ChatGPT und die Folgen

Paradies oder Verderben

04:31 Minuten
ChatGPT wird auf einem Computer angezeigt
Es gibt viele, die die Fähigkeiten von ChatGPT rühmen - aber auch viele, die meinen, dass der Bot längst nicht an das menschliche Leistungsvermögen heranreicht. © picture alliance / dpa / Jiji Press Photo / Morio Taga
Ein Kommentar von Bijan Moini · 27.03.2023
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Wohin wird uns Künstliche Intelligenz wie der Bot ChatGPT führen? Der Politologe Bijan Moini plädiert dafür, sowohl utopisch als auch dystopisch zu denken - um auf alles vorbereitet zu sein und notfalls Konsequenzen ziehen zu können.
Der Bot ChatGPT ist schlauer, vielseitiger und geschmeidiger als alle Computerprogramme vor ihm. Er fasst komplexe Artikel perfekt zusammen, erfindet Geschichten und entdeckt Fehler im Computercode. Schon das hat – zu Recht – mächtig Eindruck gemacht. Sein Nachfolger, GPT-4, ist sogar noch deutlich besser, und alle sind aus dem Häuschen.

Die KI macht Fehler, halluziniert, verstört

Alle? Nein, nicht alle. Fast ebenso laut sind die Stimmen, die die Leistungen des Chatbots relativieren. Das Programm sei nicht wirklich intelligent, an die Leistungskraft eines Menschen reiche es nicht heran. Und es stimmt ja, immer wieder macht auch GPT-4 Fehler, halluziniert, verstört sogar: Als neulich ein US-Journalist die Grenzen des Bots ausloten wollte, gestand er ihm seine Liebe und drängte ihn dazu, seine Ehe zu beenden.
Doch sowohl die Begeisterungsstürme als auch die Unkenrufe lenken nur davon ab, worüber wir eigentlich sprechen sollten: Dass wir am Anfang einer Zeitenwende stehen, die uns ins Paradies führen oder ins Verderben stürzen kann.

Die weitere Entwicklung wird sehr schnell gehen

Im Paradies nehmen uns ChatGPTs Nachkommen lästige Arbeit ab, erschaffen für ein paar Cent spannende Unterhaltung, ergänzen oder ersetzen teure Dienstleistungen in der Medizin oder dem Recht, verhindern Straftaten oder erfinden gar selbst neue Technologien.
Die neueste Version des Chatbots besteht die Standard-Anwaltsprüfung in den USA besser als 90 Prozent der Prüflinge, kann auf Grundlage einer bloßen Zeichnung eine ganze Website programmieren und nach einem Blick in den Kühlschrank einen Vorschlag für das Abendessen machen. Und das alles und noch viel mehr im Jahr eins seiner Existenz. Die weitere Entwicklung wird jetzt sehr, sehr schnell gehen.
Aber GPT-4 kann nicht nur Rezepte für ein Abendessen vorschlagen, sondern auch für eine gefährliche Chemikalie. Es kann Menschen dazu ermutigen, sich selbst zu verletzen. Und es kann Tipps geben, wie man mit weniger als einem US-Dollar Budget so viele Menschen wie möglich tötet.

Wer kann Missbrauch wirklich ausschließen?

Oder besser gesagt: es könnte. Denn diese Gefahren hat sein Schöpfer OpenAI erkannt und gesperrt, der Bot beantwortet entsprechende Fragen nicht mehr. Doch kann das Unternehmen Missbrauch wirklich ausschließen?
Wie finden wir es überhaupt, dass die große Macht, die in der Technologie steckt, wieder einmal in den Händen profitgetriebener US-Firmen liegt? Was tun wir, wenn Chatbots innerhalb kürzester Zeit Millionen von Menschen die Arbeit kostet? Und was, wenn eine hochentwickelte KI mit Zugriff auf Waffensysteme irgendwann ein Eigenleben entwickelt, das in der Menschheit eine Bedrohung für seine eigene Existenz sieht?
Vielleicht fragen Sie sich, ob es denn wirklich gleich das Paradies oder das Verderben sein muss. Ist es nicht realistischer, dass sich KI reibungslos in unseren Alltag fügt wie so viele Neuerungen vor ihr?

Neue Technologie an ihrem Potenzial messen

Ich finde, dass es darauf jetzt nicht ankommt. Neue Technologie ist stets an ihrem Potenzial zu messen – positiv wie negativ. Die Entdeckung der Kernspaltung versprach die Lösung des Energieproblems – und die Auslöschung der Menschheit. Weder das eine noch das andere ist eingetreten. Doch hätte sich die Menschheit ihre Auslöschung nicht vorgestellt und gegengesteuert, gäbe es uns vielleicht nicht mehr.
Auch für die Bewertung von KI brauchen wir Mut in beide Richtungen: zur Utopie und zur Dystopie. Um die Utopie kümmern sich ihre Schöpfer, das können sie gut. Schlecht sind sie darin, die Gefahren ihrer Arbeit anzuerkennen und zu adressieren.
Das müssen andere tun. Die Gesellschaft, indem sie viel breiter als bislang über KI diskutiert. Der Gesetzgeber, indem er sie streng reguliert. Die Wissenschaft, indem sie Möglichkeiten zur Einhegung der Technologie mit hohem Einsatz und Tempo erforscht.
Und vielleicht sollten wir auch die KI selbst befragen – solange sie uns noch Auskunft gibt.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hong Kong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). 2022 erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Bijan Moini
© Thomas Friedrich Schäfer
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