Korrupt um des Glückes willen

09.07.2010
Der pakistanische Autor Daniyal Mueenuddin entlarvt den Feudalismus in seinem Land als ein in sich geschlossenes, strikt patriarchalisches und ausbeuterisches System. Und dennoch offenbaren die acht Erzählungen in "Andere Räume, andere Träume" eine tiefe Liebe zur Heimat.
Wer den brillanten Debutband "Andere Räume, andere Träume" des pakistanisch-amerikanischen Autors Daniyal Mueenuddin zur Hand nimmt, sollte vorab zweierlei wissen: Der Teil des pakistanischen Punjabs, in dem alle acht, subtil miteinander verknüpften Erzählungen rund um den Großgrundbesitzer K. K. Harouni angesiedelt sind, darf getrost als eine der konservativsten und rückständigsten Gegenden des Landes bezeichnet werden.

Und: Das Großgrundwesen, sprich: der Feudalismus, den Mueenuddin anhand seines Figurenpersonals hier verhandelt, ist - neben dem Militär - das zweite Regulativ der Macht, mit dem das pakistanische Volk seit 50 Jahren gegeißelt wird.

Mueenuddin, der selbst eine kleine Farm im Punjab betreibt und somit aus erster Hand berichten kann, zielt dabei weniger auf vordergründige Kritik an der feudalen Welt. Er liefert vielmehr eine Art Binnensicht, indem er uns teilhaben lässt an dem komplexen Macht- und Beziehungsgefüge all der so unterschiedlichen Bewohner, die diese Welt bevölkern: Elektriker und Köche; Hausmädchen und Geliebte; Politiker und Gärtner; Ehefrauen und Verwalter.

Und obwohl die einen alles, die anderen nichts zu haben scheinen, wird bald klar: Sie alle sind korrupt um des Glückes willen, das sie suchen - das Glück aber, das sie finden, ist von äußerst kurzer Dauer.

Die Männer nehmen sich, was sie wollen: Land oder Frauen; die Frauen geben das Einzige, das sie haben: ihren Körper - denn für sie ist Liebe zwangsweise ein Geschäft. Nicht umsonst steht dem Band ein Sprichwort aus dem Punjab voran: "Drei Dinge, für die wir töten - Land, Frauen und Gold".

Tatsächlich stehen in den meisten der Erzählungen die Frauen im Mittelpunkt: Da ist etwa die mittellose Magd Saleema in der gleichnamigen Geschichte, die verzweifelt nach einem männlichen Beschützer sucht und doch als Bettlerin auf der Straße landet; das reiche, in Lahore beheimatete Partygirl Lily wiederum erhofft sich von ihrer Heirat mit dem vermeintlich aufgeklärten Murad, ihr altes Leben abzustreifen, und findet sich am Ende in der erdrückenden Rolle der angepassten Ehefrau wieder.

Beide Frauen sind stark und schwach zugleich - und literarisch die Figuren, die den Leser am stärksten berühren. Aus ihrer Perspektive heraus entlarvt Mueenuddin die scheinbar selbstgenügsame Welt des Feudalismus als ein in sich geschlossenes, strikt patriarchalisches und ausbeuterisches System - das so veraltet ist wie auch im leisen, unaufhaltsamen Niedergang begriffen.

Doch bei aller leisen Melancholie, die Daniyal Mueenuddin seinen Erzählungen als Unterton mitgibt: "Andere Räume, andere Träume" ist zugleich ein literarisches Vergnügen. Denn Mueenuddin - der seinen geschliffenen Realismus mit überraschenden Details zu würzen versteht - verhehlt nicht seine tiefe Liebe zum Land, dessen Schönheit er in knappen aber eindringlichen Szenen preist.

Vor allem aber zaubert er auf so humane wie auch humorvolle Weise lebendige Figuren vor uns hin, die wie aus Fleisch und Blut gemacht zu sein scheinen und zugleich uns hiesigen Lesern dieses fremde Labyrinth aus Macht und Manipulation, Armut und Ausbeutung namens Feudalismus erschließen. "Andere Räume, andere Träume" ist insofern nichts weniger als eine pakistanische "comédie humaine".

Besprochen von Claudia Kramatschek

Daniyal Mueenuddin: Andere Räume, andere Träume. Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
290 Seiten, 19,80 Euro

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