Das Wispern der Bücher in der virtuellen Welt

Von Jochen Stöckmann · 05.08.2012
Der Komponist Michael Muschner erweist sich in seiner Arbeit für die Stiftung Schloss Neuhardenberg als Literaturforscher. Seine Klanginstallation kreist um das Thema "Vom Verschwinden der Bücher" im digitalen Zeitalter. Sie ist in der Parklandschaft verteilt.
Michael Muschner: "Es ist nicht immer überall etwas zu hören, sondern es begegnet Ihnen auf dem Weg durch die Allee gelegentlich ein Klang. Ich habe noch nicht die richtige Balance gefunden zwischen Umweltgeräuschen und dem Musikklang - das ist schwierig auszubalancieren. Ein Gespräch bringt die Musik fast zum Verschwinden."

So wird es gewesen sein - und so könnte es sich angehört haben, als in jenem totalitären Regime, das Ray Bradbury in seiner Science Fiction-Fabel "Fahrenheit 451" schildert, alle Bücher verboten, auch kleinste Privatbibliotheken rücksichtslos verbrannt wurden. Durch eine Schlüsselszene des Romans hat der Komponist Michael Muschner sich anregen lassen zu einer Musikinstallation im Park der Stiftung Schloss Neuhardenberg: Montag, der als sogenannter Feuerwehrmann nach Büchern suchen und sie verbrennen muss, gerät durch Zufall an einen Rückzugsort, ein Refugium der "Büchermenschen", die Werke ihrer Lieblingsautoren durch Auswendiglernen zu retten versuchen und deren Rezitationen sich für Montags Ohren zu einem wispernden Sound vermischen:

"Wenn man in dieser buchlosen Gesellschaft sich mit einem Text beschäftigen will, muss man mit einem dieser Widerständler in einen Park in der Nähe der Stadt gehen und sich dieses Buch vortragen lassen. Es entsteht ein Wald, ein Park, in dem überall Literatur erklingt."

Es ist nicht das plakative Thema "Bücherverbrennung", das Muschner, den Mann der Musik, umtreibt. Er meidet auftrumpfende Gesten und verzichtet auf kulturkritische Anklagen, umkreist stattdessen mit sanften, aber beharrlich nachklingenden Tönen das prinzipielle, grundlegendere Phänomen der sogenannten "Migration" zwischen den Speichermedien, des Übergangs vom Papier auf elektronische Black Boxes.

Michael Muschner: "Die materiellen, gedruckten Bücher verschwinden und wir haben nur noch Dateien, auch nur eine Idee von einem Buch."

Diese Entwicklung betrifft Literatur und Musik gleichermaßen:

"Wir sind ja inzwischen schon im digitalen Zeitalter, und da steht uns ja jede Bearbeitungstechnik zur Verfügung - die im Computer immer erst einmal etwas Schriftliches hat. Der Zugriff darauf erfolgt ja auch über ein Programm. Das heißt, Sie sind ja ganz distanziert von der Klangerzeugung und von dem Umgang mit dem Material - das ist ja ein Gedanke, der bearbeitet wird."

Wo es um Ideen und Gedanken, um Abstraktionen geht, verbieten sich allzu illustrative Momente, etwa Rückgriffe auf Francois Truffauts Verfilmung von "Fahrenheit 451":

"Na ja, es ist zwingender, wenn Sie diese beiden Medien - das Hörbare und das Sichtbare - verknüpfen. Wenn Sie aber, so wie ich das hier mache, nur den Hörsinn ansprechen, lassen Sie sehr viel mehr Raum für eigene Assoziationen oder eigene Bilder, die entstehen, wenn Sie hier durch den Park gehen."

Deshalb also ist nicht einmal die charakteristische, sozusagen "bildmächtige" Stimme von Oscar Werner, Truffauts Hauptdarsteller zu hören. Dafür aber lässt Michael Muschner sein Konzept anschaulich werden, verkörpert durch schwarze Manschetten, die der Parkbesucher nach und nach in der Kastanien-Allee und an einzelnen Platanen entdeckt:

"Die Lautsprecher selbst, also die Schnittstelle zwischen der elektrischen Repräsentation des Klanges und dem, was wir hören, die sind hier ganz speziell für diese Allee hergestellt. Das heißt, jeder Baum hat maßgeschneidert eine Art Bauchbinde aus Kunststoff, die in Schwingungen versetzt wird, sodass man den Eindruck hat, dass der Klang tatsächlich aus dem Baum, oder zumindest nicht direkt ortbar entsteht."

Schließlich geht es nicht um dezidierte, von vornherein festgelegte Standpunkte, sondern darum, Denkwege abzuschreiten, Reflexionshorizonte zu eröffnen. Und mit seinem Wisper-Konzert der Bücher gelingt Muschner genau dies: die Dialektik des digitalen "Fortschritts" zumindest ahnen zu lassen, jenes Fünkchen Hoffnung, das zwischen all den technisch perfekten Interfaces irrlichtert und knistert.

"Nein, es geht nicht um das Verbrennen, es geht um das Verschwinden auf einer virtuellen Papierfläche im Kindle oder im ipad. Die Literatur wird reduziert auf das Eigentliche, das heißt, auf die Geschichte. Und die ist unzerstörbar, die lebt in den Köpfen der Leser. Ich glaube, die Literatur ändert ihren Aggregatzustand, aber sie verschwindet nicht."

Link zum Thema:

Schloss Neuhardenberg: "Vom Verschwinden der Bücher"