Chemische Waffen

Der Beitritt hat Assad "gerettet"

Ein blaues großes Schiff liegt vor einem Hafen, flankiert von zwei kleineren Schlepperschiffen.
Das dänische Schiff Ark Futura, beladen mit syrischen Chemiewaffen, beim Einlaufen in den italienischen Hafen Gioia Tauro © dpa/picture alliance/Franco Cufari
Horst Reeps im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 14.10.2014
Vor wenigen Wochen erst verkündete die UNO, die syrischen Chemiewaffen seien vernichtet. Krieg herrscht dennoch nach wie vor. Beides müsse man strikt trennen, meint der frühere UN-Chemiewaffenkontrolleur Horst Reeps.
Korbinian Frenzel: Es ist gar nicht lange her, dass die Empörung noch an ganz andere Adressaten ging, nicht an den IS, sondern an den syrischen Diktator Assad. Er hatte im letzten Sommer Chemiewaffen eingesetzt in der Nähe von Damaskus. Der internationale Druck auf ihn sorgte in der Folge dafür, dass Syrien der Vernichtung eiserner Chemiewaffenbestände zustimmte. Heute vor einem Jahr trat das Land einer entsprechenden Konvention bei. Und in der Tat: Vor wenigen Wochen erst konnte die UNO vermelden, dass die Bestände in der Tat vernichtet sind. Horst Reeps war einer der UNO-Chemiewaffenkontrolleure. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und ihn gefragt, wie die UNO es konkret geschafft hat, in dieser schwierigen Situation die Chemiewaffen zu vernichten.
Horst Reeps: Ein Chemiewaffenbesitzerstaat muss normalerweise die chemischen Waffen im Land selbst vernichten unter Absicht, und das war natürlich in Syrien aufgrund des Zeitdrucks und der unsicheren Lage nicht möglich. Was passiert ist, ist praktisch, dass sich der Exekutivrat oder der Council drauf geeinigt hat, dass man eine Ausnahme macht und praktisch die chemischen Waffen oder das, was man als chemische Waffen per Definition deklariert hat, außer Landes geschafft werden und außerhalb zerstört werden.
Seit 1993 weltweit ein "No-Go"
Frenzel: Wie haben Sie das dann konkret organisiert?
Reeps: Zum einen hat Syrien natürlich erst mal seine Initialdeklaration abgegeben, die Mengen, Typen, Quantitäten, Produktionsstätten und so weiter wurden auf die Schnelle, so schnell wie möglich praktisch verifiziert, und dann wurden seitens der OPCW in Den Haag die Mitgliedsstaaten gebeten, sich zu melden, in Anführungszeichen einen Beitrag zu leisten, wie man praktisch die Chemikalien per Schiff von Latakia aus zu potenziellen Zerstörungsorten transportieren kann.
Frenzel: Die Frage ist natürlich, die sich jetzt, ein Jahr später, stellt, nachdem auch die Waffen, Chemiewaffen vernichtet sind: Was ist der Nutzen konkret für die Menschen? Diese Chemiewaffen wurden wohl einmal eingesetzt, das hat das alles ausgelöst. Der Krieg geht aber mit unverminderter Gewalt weiter, hat viele weitere tausende Tote gefordert.
Reeps: Ja. Sie können natürlich sagen, der gegenwärtige Krieg hat also weit mehr Tote gefordert als der Chemiewaffeneinsatz, der das Ganze ausgelöst hat. Aber man muss also strikt trennen zwischen dem, was gegenwärtig abgeht, und dem, was also 1993 schon beschlossen worden ist, dass Chemiewaffen ein No-Go sind und dass die weltweit vernichtet werden müssen.
Keine militärische Bedeutung mehr
Frenzel: Man könnte ja fast sogar so weit gehen mit Blick auf Chemiewaffen, mit Blick auf Chemiewaffen, mit Blick auf Atomwaffen insbesondere, dass sie eine derart abschreckende Wirkung haben, dass sie fast schon friedensstiftend wirken, weil man sie eben nicht einsetzen will. Würden Sie so weit gehen?
Reeps: In puncto Chemiewaffen? Nein. Chemiewaffen haben praktisch ihre militärische Bedeutung seit, ja, seit den Sechzigern längst verloren, wohingegen Atomwaffen natürlich ein ganz anderes Kaliber sind und bislang zumindest zur Balance of Power beigetragen haben. Chemiewaffen – nennen wir es mal ganz konkret: Russland oder die damalige Sowjetunion und die Vereinigten Staaten waren praktisch die größten Chemiewaffenbesitzer, knapp 70.000 Tonnen gemeinsam.
In den Sechzigern und frühen 70er-Jahren sind beide zu der Einsicht gekommen, dass also diese Art von Waffe militärisch veraltet ist und dass weit effizientere Waffensysteme einschließlich Atombomben zur Verfügung stehen. Deswegen haben sich die Amerikaner und Russen zusammen mit den Briten damals geeinigt, dass Chemiewaffen vernichtet werden.
"Politischer Mehrwert" für Assad
Frenzel: Wenn Sie sagen, Herr Reeps, dass Chemiewaffen schon lange nicht mehr die Bedeutung haben, hat das dann einen politischen Mehrwert gehabt, dass die Chemiewaffen Assads vernichtet wurden?
Reeps: Für Assad definitiv. Der Beitritt zur Chemiewaffenkonvention hat ihn praktisch vor dem, ja, sagen wir mal, gerettet, was ihm Obama angedroht hat. Wenn Sie sich erinnern, Obama hat ja gesagt: Falls also das rauskommt, ist die rote Linie überschritten.
Frenzel: Im Gespräch war das Horst Reeps, der ehemalige Chemiewaffenkontrolleur der Vereinten Nationen, der dafür gesorgt hat, dass die Bestände in Syrien vernichtet werden. Syrien ist heute vor einem Jahr der internationalen Chemiewaffenkonvention beigetreten, die die Grundlage dafür war.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema