Kommune

Wenn deins auch meins ist

Ein Apfel-Stand in Warschau: Polen ist für Russland der größte Importeur von Äpfeln.
Die Kommune Niederkaufungen baut ihr eigenes Obst und Gemüse an. © picture alliance / dpa / Rafal Guz
Von Susanne Luerweg und Sabine Oelze · 04.09.2014
Teilen wird oft als neue Heilsbotschaft propagiert. Frei nach diesem Motto agiert auch die Kommune Niederkaufungen in der Nähe von Kassel. Vor 28 Jahren gegründet, zählt sie heute zu den international bekanntesten und wirtschaftlich erfolgreichsten Kommunen.
7:30 Uhr: 15 Männer und Frauen lassen die Hüften kreisen. Der Morgen in der Kommune Niederkaufungen beginnt mit Qui Gong-Übungen.
60 Erwachsene und 20 Kinder leben hier unter einem Dach. Die Kommune wurde 1986 gegründet und zählt zu den ältesten in Deutschland. Seitdem wohnen in dem umgebauten Gutshof Singles, Paare und Familien. Lisa, Anfang 30, ist vor knapp einem Jahr nach Niederkaufungen gezogen.
"Ich habe Soziologie studiert in Hannover und habe anschließend als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Kassel gearbeitet, der Job ist vor einem Jahr ausgelaufen. Als das auslief, habe ich mich gefragt, wie kann es weitergehen und dann habe ich gemerkt, diese Unikarriere, das ist jetzt nicht meins, das ist mir zu viel Leistungsdruck, zu viel Stress."
Jeder Kommunarde kümmert sich um einen Arbeitsbereich
In der Kommune entscheide sie selber, wie viel sie arbeite, erzählt sie und geht in Jogginghose in den Frühstücksraum. Der Speisesaal - hohe Decken, gelber Linoleumboden, Holztische – ist sehr gemütlich.
Jeder Kommunarde kümmert sich um einen Arbeitsbereich. Lisa arbeitet in der Verwaltung und kümmert sich vor allem um die Ein- und Ausgaben. Straffe Organisation, sagt sie, helfe, Chaos zu vermeiden – bei denen, die alles teilen.
"Wollen wir mal zu unseren Waschmaschinen gehen? Das ist ja das beste Beispiel fürs Teilen. - Ja, komm, das wunderbare Waschmaschinensystem."
Im Hof trifft Lisa Frank, der gebürtige Engländer wohnt schon mehr als 20 Jahre in Niederkaufungen und ist eine Art Mädchen für alles. Er hilft aus, wo er kann.
Lis: "Hier haben wir nämlich drei Maschinen."
Frank: "Ah, die Dritte funktioniert wieder."
Lisa: "Aber wir haben hier so ein Warteschlangensystem, wo man seinen Korb reinstellen kann und dann tut man so ein Schildchen da rein, wie das gewaschen werden soll und dann wird das für einen auch gewaschen und oder man kommt selber noch mal her und tut es rein."
Die Gemeinschaft funktioniert wie ein Wirtschaftsunternehmen
Mit Flower Power hat das Kommunenleben nur wenig zu tun. Die Gemeinschaft funktioniert wie ein Wirtschaftsunternehmen. Großküche, Partyservice mit Bio-Produkten, Kindertagesstätte, Baufirmen, Schreinerei, Schlosserei, Tagespflege für Demenzkranke – in manchen Monaten verdienen die 14 Arbeitsbereiche so viel Geld, dass sogar Rücklagen gebildet werden können. Für die Rente und Gebäudesanierungen oder sogar Immobilienankäufe.
"Und irgendwo war so eine schöne Grafik, finde ich auch spannend, so die Pro-Kopf-Einnahmen und Ausgaben, Ja, es kommt auf Plus/Minus null, jedes Jahr."
Nicht einmal zum Einkaufen müssen die Kommunarden ihr Zuhause verlassen. Sie halten Schweine und Hühner, bauen Obst und Gemüse selbst an.
Um 12 Uhr mittags riecht es rund um den großen Speisesaal schon nach frisch gekochtem Essen. Das fünfköpfige Kochteam steht mit Mütze und weißem Kittel am Herd.
"Heute gibt es Kohlrabischnitzel, Hähnchenflügel , Krautsalat und Kartoffeln...bei uns ist alles selber gemacht. Nix aus der Dose."
Teilen ist die Zukunft
Nach dem Mittagessen gehen die Kommunarden wieder an ihre Arbeit. Thomas kümmert sich um den Fuhrpark. 23 Fahrzeuge stehen in einer Halle. Viele sind Unikate. Entworfen von Maschinenbauern mit dem Anspruch Autos umweltschonend zu gestalten. Andere sind Tretmobile. Thomas, Mitte 40, hat mal Physik studiert und als Maschinenbauingenieur gearbeitet. Nun testet er im Auftrag des Bundesforschungsministeriums Fahrzeuge auf ihre Nachhaltigkeit. Er betreut die Studie "Zukunft erfahren".
"Für neue Lösungen braucht es Gewohnheitsänderungen und auch bei uns ist es so. Die Fahrzeuge, die am nächsten an der Gewohnheit sind, einmal die eher Autoähnlichen, die man benutzt wie ein Auto, die sind sehr ausgebucht und die, die sehr nah am Fahrrad sind und diesen Elektrohilfsantrieb haben, die sind auch viel gefragter."
Mittlerweile ist es später Nachmittag. Das Abendessen steht bereits auf dem Tisch. Lisa setzt sich zu den anderen Kommunarden in den Speiseraum. Teilen, davon ist sie überzeugt, ist die Zukunft. Dabei muss auch sie manchmal über ihren eigenen Schatten springen, wenn selbst im Privatraum die Devise lautet: Deins ist meins.
"Was das Teilen von Badezimmer angeht, das ist so, dass wir das offen benutzen und da geht es mir schon so, dass ich denke, jetzt würde ich gerne mal alleine im Bad sein ohne zu denken, gleich kommt jemand reingestürmt, oder so."
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