder verloren gehen können. Dass Deutschland nie wieder unter Zwangsherrschaft gerät. Zum ersten Mal – auch international gesprochen - wurde deshalb in die deutsche Verfassung ein neues Rechtsinstrument aufgenommen: das Parteienverbot.
Das Gericht wird damit ermächtigt, auf Antrag von Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat verfassungswidrige politische Parteien zu verbieten, falls von diesen eine virulente Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgeht. Das ist ein handfester juristischer Auftrag, der nicht im politischen Belieben der Richter steht.
Als Bundespräsident Heuss anlässlich dieser Karlsruher Feierstunde spricht, wissen schon alle Bonner Politiker im Saal, dass beim Hohen Gericht demnächst von der Bundesregierung Parteiverbotsanträge gestellt werden.
In den Fokus der Bundesregierung geriet zum einen die Sozialistische Reichspartei SRP, ein Sammelbecken unverbesserlicher Altnazis: Über den Ausgang dieses Verfahrens dürfte nirgendwo ein Zweifel bestanden haben."
Doch auch die Kommunistische Partei Deutschlands, KPD, geriet in den Fokus. Sie ist seit der ersten Bundestagswahl 1949 mit 5,7 Prozent – das entspricht 14 Abgeordneten - in den neuen Bundestag eingerückt. Diese Partei hatte noch in der Weimarer Republik zeitweise beachtlichen Zulauf. Ihre Mitglieder haben oft Widerstand in der NS-Zeit geleistet, viele wurden in KZs und Zuchthäusern geschunden und ermordet. Dieser Fall liegt also nicht so leicht, wie bei der Altnazi-Partei SRP.

Vor welchen Gefahren sollte der Staat geschützt werden?

Theodor Heuss verwendet in seiner Ansprache allerdings ausdrücklich den Begriff vom totalitären Staat, also ein weiter gefasster Begriff als etwa das Wort vom nationalsozialistischen oder faschistischen Führerstaat. Und gibt damit korrekt den Diskussionsstand im Parlamentarischen Rat wider. In diesem hatten die besten Köpfe der Parteien aus den drei westlichen Besatzungszonen von 1948 bis '49 die Verfassung, das Grundgesetz für die neue Bundesrepublik formuliert.
Auf Vorschlag von Theodor Heuss hatte man bei der Beratung, vor welcher Gefahr genau der Staat des Grundgesetzes geschützt werden soll, "die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" hineingeschrieben.
Die Politikwissenschaftlerin Sarah Schulz ordnet in ihrer Studie den Begriff zur "Freiheitlich demokratischen Grundordnung" so ein.
Zitat: "Zum Ende der 1940er Jahre ist diese Formulierung ein eindeutiger Hinweis auf den Blick Richtung DDR und SED und damit mitnichten irrelevant. 'Freiheitlich' wird selbst nicht inhaltlich bestimmt, bedeutet aber auf jeden Fall: nicht kommunistisch. Diese Interpretation wird auch durch die in der Debatte vorgebrachten Beispiele bekräftigt. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rats argumentierten mit Blick auf die Sowjetisch Besetzte Zone und die besondere Situation Berlins aufgrund der Sektorenaufteilung. Der Wille zum Staatsumsturz wurde beispielsweise dem Programm der KPD entnommen. Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED 1946 war den Abgeordneten präsenter als das nationalsozialistische Verbot der SPD 1933. Argumente für ein Parteiverbot waren also nicht historisch mittels konkreter Beispiele zur NSDAP begründet, sondern mit damals aktuellen Entwicklungen in der 'Ostzone'."
Sarah Schulz stellt fest, dass das Scheitern der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtübernahme den Missbrauch demokratischer Freiheit illustriert, aber das das neue Instrument des Parteiverbots inhaltlich nicht allein auf rechte Herrschaftsformen begrenzt ist.
Sie bestätigt damit den juristisch unmissverständlich formulierten Verfassungsauftrag, auf rechte wie linke Gefahren zu schauen, auch wenn ihr als linksorientierter Politikwissenschaftlerin diese Gleichbehandlung nach dem antitotalitären Verfassungskonzept missfällt.

