Konferenz: Formate des Politischen

Warum Medienschelte gar nicht schlecht ist

Medienvertreter während einer Pressekonferenz im VW Werk in Wolfsburg; Aufnahme vom September 2015
Medienvertreter während einer Pressekonferenz im VW Werk in Wolfsburg; Aufnahme vom September 2015 © picture alliance / dpa
Von Claudia van Laak · 26.11.2015
Das Misstrauen gegenüber den Medien wächst. Genauso wie das Bedürfnis, sich über die sozialen Medien zu empören. Wissenschaftler sprachen auf einer Konferenz in Berlin von der "fünften Gewalt" - dem Publikum.
Das Misstrauen gegenüber den Medien wächst – einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap zufolge haben sechs von zehn Befragten wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien.
Die Kritikpunkte: bewusste Fehlinformation und Manipulation, Einseitigkeit und schlechte Recherche. Einer von zehn Befragten ist der Ansicht, dass Deutschlands Medien nicht unabhängig sind.
Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU sprach von einem beachtlich lädierten Vertrauen und kritisierte den Alarmismus in Politik und Medien:
"Die Neigung, Probleme nicht nur zu entdecken, sondern als die jeweils größten zu behaupten – am liebsten mit der gleichzeitigen Bemerkung, dass sie seit langem vorhersehbar waren, aber in einer skandalösen Weise von allen, die es hätten wissen können, nicht wahrgenommen, jedenfalls nicht aufgegriffen und schon gar nicht gelöst worden seien."
Je freier die Gesellschaft, desto geringer das Vertrauen in Medien
Der Journalismus sei nicht schlechter geworden, sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger, die Mediennutzer seien nur kritischer als früher. Seine These: je freier eine Gesellschaft, umso geringer das Vertrauen in die Medien. Stärker als bislang sollten Journalistinnen und Journalisten der etablierten Medien die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland wiederspiegeln, der Anteil von Journalisten mit Migrationshintergrund sei zu gering.
Außerdem dürfe sich das etablierte Mediensystem nicht abkoppeln von den Entwicklungen in den sozialen Medien – als negatives Beispiel nannte Thomas Krüger die Nominierung von Xavier Naidoo für den Eurovision Contest.
"Als Gebührenzahler frage ich mich schon einigermaßen entsetzt, wie konnte denn dem öffentlich-rechtlichen Sender NDR ein solches Malheur passieren konnte. Dabei geht es mir nicht um die Frage, ob er als Künstler geeignet ist oder nicht, sondern darum, dass die Entscheider überrascht waren über die Heftigkeit der öffentlichen Reaktion auf diese Entscheidung."
Radikale Demokratisierung der Empörungspraxis
Die Medien haben an Vertrauen und damit an Macht verloren, konstatierte der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Diese Macht habe sich verschoben in Richtung Publikum – Pörksen sprach von einer radikalen Demokratisierung der Enthüllungs- und Empörungspraxis.
"Das Publikum regt sich auf. Das Publikum empört sich. Das Publikum recherchiert. Das Publikum betreibt Meinungs- und Deutungskorrektur, speist seine Empörungsangebote in die Kreisläufe des Öffentlichen ein – ohne Gatekeeper, ohne Schleusenwärter."
Neben den Medien als vierte Gewalt betrete eine neue neue Gewalt die gesellschaftlich-politische Bühne, so der Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er nannte sie "die vernetzten Vielen".
"Ist das jetzt gut oder schlecht? Ist die fünfte Gewalt jetzt gut oder böse? Welches Gesicht hat sie? Für mich ist das Wesen der fünften Gewalt, so wie wir sie im Moment beobachten können, ihre schillernde Individualität."
Eines sei klar, so Margreth Lünenborg, Journalistikprofessorin an der Freien Universität Berlin: der Autoritätsverlust des Journalismus sei unumkehrbar.
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