Korruption

"Anfüttern" und ein Glas Rotwein können der Anfang sein

Ein Mann hält ein Bündel Geld, um das eine rote Schleife gewickelt ist. Ein Symbolbild für Korruption und Geldwäsche.
Bestechung und Korruption treten selten offen zutage. Heute kommen Experten in Berlin zusammen, um über die gesellschaftlichen Auswirkungen zu debattieren © dpa/picture-alliance/Lehtikuva Mikko Stig
Friedrich Schneider im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 16.06.2017
Korruption hat viele Gesichter. Für den Volkswirt Friedrich Schneider beginnt sie noch nicht bei der Einladung zum Abendessen mit verlockendem Rotwein, sondern erst dann, wenn Bestechungsgelder für Aufträge fließen.
"Die Bestechung fängt dann an, wenn ich nur mit Hilfe der Bestechung einen Auftrag, Beispiel Bauwirtschaft, erhalte, den ich sonst nicht erhalten hätte", sagt der Korruptionsexperte Friedrich Schneider, der an der österreichischen Universität Linz Volkswirtschaft lehrt. Sobald Geld fließe dafür, dass es einen Auftrag gibt damit jemand den Bestbieterpreis erfahre, dann gehe es um Bestechung, die strafbar sei. Das "Anfüttern" bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch sei seiner Meinung nach kein Problem. Allerdings legten das viele Compliance-Regeln von Unternehmen sehr viel strenger aus, beispielsweise bei einem Abendessen mit teuren Rotweinen.

Geschenkkultur im Orient

Gerade im Mittleren und Vorderen Orient sei es allerdings so, dass Geben und Nehmen eine tiefverwurzelte Tradition sei. "Geschenke und sich Bedanken durch Geschenke" seien sehr üblich. Manch ein Geschäft könne dort nicht zustande kommen, wenn man beispielsweise ein Geschenk eines Geschäftspartners zurückweise.
In Berlin widmet sich dieser Tage die Konferenz "Irresistible" den vielen Facetten von Korruption, Geldwäsche und Bestechung.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Es gibt viele Ausdrücke: Kölscher Klüngel, eine Hand wäscht die andere, gibst du mir, geb ich dir oder ganz simpel, Korruption, Bestechung. Von heute an findet ein internationales Symposium in Berlin statt, das sich mit dem Phänomen befasst – von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Goethe-Institut Ukraine und gefördert vom Auswärtigen Amt –, und wir wollen jetzt darüber reden, ob Korruption tatsächlich nur schadet oder ob sie vielleicht auch von Nutzen sein kann.
Und wir tun das mit Professor Friedrich Schneider, einem der führenden Korruptionsexperten, der über Schattenwirtschaft, Steuerhinterziehung und organisierte Kriminalität geforscht hat, und das seit über 40 Jahren, und er lehrt VWL an der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Schönen guten Morgen!
Friedrich Schneider: Ja, guten Morgen zu Ihnen nach Deutschland!
von Billerbeck: Der Korruption den Kampf angesagt, das haben ja viele Institutionen, aber wir sehen ja auch, dass korrupte Beziehungsgeflechte nicht nur unsere politischen, sondern auch unsere gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen durchdringen. Warum greifen eigentlich so viele Menschen, um ihre Interessen durchzusetzen, zu korrupten Methoden?
Schneider: Sie tun es auf der einen Seite, dass derjenige, der Geld hat oder Mittel oder über Einfluss verfügt, natürlich mithilfe von Korruption viel leichter das bekommen kann, was er möchte. Wenn eine Baufirma besticht, aber sie ist nicht so gut wie die andere Firma, dann kann sie mithilfe von Bestechung einen Auftrag bekommen und hat dann einen zusätzlichen Gewinn, und die anderen haben das Nachsehen. Das ist die übliche Form der Korruption, die auch in der Wirtschaft und auch uns allen schadet.
Korruption hat aber auch einen anderen Aspekt, dass gerade im Mittleren und Vorderen Orient das Geben und Nehmen eine tief verwurzelte Tradition ist und dass man durch Geschenke und sich bedanken durch Geschenke es als selbstverständlich empfindet, dem anderen auch etwas Gutes zu tun, wenn man ein Geschäft abgeschlossen hat oder wenn man dabei ist, ein Geschäft abzuschließen.

Wenn das Geld aufs Auslandskonto fließt

von Billerbeck: Da sieht man schon Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern, auch was dieses Thema betrifft, aber bevor wir weiter darüber reden: Wann fängt sie eigentlich an, die Korruption? Bis wohin ist es noch, ja, Freundlichkeit, Austausch, Bedanken – wo fängt die Bestechung an?
Schneider: Die Bestechung fängt dann an, wenn ich nur mithilfe der Bestechung einen Auftrag, Beispiel Bauwirtschaft, erhalte, den ich sonst nicht erhalten hätte. Ich kann natürlich immer mal auch – das ist ja eine Tradition, die auch in Deutschland ist – mich mit dem treffen, ich kann ihn zum Essen einladen und ich kann die Vorschläge unterbreiten.
Fließt dann aber Geld, biete ich als Baufirma demjenigen oder als Firma demjenigen an, okay, wenn ich den Auftrag erhalte oder wenn du mir sagst, wo der Bestbieterpreis liegt und ich gehe dann etwas darunter, dann bekomme ich den Auftrag, und dafür überweise ich dir 50.000 oder 100.000 Euro oder auch nur 10.000 Euro auf ein ausländisches Konto, und ich sag dir dann den Code, sodass du über das Geld leicht verfügen kannst. Dann haben wir eindeutig die Form der Bestechung, und das ist strafbar.

Schaden für die Wirtschaft

von Billerbeck: Aber das Essen zuvor, das war noch keine Bestechung?
Schneider: Also das berühmte Anfüttern, dass man Leute kennt …
von Billerbeck: Im Wortsinn.
Schneider: Ja, anfüttern im wahrsten Sinn des Wortes, da hängt es jetzt davon ab, wie groß der Auftrag ist. Ich bin kein Jurist, ich bin Volkswirt, üblicherweise würde ich sagen, trifft man sich oder trinkt man einen Kaffee oder geht Mittag essen, weil auch gerade die Zeit so ist, dann würde ich das nicht so sehen. Die Compliance-Regeln hierzu sind sehr streng, weil auch hier gewisse Summen überschritten werden. Also ich werde abends eingeladen und es werden sehr teure Rotweine getrunken, dann kann man das schon darunter rechnen. Ich persönlich würde das nicht tun.
Ich finde, ein Gespräch bei einem Glas Wein kann sehr oft über viele Probleme hinweghelfen, und aus meiner Sicht hat das noch nichts mit Bestechung zu tun. Bestechung ist es dann – und das ist eigentlich immer ganz eindeutig –, wenn wir ausmachen, du kriegst den Auftrag, ich krieg von dir 20.000 Euro, die ich sonst nicht bekommen hätte. Dann haben wir den glasklaren Fall von Bestechung, und dies schadet auch der Wirtschaft, weil im Normalfall bei der Bestechung nicht die beste Firma zum Zug kommt, der Staat mehr Geld ausgibt, eine schlechtere Leistung erhält und dadurch die Gesellschaft sich insgesamt schlechter stellt.

Deutschland ist korruptionsfrei

von Billerbeck: Sie haben es ja schon relativ am Anfang unseres Gesprächs gesagt, dass man unterschiedliche Auffassungen in verschiedenen Ländern davon hat, was Korruption, was Bestechung ist. Können Sie das noch mal ausführen? Sie hatten Emirate erwähnt, wie sieht das aus in Deutschland, in Skandinavien, in der Ukraine, weil das Symposium ist ja unter anderem vom Goethe-Institut Ukraine, das hat ja auch Gründe.
Schneider: Na ja, Deutschland und Skandinavien, das sind Länder, die unter den 20 Ländern mit der geringsten Bestechung sind. Die skandinavischen Länder sind immer ganz vorne, Deutschland liegt hier auf Rang zwölf, also de facto ist Deutschland ein korruptionsfreies Land, wobei ich nicht sagen will, es gibt keine Korruption in Deutschland.
Die Ukraine liegt auf Rang 131, da gehört die Bestechung schon mehr oder weniger in vielen Fällen zum Tagesgeschäft, und ohne Bestechung geht gar nichts. In solchen Ländern kann es durchaus sein, dass Bestechung auch einen positiven Aspekt hat. Wenn meine Maschine ein halbes Jahr beim Zoll liegt und ich durch eine Bestechungssumme sie nach vier Wochen oder drei Wochen bekomme, damit produzieren kann, dann erhöht das meine Produktivität. Das ist die berühmte Hypothese, dass Bestechung als Schmiermittel dient, im wahrsten Sinn des Wortes.

Der umgekehrte Effekt

von Billerbeck: Ist das der Moment, wo Korruption gesellschaftlich von Nutzen sein kann, weil die Maschine dann eben da ist, oder gibt es da andere Gründe?
Schneider: Das ist der Moment, in dem Bestechung von gesellschaftlichem Nutzen sein kann. Das sind diese kleineren Summen für Bestechung, dass der Zollbeamte eben die Maschine schneller herausrückt. Das ist der Fall, das kann man auch wissenschaftlich zeigen, aber wissenschaftlich zeigt die große Mehrzahl der Studien genau den umgekehrten Effekt, dass Bestechung die Volkswirtschaft schädigt und eben das Wirtschaftswachstum langsamer wird.
In den Emiraten ist es selbstverständlich, dass man bei Gesprächen über wichtige Abschlüsse, über Vereinbarungen Geschenke erhält, und in diesem Fall ist es auch so, dass dann das Geschäft unter Umständen gar nicht zustande kommt, wenn man das Geschenk zurückweist, weil man das als Verletzung der Freundschaft und des guten Zusammenarbeitens ansieht. Also gerade im Mittleren Osten ist es viel bedeutender, dass man hier auch Geschenke macht, Geschenke gibt und auch Geschenke in Empfang nimmt.
von Billerbeck: Schaden und Nutzen von Korruption. Einschätzungen waren das von Friedrich Schneider von der Universität Linz. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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