Angstmachende Nervenproben in der BRD-Gründungsphase

Dass es damals in der jungen Bundesrepublik auch Gründe dafür gab, dafür sorgten auch angstmachende Nervenproben in der Gründungsphase für Politik und Bevölkerung.
Als am 20. Juni 1948 die drei Westmächte in ihren Zonen und Westberlin ohne Absprache mit der Sowjetunion die D-Mark einführten, reagierte die Sowjetische Militäradministration umgehend mit der sogenannten Berlin-Blockade, um im Gegenzug Einfluss auf Gesamtberlin zu erlangen: Westberlins Verkehrsverbindungen nach Westdeutschland wurden abgeriegelt.
Auf Initiative des US-amerikanischen Hochkommissars Lucius D. Clay wurde im Gegenzug von den Westalliierten eine Luftbrücke errichtet. Mit sogenannten Rosinenbombern hielten die Amerikaner die Westberliner ein Jahr lang mit Lebensmitteln und überlebenswichtigen Gütern über Wasser, erst ein Jahr später beendete die sowjetische Seite ihre Sperren.
Kinder warten auf das Flugzeug von US-Leutnant Halversen, der die Taschentuchfallschirme mit Süßigkeiten abzuwerfen pflegt, aufgenommen am 30.9.1948.
Berlin-Blockade vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949: Westberlin wird von den Westmächten über die Luftbrücke versorgt.© picture-alliance / akg-images
Der Schrecken saß aber allen noch lange in den Knochen.
"Meine Damen und Herren! Die Sowjetzonenregierung und die SED haben auf ihrem sogenannten Nationalkongress in Berlin und auf ihrem Parteitag mit nackten und dürren Worten die Anhänger der KPD bei uns im Lande aufgefordert, Revolution zu machen."
Bundeskanzler Adenauer am 19. September 1950 im Bonner Bundestag. Die Zeichen stehen auf Daueralarm. In Korea war der "kalte" in einen "heißen" Krieg umgeschlagen.
Und der starke Mann der kürzlich gegründeten DDR, Walter Ulbricht, setzte den Umbau der SED zu einer Kaderpartei mit straffer Parteidisziplin fort. Sein Kurs mit parteiinternen Säuberungsaktionen wurde verstärkt, Staatsfeinden drohten brachiale Strafen.
Die westdeutsche KPD wurde von der SED im Kampf gegen den Imperialismus noch fester instrumentalisiert. Was wiederum in der BRD zu noch größeren Aversionen und Ängsten führte.
"Wir hier in der Bundesrepublik Deutschland, die Bundesregierung und der Bundestag und ich, glaube, fast restlos die gesamte Bevölkerung sind fest entschlossen, von allen uns zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln Gebrauch zu machen, um dieser Infiltration von Osten her entgegen zu treten", so Konrad Adenauer.
Wie die Bundesregierung das umsetzen will, macht Gustav Heinemann dann 1950 klar, der damalige Innenminister von Adenauer.
"Die Gegner der Bundesrepublik verstärken ihre Bemühungen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben. Jede Teilnahme an solchen Bestrebungen ist unvereinbar mit den Pflichten des öffentlichen Dienstes. Wer als Beamter, Angestellter oder Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Staatsordnung teilnimmt, sich für sie betätigt, oder sie sonst unterstützt, wer insbesondere im Auftrag oder im Sinne der auf Gewalthandlungen abzielenden Beschlüsse des dritten Parteitages der kommunistischen SED und des sogenannten Nationalkongresses wirkt, macht sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig. Gegen Schuldige ist unnachsichtlich die sofortige Entfernung aus dem Bundesdienst herbeizuführen."

