Konzeptkünstler und Aktivist

Durham singt keine Indianerlieder

Das Objekt "Choose any three" von 1989 des Künstlers Jimmie Durham, aufgenommen am 07.03.2014 im Rahmen der Biennale 2014 im Whitney Museum in New York (USA).
Das Objekt "Choose any three" von Jimmie Durham (Aufgenommen am 2014 im Rahmen der Biennale im Whitney Museum in New York) © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Von Christiane Habermalz · 05.06.2015
Welche Lieder möchte der Künstler Jimmie Durham loswerden? Zumindest nicht die Songs der Cherokee. Obwohl er ein Angehöriger dieses Stammes ist, singt er stattdessen in seiner Videoinstallation "Songs to get rid of" Kirchenlieder oder Military Songs.
Was singt ein Indianer, wenn er Lieder aus seiner Kindheit singt? Natürlich, denkt man, alte, überlieferte Stammesweisen. Weit gefehlt: "Songs to get rid of", heißt die Videoinstallation, Lieder zum Loswerden. Jimmie Durham sitzt mit ernster Miene und im tadellosen Anzug vor der Kamera und singt sich all den Schund vom Leib, mit dem er als Kind im Bundestaat Arkansas berieselt wurde: Military Songs, Patriotische Kinderverse, Kirchenlieder.
Durham: "Man muss als Kind noch nicht mal in eine Kirche gehen. Man hört diese Songs ständig, sogar in der Schule. Dort lernt man auch diese Militärlieder, aus dem ersten und zweiten Weltkrieg. Sie sind einfach in der Luft in den USA, im Radio, überall. Ich wache morgens mit ihnen auf, sie sind in meinem Kopf, ich kann ihnen nicht entrinnen. Sie sind einfach da."
Er will sie loswerden, diese Geister der Vergangenheit, die sich in den Köpfen eingenistet haben. Jedes Land, jeder Kontinent hat seine eigene Narrative, sie dienen der Selbstversicherung, der Rechtfertigung politischer Machtverhältnisse und nationaler Identität. Sie zu ändern ist fast unmöglich, sagt er. In Europa aber, nach all den Katastrophen der Vergangenheit, werde es zumindest versucht. In seiner neuen Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein wendet sich Durham Europa und seinem Einfluss auf die Welt zu. "Here at the Center" heißt die Schau, ironischer Kommentar des Uramerikaners zum eurozentristischen Blick auf die Welt.
In dem zeitgleich erscheinenden Künstlerbuch sieht man Durham auf der Suche nach dieser neuen Narrative für Europa: Er findet sie, unpathetisch und im Kleinen, im Berliner Grillhähnchen-Imbiss "Atilan Euro Grill" oder in der italienischen Spielhalle mit den "Euro Games" Automaten.
Fühlt sich frei in Europa
"Ich liebe Europa. Ich habe das Gefühl, dass ich hier teilhaben kann. Ich fühle mich befreit von Geschichte. Ich werde nie Franzose, Engländer oder Deutscher sein, aber ich kann trotzdem ein vernünftiger, kritischer Bürger Europas sein. Das könnte ich nie in Amerika. Ich wäre die ganze Zeit am Kämpfen, gegen die Kolonialisten. Hier fühle ich mich frei."
Jimmie Durham wurde 1940 in Arkansas, USA, als Angehöriger des Stammes der Cherokee geboren. In den 60ern begann er als Künstler zu arbeiten und als politischer Aktivist für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner zu kämpfen, er war Mitbegründer und Vorsitzender der Internationalen Organisation indigener Völker bei den vereinten Nationen. 1987 verließ er die USA, verbittert über den allgegenwärtigen Rassismus und die schlechte Behandlung der American Indians, entschlossen, nie wieder zurückzukehren.
Zusammen mit seiner Frau, der Brasilianerin Maria Theresa Alves, lebte er in Mexiko, Marseille, Rom, Berlin. Durham zählt heute zu den wichtigsten zeitgenössischen Künstler, seine Arbeiten waren auf der Documenta ebenso wie auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen. Bekannt wurde er durch seine skurrilen Objekte aus bemalten Tierschädeln, Knochen, Steinen, die oft als Indian Folk Art missverstanden wurden. Mit esoterischem Spiritualismus, sagt er, habe er so wenig zu schaffen wie mit Religionen, die nur den politischen Zielen von Kirchen und Staat dienten.
"Ich möchte nicht anthropologisch werden, und ich hasse es, über die Chirokee zu sprechen. Wir haben keine Geisterreligion. Wir haben auch keinen Gott. Was wir haben, sind viele Metaphern. Wir haben Großmutter Spinne, Großvater Geier und Großvater Koyote, uns so weiter. Aber wir beten nicht zu ihnen, sie sind keine Götter, die sind Metaphern. Sie sind nicht real, wie Jesus oder Mohammed für ihre Gläubigen real sind, in diesem schlechten Sinn einer glaubensbasierten Realität."
Steine gegen die Zivilisation
Als dadaistischer Bilderstürmer betätigt er sich auch in Europa, stets mit Humor und Selbstironie, getrieben von einer tiefen Skepsis gegenüber politischen Machtverhältnissen und Ideologien. Dabei ging es in seiner Kunst immer um das Universelle, um Macht, Architektur, Geschichte. Etwa, wenn er die von Hitler in Schweden bestellten Steinblöcke für Albert Speers Triumphbogen für die Hauptstadt "Germania", die dort immer noch im Steinbruch lagen, kaufte und in der Ostsee versenken ließ, damit sich an ihnen neues Leben ansiedele.
Steine spielten bei Durham immer eine große Rolle – er ließ große Felsbrocken auf Autos und Schiffe fallen, Natur gegen Zivilisation, den brachialen Akt der Zerstörung konterkarierte er durch die stets freundlichen aufgemalten Gesichter auf den Steinen. Verglichen damit ist die aktuelle Ausstellung vergleichsweise friedlich, auch wenn zumindest Früchte zerschmettert werden, unter dem Titel: "The flesh of Jesus". Ob er im Alter keine Steine mehr auf Fahrzeuge schmeiße? Durham lächelt. Vielleicht doch: Er habe gehört, da wären in Frankreich gerade ein paar Concordes über.
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