Namibias Kolonialgeschichte

Deutsche Missionare kooperierten mit Konzentrationslagern

07:05 Minuten
Ein Denkmal zur Erinnerung an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama zeigt Gehängte neben einem schnauzbärtigen Soldaten.
Getötet von deutschen Kolonialtruppen: Ein Denkmal in Namibias Hauptstadt Windhoek erinnert an den Völkermord an den Herero und Nama. © picture alliance / dpa / Jürgen Bätz
Von Michael Hollenbach · 13.11.2022
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Die ersten deutschen Konzentrationslager entstanden in Deutsch-Südwestafrika – kurz nach 1900, als es deutsche Kolonie war. In den Lagern gefangen: Herero und Nama, Überlebende des Völkermords. Mit aktiv in der Verwaltung waren christliche Missionare.
1904 schlug der damalige Gouverneur Lothar von Trotha den Aufstand der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika brutal nieder - im heutigen Namibia. In einem Vernichtungskrieg wurden rund 50.000 Herero und 10.000 Nama getötet. Nachdem von Trothas im Jahr 1905 abberufen worden war, entstanden Konzentrationslager.
„Wenn wir uns die Funktion dieser Lager angucken, ging es nicht primär um das Umbringen der Internierten", erläutert der Historiker Jonas Kreienbaum, der an der Universität Rostock lehrt. "Diese Lager sollten dazu dienen, den langwierigen Kolonialkrieg zu beenden, indem eine Möglichkeit eröffnet wird, dass sich die Herero ergeben können und damit ein sich hinziehender Guerillakrieg verhindert wird.“

Aufbau eines Lagersystems

Eine zentrale Rolle beim Aufbau des Lagersystems habe die evangelische Rheinische Mission gespielt. Die Missionare hätten mit der Kolonialmacht kooperiert, so Kreienbaum.
„Das tun sie vor allen Dingen, indem sie sich bereit erklären, ins Feld zu gehen – wie es damals hieß – und die Herero davon zu überzeugen, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Sie errichten dafür Ende 1905 eigene missionsbetriebene Sammellager, in denen sich über 12.000 Herero stellen. Da können sie sich erst einen Moment erholen, werden dann aber weitergeschickt in die militärischen Konzentrationslager."
Zeitgenössisches Porträt von Lothar von Trotha in dekorierter Uniform und mit Schnauzbart.
Der königlich preußische General Lothar von Trotha befahl, den Aufstand der Herero brutal niederzuwerfen.© picture-alliance / dpa / EW
Kreienbaum ist überzeugt: "Ohne die Vermittlung der Mission wären sicherlich weniger Herero in die staatlichen Konzentrationslager gekommen und dann vermutlich auch weniger gestorben. Insofern haben wir eine sehr ambivalente Rolle, die die Rheinische Mission erfüllt.“

Vertrauensvorschuss für Missionare

Die Missionare waren schon länger im Land und hatten durch ihre Arbeit bei den Herero einen gewissen Vertrauensvorschuss. „Das hat dazu geführt, dass sich eben doch sehr viele Herero und Nama ergeben haben und dann in diese Lager gegangen sind“, sagt Katja Lembke, Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums und engagierte Protestantin. Sie war kürzlich in Namibia und hat als Archäologin nach den Spuren der ehemaligen Konzentrationslager gesucht. Lembke erklärt:
„Das klingt für uns heute vollkommen schräg, dass Missionare sich da für Konzentrationslager stark gemacht haben, aber es ging ihnen darum, erstens das Land wieder zu befrieden und zweitens den Menschen wieder Kraft zu geben.“
Historisches Schwarzweißfoto eines Bahnhofs, an dem Gefangene von Soldaten bewacht in offenen Eisenbahnwaggons sitzen.
Nach der Niederschlagung des Aufstandes werden gefangene Herero mit der Eisenbahn in ein Lager an der Küste transportiert.© ullstein bild via Getty Images / ullstein bild Dtl.
Der Missionar Philipp Diehl schrieb 1906 in einem Brief an die Missionszentrale in Deutschland: "Die Regierung ist überhaupt bemüht, die Leute am Leben zu erhalten, was einen Fortschritt gegen früher bezeichnet, wo man alle aus der Welt schaffen wollte." Lembke ergänzt:
„Interessant ist, dass diese Konzentrationslager sich häufig an Orten befanden, wo man Arbeitskräfte brauchte. Das heißt, es ist klar, was dahinterstand: Zwangsarbeit nämlich, um den Schienenbau, die Eisenbahn, voranzutreiben.“

