Konjunktur des Aktivismus

Fortschritt oder Verzweiflung?

35:30 Minuten
Illustration einer Frau die zwei gelbe Schilder in die Höhe hebt. Dahinter heller Hintergrund.
Mehr Aktivismus war nie: Weisen Protestbewegungen den Weg in eine bessere Zukunft oder haben sie sich verrannt? © Getty Images / Klaus Vedfelt
Wolfram Eilenberger und Catherine Newmark im Gespräch mit Simone Miller · 04.12.2022
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Klimaprotest, Bürgerbegehren, Bekenntnisse gegen Diskriminierung: Auf Schritt und Tritt werden wir aufgefordert, für eine gerechte Sache Position zu beziehen. Hat Aktivismus die Mitte der Gesellschaft ereicht? Und bringt er sie voran?
An der Klimafrage kommt niemand mehr vorbei. Die Protestbewegung der "Letzten Generation" bringt auf Autobahnen und Flughäfen den Verkehr ins Stocken und erzeugt mit Attacken auf Kunstwerke weitere symbolisch aufgeladene Szenen, die aufrütteln.

Die Sackgassen werden enger

In der Sache erhalten die Protestierenden große Zustimmung. Ihr Ziel, den Klimawandel wirksam zu bekämpfen, schreiben sich längst auch große Unternehmen auf die Fahnen, es steht ganz oben auf der Agenda der deutschen Bundesregierung und in Strategiepapieren der Vereinten Nationen. Eine Mehrheit der Bevölkerung würde ohnehin nicht widersprechen. Und müssten wir angesichts der globalen Bedrohung nicht tatsächlich alle zu Aktivistinnen und Aktivistinnen werden?
Wolfram Eilenberger, Schriftsteller und Philosoph
Ist es noch Aktivismus oder nur noch purer Aktionismus? Wolfram Eilenberger sieht die Klimabewegung ins Leere laufen.© picture alliance/dpa | Oliver Berg
Der Publizist und Philosoph Wolfram Eilenberger ist da eher skeptisch. Er beobachtet "eine Aktivismus-Schwemme, vielleicht sogar eine Aktivismus-Inflation", die damit zu tun habe, "dass gewisse Sackgassen offenbar enger werden und mehr Druck erzeugen."

"Früher marschierte man, jetzt klebt man sich fest"

Aber welche konkreten Schritte aus der Sackgasse unserer fossilen Lebensweise herausführen könnten, die Antwort darauf bleibe letztlich auch die Klimabewegung schuldig, meint Eilenberger. Er frage sich, ob mit den Protesten der "Letzten Generation" schon der Punkt erreicht ist, an dem Aktivismus in unfruchtbaren Aktionismus umschlägt.
Die Gesten der Protestierenden selbst wiesen auf Erstarrung und Verzweiflung hin, sagt Eilenberger: "Früher marschierte man, jetzt klebt man sich fest."
Die Philosophin Catherine Newmark diskutiert auf der phil. cologne, dem größten deutschen Philosophie Festival.
Ist es schon Aktivismus, wenn ich politische Forderungen like oder teile? Nicht, wenn ich rein gar nichts damit riskiere, meint Catherine Newmark.© imago / Horst Galuschka
In die Gesellschaft hinein hat der Erwartungsdruck auf jede und jeden Einzelnen enorm zugenommen, zu den Anliegen aktivistischer Bewegungen Stellung zu beziehen, beobachtet die Philosophin und Publizistin Catherine Newmark: Vor allem in sozialen Medien werden wir ständig aufgefordert, und zu positionieren und zu bekennen.
Gerade hier stellt sich allerdings die Frage, ob etwa das Liken oder Sharen einer politischen Forderung selbst schon als Aktivismus gelten kann.

Bereitschaft zum Risiko

Ein Kriterium dafür könnte sein, dass man ein persönliches Risiko damit verbindet, die aktivistische Position zu teilen, sagt Newmark, was - zum Beispiel in nichtdemokratischen Staaten - durchaus auch in der digitalen Sphäre möglich sei.
Porträt von Simone Miller.
Ist es Aktivismus oder bloß Opportunismus? Simone Miller hört zu viele Bekenntnisse und vermisst konkretes Handeln.© Johanna Rübel
Von Aktivismus können wir nur dann sprechen, wenn Menschen bereit sind, für ihre Position auch persönlich Verantwortung zu übernehmen, davon ist die Philosophin und Journalistin Simone Miller überzeugt. Sie frage sich, ob die gegenwärtige Konjunktur des Aktivismus nicht eher Ausdruck eines politischen Opportunismus sei.

Hinweis auf die eigenen Widersprüche

Dass die Blockaden der "Letzten Generation" so viele Menschen verärgern, liege vermutlich genau daran, dass sie uns auf eigene Widersprüche hinweisen, so Miller. Wenn jemand sage, mit der Blockade auf dem Berliner Flughafen BER habe die Klimabewegung ihre Sympathien endgültig verspielt, "dann wahrscheinlich deshalb, weil man selbst zwar gerne aus dem ReCup den Kaffee trinkt und rhetorisch einsteht für mehr Klimaschutz, aber dann doch bitte mit dem Flieger nach Teneriffa fliegen möchte."
Dass die "Letzte Generation" von vielen Menschen als störend und als unsympathisch empfunden wird, sei eher ein Zeichen des Erfolgs, sagt Miller, "denn das ist ein Zeichen dafür, dass sie tatsächlich den eigenen moralischen und politischen Opportunismus angreift."
Die gesellschaftliche Bedeutung der Klimabewegung liege gerade darin, uns klarzumachen, dass auch untätiges Abwarten eine Handlung ist, für die wir zur Verantwortung gezogen werden können, meint Miller: "Genau das können wir uns eben nicht mehr leisten."

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