Scharfer Ton von Innenminister Gustav Heinemann

Diesen scharfen Ton von Gustav Heinemann hält man fast für persönlichkeitsfremd, wenn man ihn sich noch einmal in seinen späteren Ämtern als Justizminister in der Großen Koalition ab 1965 und bald darauf als Bundespräsidenten in der Zeit der sozialliberalen Koalition vergegenwärtigt.
15 Jahre früher lässt sich bei ihm heraushören, wie ernst auch ein Pazifist wie er die kommunistische Gefahr für die Bundesrepublik zu dieser Zeit einschätzte, wenngleich er sich als Mitglied der Bekennenden Kirche zur Toleranz auch gegenüber dem ideologischen Gegner verpflichtet sah.
Noch ehe das Bundesverfassungsgericht im September 1951 installiert war und die Parteiverbotsanträge der Bundesregierung nur zwei Monate später nach Karlsruhe zugestellt wurden, hatte Bonn schon die Strafverfolgung gegen die KPD-Funktionäre organisiert.
Die Bundesregierung hatte Staatsanwälte und Gerichte mit einem sehr dehnbaren politischen Strafrecht ausgestattet. Ein Tatbestand der Staatsgefährdung wurde neu eingeführt. Davon wurde auch gewaltlose politische Betätigung erfasst, auch wenn keine faktische Gefährdung des Staates festgestellt wurde.
Dies erlaubte eigentlich straflose Handlungen wie etwa das Verteilen von Flugblättern gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik schon zu bestrafen, wenn nur der Richter zur Auffassung kam, dass der Täter von einer als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation beeinflusst worden sei.
Insgesamt fielen bis 1956 rund 3000 Urteile meist wegen der Betätigung in bereits zuvor verbotenen Organisationen, wie etwa der Freien Deutschen Jugend (FDJ), einem Ableger der SED im Westen. Und dann kam im selben Jahr noch das KPD-Urteil, auf das die Bundesregierung hingearbeitet hatte. Nach dem KPD-Verbot 1956 kamen weitere 3700 Urteile hinzu, wegen Betätigung in der nunmehr verbotenen Partei. In vielen Fällen wurden die Strafen allerdings zur Bewährung ausgesetzt.

Geheimbündelei aus Strafgesetz gestrichen

Man lernte hinzu: Straftatbestände wie Geheimbündelei oder sogenannte Meinungsäußerungsdelikte wurden Ende der sechziger Jahre unter der Anleitung vom nunmehrigen Justizminister Gustav Heinemann als "Gesinnungsstrafrecht" aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Bloß weil man vielleicht radikale Gedanken äußert, wird heute keiner mehr bestraft.
"Der deutsche Freiheitssender 904 gibt jetzt wie jeden Abend das Wort der trotz Verbots kämpfenden Kommunistischen Partei Deutschlands. Stuttgart in der Nacht vom Freitag auf Sonnabend und von Sonnabend auf den Sonntag wurden in den Straßen der Stadt mehr Plakate geklebt als in manchen Nächten vor der Landtagswahl. Die Plakate der Stadt zeigen ein Kreuz mit Stahlhelm und die Losung: KPD-Verbot heißt Soldatentod. Bemerkenswert: Es wurden nur außerordentlich wenig Plakate abgerissen."
August 1956. Am Tag als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Kommunistische Partei Deutschlands verboten hatte, tauchte auch ein geheimnisvoller neuer Sender aus dem Äther auf Mittelwelle, 904 Kilohertz auf. "Die Stimme der KPD", sie behauptete der einzige Sender der Bundesrepublik, zu sein, der nicht unter Regierungskontrolle steht. Dafür half die Regierungspartei der DDR, die SED, der westlichen Bruderpartei nach: Klassenkampf mit Schwarzsender, angeblich aus westlich stationierten Sendestationen, tatsächlich aus Magdeburg.
Das KPD-Verbot brachte den kalten Bürgerkrieg nochmal auf volle Touren.
Auszug aus dem Urteilsspruch des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Josef Wintrich:
"In dem Verfahren über den Antrag der Bundesregierung auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Entscheidungsformel:
1. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig.
2. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst.
3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen.
4. Das Vermögen der Kommunistischen Partei Deutschlands wird zugunsten der Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnützigen Zwecken eingezogen."
Die Richter sahen es durch die Ergebnisse der sorgfältigen Beweisaufnahme als erwiesen an, dass die KP die Regierung auch mit Gewalt stürzen würde.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Josef Wintrich, am 10.06.1954. 
Gerichtspräsident Josef Wintrich ließ erkennen, dass das KPD-Verbotsverfahren für das Gericht eine drückende Last war,© picture-alliance / Willi Antonowitz
In einem Vorspann zur Urteilsbegründung verdeutlichte Präsident Josef Wintrich, dass das Gericht eigentlich ziemlich ungern über diesen Verbotsantrag entscheidet.
"Das Verfassungsgericht kann ein Verfahren nicht von sich aus einleiten. Es bedarf dazu immer des Begehrens eines Antragstellers. Den Antrag eine Partei zu verbieten kann die Bundesregierung stellen. Es steht in ihrem politischen Ermessen, unter ihrer ausschließlichen politischen Verantwortung, ob sie den Antrag stellen will und soll. Ist der Antrag gestellt, dann ist das Gericht verpflichtet darüber zu entscheiden. Das Gericht hat seine Entscheidung nach rein rechtlichen Erwägungen zu treffen. Daher sind ihm politische Zweckmäßigkeitserwägungen versagt."
Gerichtspräsident Josef Wintrich lässt erkennen, dass das KPD-Verbotsverfahren für das Gericht eine drückende Last war, anders als das Verfahren gegen den Altnaziverein, die Sozialistische Reichspartei SRP. Hier hatte man schon ein Jahr später, im Oktober 1952, ein Verbot ausgesprochen. Man musste nur nachweisen, dass hier eine neue Führerpartei zurück in alte Zeiten wollte.

Auch Wintrich-Vorgänger wollte KPD-Verbotsantrag abwenden

Schon Wintrichs Amtsvorgänger, Hermann Höpker-Aschoff, hatte der Bundesregierung vergebens den Verbotsantrag gegen die KPD ausreden wollen. Eine altangestammte Partei mit Tradition, mit noch recht vielen Mitgliedern, komplexem Programm und in ihren Reihen auch geschundenen Widerstandskämpfern.
Als Gerichtspräsident Wintrich nochmal im Jahr 1954 nachhakte und im Gespräch mit einem Ministerialbeamten den Sinn des Verfahrens hinterfragte – schließlich war die Wählergunst für die KPD bei der 2. Bundestagswahl auf 2,2 Prozent gesunken -, drängte Bonn plötzlich auf den Abschluss des Verfahrens. Machte Druck und setzte eine Bestimmung ins Gesetzblatt, dass Parteiverbotsverfahren ab September 1956 dann in die Zuständigkeit des anderen Senats des Verfassungsgerichts übergehen würde.
Die Arbeitslast war kaum zu bewältigen. In einem Parteiverbotsverfahren muss das Verfassungsgericht alle urteilswichtigen Tatsachen selbst ermitteln, Zeugen vernehmen, beschlagnahmte Akten sichten, Post und Dokumente verlesen lassen. Das schlecht ausgestattete Gericht war in diesen Nachkriegsjahren für solche Anstrengungen kaum gerüstet.
An 50 Sitzungstagen, viele Wochen lang also, war das Gericht in den Verhandlungssaal eingepfercht mit den Prozessbeteiligten. Um den Karlsruher heißen Sommer zu überstehen, hatten die Bediensteten mit Eis gefüllte Eimer unter die Richtertische gestellt - um für einigermaßen erträgliche Temperaturen zu sorgen.
Gerichtspräsident Wintrich machte bei der Urteilsverkündung auch in Richtung Bonn klar:
"Das BVerfG lässt sich in seiner richterlichen Entscheidung durch keinerlei Einwirkung von außen, von wem auch immer sie kommen möge, beeinflussen. Das Bundesverfassungsgericht ist lediglich dem Gesetz unterworfen und entscheidet nur nach Gesetz und Recht."
Wintrich und auch die anderen Richter sind in dieser Frage glaubwürdig. Wintrich hatte sich auch in der Nazizeit nicht gescheut, dem Regime sein unabhängiges Rechtsverständnis zu verdeutlichen. Das Urteil selbst beruht ohnehin fast nur auf den Äußerungen der KPD-Prozessbevollmächtigten im Gerichtssaal. Sie mussten sich zu Programm und Handlungsweise der Partei befragen lassen.

