Psychologie

Arbeit, der unterschätzte Glücksfaktor

04:18 Minuten
Symbolbild: Ein Arbeitsteam stapelt Hände.
Gelungenes Teamwork kann zufrieden machen. © picture alliance / Westend61 / Novelimage
Ein Einwurf von Christian Thiele · 11.03.2024
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Möglichst wenig arbeiten - darum geht es gerade auffällig oft in der gesellschaftlichen Debatte. Arbeit wird offenbar von vielen als Störfaktor für ein gelingendes Leben betrachtet. Coach Christian Thiele sieht das allerdings ganz anders.
Fragt man zehn Psychologinnen oder Psychologen, was denn überhaupt menschliches Glück sei, bekommt man elf verschiedene Antworten, vom ganz Kleinen bis hin zum ganz Großen: ein Moment, ein Zustand, eine Charaktereigenschaft, die Bilanz eines geglückten Lebens, ein tragfähiges Beziehungsnetz, eine gute Regierung, die soziale Gerechtigkeit, saubere Luft und ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen bereitstellt, und so weiter und so weiter. Entsprechend viele Wege zum Wohlbefinden gibt es. Aber auf eine nahe liegende Quelle des Glücks kommen viele gar nicht.
Die Arbeit.
Die Arbeit, fragen Sie sich vielleicht. Echt jetzt!? Ja, echt jetzt.

Selbstwirksamkeit erleben

Der Job bezahlt uns nicht nur die Miete, das Abendessen, den Urlaub. Menschen, die ihren Job verlieren, brechen in ihrer Lebenszufriedenheit ähnlich stark ein, wie wenn ihr Ehepartner stirbt – sagt zumindest die Statistik. Der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und persönlichem Unglückserleben zählt zu den robust erforschten Erkenntnissen in der Psychologie – in allen Weltregionen und auch über Langzeitstudien nachgewiesen.
In der Arbeit erleben wir – im Idealfall – Sinn, Zugehörigkeit, Weiterentwicklung und das, was die Psychologie „Agency“ oder „Selbstwirksamkeit“ nennt – also das Gefühl, etwas gebacken zu bekommen. „Werkstolz“ wäre ein anderes Wort dafür – und den kann nicht nur eine Schreinerin oder ein Fliesenleger erfahren, den kann man auch als Pflegekraft auf der Krankenstation erleben, als Müllmann oder -frau, als Yogalehrer. 

Schlechtes Image der Arbeit

Allerdings scheinen wir es überhaupt nicht zu bemerken, wie wichtig Arbeit für unser Glück ist. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat mal in einer großen Studie Texanerinnen befragt, welche Aktivitäten sie am meisten und am wenigsten glücklich machen. Ganz vorne lagen Sex, soziale Begegnungen und Entspannung – ganz hinten lagen Haushaltstätigkeiten, Berufsverkehr und die Arbeit.
In einer ähnlichen, jüngeren Studie aus Großbritannien schnitt aus einer Liste mit 40 Tätigkeiten der eigene Job schlecht ab. Hinter "Schlange stehen", "Steuererklärung machen" und "Kranke versorgen" – nur geschlagen von „krank im Bett liegen". Bis zu drei Viertel der US-Beschäftigten berichten inzwischen von „Sunday Scaries“ – also der Arbeitswoche vorangehende Sonntagssorgen, die sich auch in einer massiv erhöhten Herzinfarktrate zeigen. Und seit der Coronapandemie machen Hashtags wie #quietquitting oder #loudquitting auf Social Media die Runde. Bis zu einem Drittel der Deutschen sind laut Studien auf der Suche nach einer neuen Stelle.
Glück im Job? Sieht irgendwie anders aus. Ein Selbstläufer ist der Glücksfaktor Arbeit also nicht und die Strukturen in deutschen Betrieben machen oft eher unglücklich als glücklich. 

Klare Grenzen ziehen

In einer Zeit, in der immer mehr Menschen hybrid oder ganz im Homeoffice arbeiten, geht schnell das Zusammengehörigkeitsgefühl der Beschäftigten verloren, und es braucht Maßnahmen, die das Miteinander fördern. Etwa indem man auch mal den weiteren Weg zum Italiener in der Mittagszeit geht oder sonstwie Dinge tut, die Austausch jenseits von Zahlen, Terminen, To-dos bringen.
Außerdem sollte man gute und klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ziehen. Und natürlich nicht Nächte, Wochenenden oder gar den Urlaub in beruflichen Nachrichtentools verbringen. Das ist ein guter Weg zu weniger Unglück und mehr Glück im Job. Auch Chefinnen und Personaler können eine Menge dazu beitragen, wie zufrieden ihre Beschäftigten im Job sind. Etwa indem sie ihnen Freiraum zur Selbstverwirklichung geben und nicht jeden einzelnen Arbeitsschritt akribisch helikoptern.


Christian Thiele ist Coach und Autor, sein Podcast „Positiv Führen“ ist auf allen großen Plattformen zu hören. Er gehört zum Trainerteam der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie, ist (meist) zuversichtlicher Patchwork-Vater und lebt in Garmisch-Partenkirchen.

Porträt des Coachs und Autors Christian Thiele
© privat
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