Tod durch Hunger, Krankheit und Misshandlung

Allerdings gingen Absicht und Wirklichkeit hier weit auseinander. Denn nachdem die Internierten von den Missionslagern in die staatlichen Konzentrationslager übergeben wurden, starben von rund 17.000 Gefangenen 8000 – an Hunger, an Krankheiten und an den Folgen von Misshandlungen.
Einige Missionare wie zum Beispiel August Kuhlmann verweigerten die Mitarbeit an der Errichtung der Sammellager, wie Kreienbaum erläutert:
„Weil er realisierte, dass alle in diese Konzentrationslager kommen, und er sagte: Das ist ein vorprogrammierter Mord, wenn wir die Herero in diese Lager weiterreichen. Deswegen hat er gesagt, er verweigert die Zusammenarbeit und zieht sich zurück.“
Ein steinernes Kreuz steht auf einem Steinhaufen auf dem Gelände einer Gedenkstätte für die Opfer deutsche Konzentrationslager in Swakopmund.
Zeugnisse der deutschen Kolonialzeit in Swakopmund, Namibia: Die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika wurden nach dem Vorbild der Buren-Lager in Südafrika errichtet. Gefangene setzte man zur Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau ein.© Getty Images / Christian Ender
Kuhlmann war aber die Ausnahme, sagt Hans-Martin Milk, der selbst auf einer Missionsstation aufwuchs und noch heute in Namibia lebt. In einem Videogespräch erläutert er:
„Was die Missionare trotz des aktiven Protestes von Kuhlmann nicht verhindern konnten, trat ein: Die koloniale Armee hielt sich nämlich nicht mehr an die Absprachen, die sie vorher mit der Mission getroffen hatte, holte aus den Sammellagern die schutzlosen Herero - zum Teil auch mit Gewaltanwendung - und transportierte die Gefangenen in zentral gelegene militärische Konzentrationslager.“

Mehr als die Hälfte der Gefangenen starb

Milk hat sich intensiv mit der Geschichte der Evangelisten und Missionare in Namibia beschäftigt und sagt: „Wieder einmal wurde die tragische Rolle der Mission im kolonialen Kontext deutlich: Trotz ihrer karitativen Motivation waren sie ein Rad in dem System der Unterdrückung und Vernichtung, anstatt das System zu bekämpfen und die Vernichtung zu verhindern.“
Das schlimmste Konzentrationslager befand sich auf der Haifischinsel in der Lüderitzbucht. Dort befanden sich vor allem Gefangene der Bevölkerungsgruppe der Nama. Von den knapp 2000 Internierten starben 1906 innerhalb weniger Monate 1200 – unter den Augen von zwei evangelischen Missionaren.
Historische Aufnahme von Lüderitz mit Gebäuden in Küstennähe und der langgestreckten Haifischinsel im Hintergrund.
Die Haifischinsel in der Lüderitzbucht beherbergte das berüchtigtste Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika.© picture-alliance / akg-images / akg-images
„Diese beiden Missionare, die Ende 1905 dahin kommen, die arbeiten mit den Kriegsgefangenen und verteilen 'Burenmehl', versuchen irgendwie, das Los zu verbessern", erklärt Kreienbaum, "aber wenn wir uns diese Extremsterblichkeit angucken, mit geringem Erfolg.“
Die Archäologin Lembke war während ihres Forschungsprojektes auch auf der Haifischinsel. Dabei konnte mit neuen Methoden die räumliche Ausdehnung des Konzentrationslagers erforscht werden.

Das ehemalige KZ ist heute ein Campingplatz

Überrascht war sie, dass es auf der Insel zwar einen Ehrenhof mit Gedenkplatten für die deutschen Soldaten gibt, die dort an Krankheiten verstorben sind. Und auch ein Ehrenmal für den Nama-Führer Cornelius Fredericks. Aber: „Es gibt kein Monument für die Herero und keinen Hinweis, dass das mal ein Konzentrationslager war.“
Besucherinnen und Besucher der Haifischinsel ahnen nicht, dass hier Anfang des 20. Jahrhunderts in einem der ersten deutschen Konzentrationslager mehr als 1000 Nama und Herero ums Leben kamen, sagt Lembke: „Dieser Ort, wo das Konzentrationslager war, ist heute ein Campingplatz. So kommen Menschen dahin mit ihrem Campingbus und sind dann geschockt zu hören, dass das mal ein Konzentrationslager war.“
Ein dunkles Kapitel, das nicht nur vor Ort, sondern auch in Deutschland weitgehend unbekannt ist.

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