Konfliktlösung

Ohne Assad keinen Frieden für Syrien

Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser im Juli 2014
Alltag im Krieg: Kinder holen in einem Rebellengebiet von Aleppo Wasser. © AFP / Zain al-Rifai
Von Reinhard Mutz |
In Syrien wird nichts dringlicher als ein Waffenstillstand gebraucht. Für dieses Ziel müsse auch mit dem Diktator Assad verhandelt werden, sagt der Politologe Reinhard Mutz. Denn wie sonst solle die syrische Tragödie beendet werden?
"Jetzt kommt der Winter, dann der Regen, dann die Kälte, dann der Tod." In apokalyptischen Bildern beschrieb Gerd Müller, der deutsche Entwicklungshilfeminister, kürzlich die Lage in und um Syrien auf der internationalen Flüchtlingskonferenz in Berlin.
Jeder zweite Syrer, zehn Millionen Menschen leben heute kriegsbedingt an einem anderen Ort als zu Beginn des Aufstands gegen das Regime Assad. Syrien ist die Staatsruine einer Trümmerwüste mit einer zur Hälfte entwurzelten Bevölkerung. Und die trostlosen Trecks der Zuflucht Suchenden nehmen kein Ende, weil die Gewalt kein Ende nimmt.
Deshalb ist es richtig, ja geradezu zwingend, die internationale Öffentlichkeit aufzurütteln und an die Notwendigkeit zu erinnern, sowohl den Flüchtlingsmassen als auch den längst an ihre Kapazitätsgrenzen gelangten Aufnahmelagern in den Anrainerstaaten ein weiteres Mal über den Winter zu helfen. Humanitäre Versorgung rettet Leben, aber sie ersetzt nicht das politische Engagement.
Dabei herrscht durchaus Einvernehmen darüber, dass einzig eine substanzielle Konfliktlösung die syrische Tragödie beenden kann. Nur einsetzen möchte sich dafür niemand. Vielmehr heißt es von deutscher Seite, der Meinungsstreit in den Gremien der Vereinten Nationen mache eine solche Lösung derzeit unmöglich. Wirklich?
Wem bisher noch nicht aufgegangen ist, was die Stunde in der arabischen Welt geschlagen hat, der lebt auf einem anderen Stern. Wie im Blutrausch errichtet eine Terrormiliz ihre Schreckensherrschaft in zwei gescheiterten Staaten. Und die Ängste, die sie schürt, haben unsere Marktplätze erreicht.
Wann denn, wenn nicht jetzt, entschließt sich der Westen, einige Grundpfeiler seiner Mittelost-Politik zu überdenken?
In Syrien wird nichts dringlicher als ein Waffenstillstand gebraucht, egal wer ihn vermittelt und nötigenfalls durchsetzt, nur haltbar muss er sein. Denn ohne ein verlässliches Ende des Blutvergießens wären schon erste Sondierungen über eine dauerhafte Konfliktregelung chancenlos.
Das Klischee vom Alleintäter Assad hat sich als wenig hilfreich erwiesen
Und verhandelt werden soll dann mit Assad, dem Diktator, der Krieg führt gegen sein eigenes Volk? Natürlich auch mit ihm!
Das Klischee vom Alleintäter Assad hat sich bei allen Bemühungen um eine politische Streitbeilegung als wenig hilfreich erwiesen. Überdies ist es falsch. Dass rabiate Polizisten friedliche Demonstranten misshandeln, war nur in der Anfangsphase der syrischen Unruhen die vorherrschende Gewaltform.
Schon drei Monate später verzeichneten auch die staatlichen Ordnungskräfte erste Todesopfer. Und einen weiteren Monat danach bildete sich aus Deserteuren der Streitkräfte die "Freie Syrische Armee", kommandiert aus ihrem türkischen Exil. Ein halbes Jahrs später, Mitte Februar 2012, berichtete der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta, dass die Untergrundarmee durch ein dschihadistisches Netzwerk infiltriert werde. Dessen damals noch wenig geläufiger Name: Islamischer Staat im Irak.
Dessen ungeachtet verabredeten am darauf folgenden Wochenende die "Freunde Syriens", ein informeller Zusammenschluss westlicher und prowestlicher Regierungen, die Anti-Assad-Opposition zu unterstützen. Und sie erklärte den "Syrischen Nationalrat", den politischen Arm der gerade diskreditierten Rebellenarmee, zum legitimen Repräsentanten des syrischen Volkes.
Bisher beschränken sich die Geländegewinne der Terrormiliz "Islamischer Staat", so spektakulär sie auch sind, auf zwei Länder, die durch langjährige Kriege und schwerste Kriegsfolgen geschwächt sind: Syrien und Irak. In beiden Fällen trägt die westliche Politik Mitverantwortung.
Alles was die Widerstandskraft gegen den weiteren Zerfall stärkt, wäre nicht nur ein Akt der Wiedergutmachung. Es läge auch im höchst eigenen Interesse.
Reinhard Mutz, Jahrgang 1938, studierte nach dreijährigem Militärdienst Politikwissenschaft und Neueren Geschichte. Er arbeitete bis 1984 am Institut für internationale Politik und Regionalstudien der Freien Universität Berlin und bis 2006 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zuletzt als Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor.
Reinhard Mutz
Reinhard Mutz© privat
Von 1992 bis 2008 war er Mitherausgeber des Jahresgutachtens der friedenswissenschaftlichen Forschungsinstitute in der Bundesrepublik.
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