Kopftuch-Zwang, Viel-Ehe und Alkohol-Verbot

Von Christina Nagel |
Tschetschenien hat in zwei Kriegen vergeblich um die Unabhängigkeit gekämpft. Regierungschef Ramsan Kadyrow, erst kürzlich wieder vereidigt, gilt als Vasalle des russischen Premiers Wladimir Putin. Unter dem 34-Jährigen werden die Uhren derzeit wieder zurückgedreht.
Direkt neben der großen, neuen Moschee ragen Betongerippe und Kräne in den Himmel. Hier, mitten im Zentrum, entstehen Grosnys erste Wolkenkratzer. Knapp 50 Etagen mit Hubschrauber-Landeplatz auf dem Dach. Die Fassaden verspiegelt. Breite Boulevards, Designer-Läden: Ramsan Kadyrow, Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien, verpasst der nach zwei Kriegen wieder aufgebauten Stadt einen modernen Anstrich.

Hinter den Fassaden aber wird die Zeit zurück gedreht. Viel-Ehe, Kopftuch-Zwang, Alkohol-Verbot … Eine Mischung aus Mittelalter, religiös verbrämtem Machotum und Selbstherrlichkeit. Für Tatjana Lokschina von Human Rights Watch entfernt sich Tschetschenien immer weiter von Russland, ohne dass der Kreml eingreift:

"Das Problem besteht darin, dass es momentan in Tschetschenien (…) nur ein einziges Gesetz gibt. Das Gesetz hat nichts mit russischem Recht, mit internationalen Verpflichtungen im Bereich Menschenrechte zu tun. Gesetz ist, was der Republikchef sagt."

Und der ist überzeugt:

"So eine Demokratie, wie bei uns, gibt es nirgendwo. (…) Alles, was wir tun, dient dem Ziel, das Volk Tschetscheniens wieder neu zu beleben. Deshalb setzen wir auf eine moralische Politik. Unsere Bemühungen werden vom Volk unterstützt. (…) 92 Prozent der Bevölkerung sind für uns. Nur ganz wenige, 0,34 Prozent, sind gegen uns."

Kein Wunder also, dass überall in der Stadt geschrieben steht: Danke, Ramsan, für Grosny. Danke für alles! Wen man auch fragt, alle loben Kadyrow, seine Tat - und Schaffenskraft in höchsten Tönen. Sehr zum Wohlgefallen der bewaffneten Sicherheitskräfte, die die Straßen Grosnys säumen und Augen und Ohren offen halten. Kritik offen zu äußern, trauen sich nur wenige.

Meist gibt es sie nur unter Hand. So wie auch den verbotenen Alkohol. Wer sich als Frau dem Kopftuch-Gebot widersetzt, wird im besten Fall als potenzielle Prostituierte begafft. Im schlimmsten Fall - mit Farbkugeln beschossen. Tatjana Lokschina hat mehr als einen Drohbrief gesehen, in denen härtere Strafen angekündigt wurden:

"Härtere Strafen", das heißt in diesem Fall: wenn wir euch noch einmal ohne Kopftücher sehen, schießen wir aus echten Waffen."

Frauen, so lassen die Herren, die das Sagen haben, durchblicken, brauchen eben manchmal eine lenkende Hand, um ihr Glück zu finden. Und Frauen zu beglücken, liegt vor allem Ramsan Kadyrow sehr am Herzen:

"Ich liebe meine Frau, respektiere sie, ich bin mit ihr glücklich. Aber wenn ich eine Frau sehe, die noch schöner ist als sie, wieso soll ich unruhig werden? Der Islam lässt es zu, die andere zu heiraten, wenn meine erste Frau nicht dagegen ist."

In Tschetschenien ist eben alles möglich, was Ramsan Kadyrow gefällt. Was ihm nicht gefällt, wird abgeschafft, unterdrückt oder als üble Nachrede abgetan. Weshalb er westlichen Journalisten freundlich mit dem Finger drohend rät:

"Phantasieren Sie nicht. Stellen Sie uns nicht als menschenscheue Bestien da. Wir dienen nur unserem Volk …"
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