War das vielleicht verfassungswidriges Verfassungsrecht?

Das KPD-Urteil zeigt auch: Die Richter haben sogar den für ein Gericht kühnen Gedanken erwogen, ob sie sich überhaupt an den Auftrag halten können, den ihnen der Verfassungsgesetzgeber in Artikel 21 Absatz 2 erteilt hat, nämlich eine verfassungswidrige Partei zu verbieten und damit das Prinzip Meinungsfreiheit und der Neutralität des Staats gegenüber allen Parteien und ihre politischen Auffassungen aufzugeben.
War das vielleicht verfassungswidriges Verfassungsrecht? Doch die Richter begründen schließlich, warum sie diesen Selbstwiderspruch, dieses Grenzproblem hinnehmen.
"Das Grundgesetz hat also bewusst den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen. Art. 21 Abs. 2 GG steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung in Widerspruch; er ist Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung, Niederschlag der Erfahrungen eines Verfassungsgebers, der in einer bestimmten historischen Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte, Bekenntnis zu einer - in diesem Sinne - 'streitbaren Demokratie'", so Wintrich.
Professor Martin Morlok, einer der führenden Parteirechtsexperten findet diese Entscheidung richtig, man müsse nicht, weil man mit Toleranz zunächst weniger Anstoß erregt, auf den vorbeugenden Schutz des eigenen Wertsystems verzichten.
"Das ist zunächst überraschend, dass man die Freiheit schützen will, dadurch, dass man die Freiheit, ja, die Freiheit der Parteien einschränkt. Aber wenn man zweimal darüber nachdenkt, muss man sagen: das ist eigentlich ein notwendiges Instrument. Wir geben alle Freiheiten politischer Art mit einer Ausnahme, nämlich die Freiheit, die freiheitliche Ordnung abzuschaffen. Das wäre doch ein Widerspruch, wenn man die Freiheit gäbe, die Freiheit abzuschaffen. Wir wollen nicht nur einmal eine freiheitliche Ordnung einrichten, sondern dafür sorgen, dass auch in der Zukunft unsere Kinder und Enkel dieselbe freiheitliche politische Ordnung genießen können."
Für ein Lehrbuch hat das KPD-Urteil überraschende Qualitäten. Einprägsam im Urteil ist die freiheitliche Formel: Man kann alles, auch die ganze Verfassung öffentlich kritisieren, die Minderheit kann zur Mehrheit werden, und auch danach geht die Debatte weiter. Und damit das so bleibt, folgt im Urteil die Feststellung, dass Meinungen jedoch unterdrückt werden, wenn eine Partei durch aggressiv kämpferisches Handeln für die Abschaffung der demokratischen Ordnung eintritt.
Dies sah das Gericht im KPD-Aufruf zum Sturz der Adenauer Regierung. Jedermann auf der Straße sei zu Widerstandshandlungen gegen imperialistische Kriegstreiber aufgerufen. Auch die Anwälte der Partei hätten in der Gerichtsverhandlung ganz offen den "Aufruf zum Sturz" des Adenauer-Regimes bestätigt. Der sei dann auch vom Mann auf der Straße als Aufforderung zu illegalen Aktionen verstanden worden, auch die Funktionäre hätten bestätigt, dass damit die Anwendung von Gewalt gemeint gewesen sei.
Mit einem Wasserwerfer versucht die Polizei die Blockade der Demonstranten aufzulösen, aufgenommen am 26. Februar 1981 in Brokdorf bei Protesten gegen das AKW
Anti-AKW-Proteste: Der sogenannte Brokdorf-Beschluss der Richter fiel zu Gunsten der freiheitlichen Rechte der Demonstrantinnen und Demonstranten aus.© picture-alliance / dpa/Pfeiffer
Diese Überlegungen im KPD-Urteil zu demokratischer Freiheitlichkeit und Parteiverbot zitierte 25 Jahre später das Gericht zu einer positiven Schlussfolgerung über die Freiheitsrechte der durchaus radikalen Gegner des Atomkraftwerks Brokdorf. Der sogenannte Brokdorf-Beschluss der Richter fiel deshalb sehr zu Gunsten der freiheitlichen Rechte der Demonstrantinnen und Demonstranten aus. Damals in den siebziger, achtziger Jahren waren ja Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke und Atomraketen die Aktionsform der kritischen Geister.
"Die haben viel Demokratietheorie dort betrieben und gesagt, der öffentliche Ausdruck von politischen Meinungen, von Dissens und Kritik zur herrschenden Politik, ist legitim, das ist ein Lebenselixier der Demokratie", so Morlok.
"Und die Demonstrationsfreiheit darf nicht abgeschoben werden auf eine nationale Demonstrationswiese in der Lüneburger Heide, sondern man darf auch an dem Ort demonstrieren, um den es auch geht. Und das war dann eben Brokdorf und wir haben heute auch so Diskussionen, da wo es auffällt, da wo man wahrgenommen wird, darf auch demonstriert werden."
Gericht und Gesellschaft lernten in dieser Zeit dazu. In Brokdorf, Gorleben und Wackersdorf wuchs eine politische Bewegung heran. Viele damalige Akteure der Anti-Atomkraftbewegung fanden sich bald unter den Gründern der Partei der Grünen. Auch der Brokdorf-Beschluss der Verfassungsrichter hat hier der jungen Generation gezeigt, dass die Verfassung Raum auch für unbequeme und schrille Thesen gibt. Und die Gerichte in der Lage sind, die Politik hier zu demonstrationsfreundlichen Maßstäben zu zwingen.
"Und solche radikalen Parteien sind Instrumente, um frühzeitig auf Probleme aufmerksam zu machen. Wenn man so will: Frühwarnsysteme. Das machen extremistische Parteien, dass sie Dinge auf die Tagesordnung setzen, die sonst zu spät kämen. Und insofern sollte man mit dem Parteiverboten zurückhaltend sein", sagt Morlok.

