Kommentar

Konsequenzen für Xavier Naidoo

05:36 Minuten
Xavier Naidoo bei einem Auftritt am Mikro. Er trägt dunkle Kleidung, eine Sonnenbrille und eine Schiebermütze. Hinter ihm leuchtet das warme gelb-organgefarbene Licht eines Scheinwerfers.
Xavier Naidoo bei einem Konzert der Söhne Mannheims: Sein geplanter Auftritt in der Zitadelle Spandau in Berlin findet nun vielleicht doch nicht statt. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Jenni Zylka |
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Xavier Naidoos Konzert in Berlin steht auf der Kippe. Dem Musiker keine Bühne zu geben, schade ihm, sagt die Journalistin Jenni Zylka. Sie findet: Bei einem umstrittenen Künstler lohnt es sich zu überlegen, ob ein Boykott auch eine Wirkung hat.
Ob ich Xavier Naidoo bei mir im Wohnzimmer auftreten lassen würde, ist meine eigene Entscheidung. Und ich würde es nicht tun. Zu keiner Zeit hätte ich Lust auf seine Musik gehabt, weder vor seinen seit den 90ern vernehmbaren Aussagen zu Homosexualität, seinen wirren Verschwörungstheorien oder Holocaustleugnungen. Noch und erst recht nicht jetzt.
Abgesehen von dem mir stets zu pathetischen Genöle möchte ich nicht, dass er mit seinen Thesen Gehör findet – auch wenn sie nur Beiwerk zu einem musikalischen Oeuvre sind.
Aber das kann dem Mann egal sein: Unter meinem Boykott leidet er nicht. Dass Naidoos Konzert in der Berliner Zitadelle Spandau nun, wie der Tagesspiegel berichtet, auf der Kippe steht, wird ihm jedoch nicht egal sein. Denn diese Entscheidung hätte Konsequenzen – neben den finanziellen für ihn und seinen wankelmütigen Veranstalter Trinity, der lange zu Naidoo stand, wird Naidoos Ansehen bei seinen Kritikerinnen und Kritikern weiter sinken, genau wie das von Trinity.
Welche Konsequenzen die Haltung zu einem umstrittenen Künstler oder einer umstrittenen Künstlerin hat, muss man in jedem Fall evaluieren: Kann man, sollte man, darf man die Kunst vom Künstler trennen, und wenn man sich dagegen entscheidet: Nützt es etwas, jemanden zu boykottieren, trifft man ihn überhaupt damit?

Wie umgehen mit Michael Jackson?

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen Michael Jackson, ein pädophiler Täter gewesen zu sein, flackerte die Debatte stark: Angeblich von ihm missbrauchte, inzwischen erwachsene Opfer sprachen in einem Dokumentarfilm darüber, was sie empfinden, wenn irgendwo Michael Jackson läuft. Wenn man ihnen Glauben schenkt, und durch den Tod des Musikers und die fehlende Verhandlung und Verurteilung kann diese Frage nie abschließend geklärt werden, fühlt man den kalten Hauch, der seitdem über jedem "I’m bad" weht.
Doch nützt es etwas, ihn darum jetzt nicht mehr zu spielen? Oder müsste man vielleicht eruieren, wann welche Songs entstanden sind, um herauszufinden, ob er zu diesem Zeitpunkt bereits mutmaßlicher Täter war?
Die Auswahl eines Songs des verurteilten Sexualstraftäters Gary Glitter für Todd Phillips düsteres DC-Drama "Joker" wurde ebenfalls viel kritisiert. Dabei hatte der Regisseur bewusst die durch die Verurteilung von Glitter entstandene Ambivalenz für die Charakterisierung seines Protagonisten genutzt. Zudem hat Glitter keine finanziellen Vorteile durch den Gebrauch seines Songs – er sitzt noch immer verurteilt im Gefängnis, und die Musikrechte lagen eh bei der Universal Music Group.
Auch bei Roman Polanski ist es komplex: Polanski wurde nie verurteilt, weil er sich durch Flucht einer Verhandlung entzog. Inzwischen hat das Opfer die Anklage fallen gelassen – dürfen wir, die Gesellschaft, ihn also weiter anklagen? Und wenn man den Diskurs zeitlich nicht beschränkt – wie geht man dann mit den Sünden der vergangenen Künstlerinnen und Künstler um?

Jeder Fall ist anders

Die Antwort ist, dass es keine eindeutige Antwort gibt. Wir müssen immer wieder und in jedem Fall differenzieren: zwischen dem eigenen Empfinden und der Relevanz der Kunst für uns persönlich – und für die Gesellschaft. Und wir müssen uns jedes Mal die Frage stellen, wen wir treffen, wenn wir Kunst nicht stattfinden lassen wie bei Naidoo, nicht kaufen, nicht spielen oder nicht zeigen.
Beeinflussen wir den oder die Richtigen? Ist eine Außenwirkung vorhanden? Darf man bei einer Büroparty zu "Sie ist nicht von dieser Welt" schwofen? Oder nicht mal privat, weil, wie man in der Mode sagt, Modelfüße auch in Stiefeln pedikürt sein müssen, man also konsequent sein muss?
Es ist wichtig und richtig und uns bleibt nichts übrig, als diese Frage unermüdlich zu diskutieren. Und zu hoffen, dass es – wie meines Erachtens bei Naidoo – vor allem Kunst trifft, die verzichtbar ist. James Brown sagte einmal: Nur sexy Menschen machen sexy Musik. Aber Moment – war der nicht ganz schrecklich gewalttätig gegenüber seiner Frau? Hach, ich will's gar nicht wissen.
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