Auch heute noch Vorwürfe wegen des KPD-Verbots

Auch heute noch, fast 65 Jahre später, wird das KPD-Verbot dem Bundesverfassungsgericht fast reflexartig als Ausgeburt des Antikommunismus vorgeworfen. Diese sei doch zum Zeitpunkt des Urteils nur noch eine Splitterpartei mit schlechten Wahlergebnissen gewesen. Die NPD habe man dagegen kürzlich wegen Chancenlosigkeit vor einem Verbot verschont. Professor Morlok argumentiert hier aus historischer Sicht.
"In welcher politischen Lage befand man sich damals. Die KPD war im 1. Bundestag mit 5,7, im zweiten Bundestag mit 2,2 Prozent nicht mehr vertreten. Aber, man muss eben sehen, es gab neben der BRD die DDR, einen eigenständigen Staat. Der durchaus auch eingewirkt hat auf die Politik in der Bundesrepublik, mit Finanzierung und allen möglichen Mitteln. Und die Gefahr eines Putsches von linker Seite mit Unterstützung aus dem Osten nicht völlig irreal war", sagt Morlok rückblickend.
"Und auch das Selbstbewusstsein, die Selbstsicherheit der Demokratie war zehn Jahre nach 1945 natürlich noch nicht so gesichert wie wir das heute sehen. Wenn jetzt vor drei Jahren die NPD nicht verboten wurde, obwohl man sagte, sie verfolgt verfassungswidrige Ziele, man sagt jetzt hier, das ist keine reale Gefahr, die können die Macht nicht übernehmen. Dann ist das Ausdruck einer gefestigten Demokratie, das können wir aushalten. Und dieses Bewusstsein musste damals noch nicht im heutigen Umfang vorhanden sein."
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